Im Osten was Neues
© Christian Trieloff / Anke Riester / Thomas Eichstatt

Im Osten was Neues

Im Osten was Neues
„Im Osten was Neues“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die Regisseurin Loraine Blumenthal wagt sich mit ihrem Dokumentarfilm Im Osten was Neues tief in die ostdeutsche Provinz – dorthin, wo es weh tut, würde man es beim Fußball nennen. Ihr Blick richtet sich auf die fragile Schnittstelle zwischen Migration, Integration und gesellschaftlicher Realität im Mecklenburgischen Torgelow. Im Mittelpunkt steht Thomas „Eichi“ Eichstätt, ein geläuterter Ex-Rechtsradikaler, der heute als ehrenamtlicher Fußballtrainer des FC Pio Torgelow Menschen mit Migrationsgeschichte Halt geben will. Seine Weltpremiere feierte der Film beim Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern, wo er mit dem WIR-Vielfaltspreis ausgezeichnet wurde. Im Anschluss war er unter anderem auf dem DOK.fest München und bei der Dokumentale zu sehen.

Der lange Schatten früherer Jahre

Blumenthal wählt einen unaufgeregten, beobachtenden Zugang – und gibt ihrem Protagonisten viel Raum. Bereits zu Beginn thematisiert Eichi die wohl schwierigste Szene des Films: jenes Gespräch, in dem er seinen Spielern seine Vergangenheit offenbart. Gezeigt wird dieser Moment erst gegen Ende des Films. Davor wird Eichis Vergangenheit gestreift. Er und seine Frau Anja projizieren alte Fotos an die Wand und erzählen dabei von ihrer gemeinsamen Geschichte: von Anjas schwieriger Kindheit, Eichis Suchtproblemen und seiner tiefen Verstrickung in die rechte Szene der 1990er Jahre. Mit der Geburt ihres ersten Kindes änderte sich die Richtung – ein biografischer Wendepunkt, dem der Film jedoch nicht weiter nachspürt.

Neben Eichstätt begleitet die Kamera auch Asad Matsagov, einen 17-jährigen Tschetschenen, und Thomas Bundu, der mit seiner Frau aus Sierra Leone nach Deutschland geflohen ist. Beide stehen exemplarisch für die Spannungen und Unsicherheiten migrantischer Lebensläufe im ländlichen Osten der Republik. Asad ringt mit seiner Identität, Thomas mit der ständigen Angst vor Abschiebung. Doch so nah die Kamera ihnen auch kommt, wirkliche Intimität entsteht nicht. Ihre Geschichten werden angeschnitten, aber nie tief genug gegraben, um bleibende Eindrücke zu hinterlassen. Es bleibt bei flüchtigen Skizzen – man beobachtet, ohne wirklich einzutauchen.

Spielfeld der Gegensätze

Der Fußball dient dabei als symbolisches Spielfeld gesellschaftlicher Prozesse: Vor jedem Spiel beschwört Eichi den Teamgeist, doch auf dem Platz prallen Kulturen, Temperamente und Lebensrealitäten spürbar aufeinander. Bei einem Turnier sieht man, wie Eichi versucht, frisch angekommene ukrainische Flüchtlinge ins Team zu integrieren – ein Experiment, das mehr über die Grenzen von Solidarität als über deren Möglichkeiten erzählt. Die gegnerischen Mannschaften bleiben gesichtslose Silhouetten. Ob dem FC Pio gleichgültig oder gar feindlich gegenüberstehen, bleibt offen – ein Mangel, der symptomatisch für den Film ist: Vieles wird angedeutet, wenig vertieft.

Dass in Torgelow bei der letzten Bundestagswahl 51,2 Prozent der Zweitstimmen an die AfD gingen, wird gar nicht spürbar. Auch struktureller Rassismus bleibt im Film weitgehend unsichtbar – abgesehen von kurzen Berichten Asads und Thomas über Alltagserfahrungen. Blumenthal enthält sich jeder Kommentierung, vertraut ganz auf die Kraft der Beobachtung. Doch diese Zurückhaltung kippt streckenweise in Unentschlossenheit: Will der Film ein Porträt gelungener Graswurzel-Integration zeichnen, ein sozialkritisches Stimmungsbild der ostdeutschen Provinz sein, oder ein Lehrstück über Reue und Wandel? All diese Ansätze sind vorhanden, aber keiner wird wirklich durchgehalten.

Gut gemeint, nicht ganz getroffen

So bleibt Im Osten was Neues ein wohlmeinender, aber letztlich unentschlossener Dokumentarfilm. Die Protagonisten lassen die Kamera nur begrenzt an sich heran, was die emotionale Bindung erschwert. Auch das soziale Umfeld bleibt seltsam konturlos – ob aus dramaturgischem Kalkül oder mangelnder Zugangstiefe, lässt sich nicht sagen. Dass ein engagierter Vater von fünf Kindern trotz ehrenamtlicher Arbeit im Jugendclub und auf dem Fußballplatz keine ausreichende staatliche Unterstützung erhält, steht sinnbildlich für viele der Widersprüche, die der Film aufzeigt, aber nicht weiter verfolgt. Die Themen, die er streift, sind wichtig – nur leider bleibt das filmische Echo allzu leise.

Credits

OT: „Im Osten was Neues“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Loraine Blumenthal
Drehbuch: Loraine Blumenthal
Musik: Philipp Krätzer
Kamera: Anke Riester, Christian Trieloff

Bilder

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Im Osten was Neues
fazit
„Im Osten was Neues“ wirft einen wichtigen Blick auf Integration in der ostdeutschen Provinz, bleibt dabei aber zu vage. Trotz starker Figuren und brisanter Themen fehlt es dem Film an Tiefe und Haltung – ein gut gemeinter, aber zu zurückhaltender Beitrag über ein komplexes gesellschaftliches Feld.
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