
Es genügt ein Blick auf die aktuellen Schlagzeilen zur Weltpolitik, um zu erkennen, dass wir in einer Zeit leben, in der alte Werte nicht mehr gelten. Mit diesen ist gemeint, dass Bürger und Bürgerinnen damit rechnen konnten, dass es gewisse Werte gibt, die parteiübergreifend gelten. In Zeiten, in der eine deutsche Partei es probat findet, für eine Entscheidung mit einer rechtsextremen Partei ein temporäres Bündnis einzugehen, erkennen wir die Zeichen für diesen Paradigmenwechsel, der gewiss schon sehr lange im Gange ist.
Generell beobachten wir eine Zunahme „rechter“ Rhetorik im politischen Wahlkampf, nicht nur in europäischen Staaten, bei dem die Lüge zum Standard geworden ist, weil es viele der potenziellen Wähler sowieso nicht tun (oder zumindest scheint so die Gewissheit zu sein). Wir leben in einer Welt, in der ein US-Präsident nach einer Wahlniederlage zur Erstürmung des US-Kapitols aufruft, weil er nicht anerkennen will, dass er nicht wiedergewählt wurde. Die Tatsache, dass Donald Trump nur wenige Jahre später abermals gewählt wurde, spricht für sich und ist damit der traurige (bisherige) Höhepunkt dieser Entwicklung.
In den USA haben diese wie auch andere Ereignisse zu einer Verschärfung der politischen Lager geführt. Insbesondere das Bild der Republikaner ist zunehmend negativ geworden. Dagegen stellt sich Adam Kinzinger, der zwischen 2011 und 2023 den 16. Distrikt des Bundesstaats Illinois im US-Repräsentantenhaus vertrat. Als Konsequenz auf die Ereignisse des 6. Januar 2021 rief er zur Amtsenthebung Donald Trumps auf und war eines der neun Mitglieder in einem Untersuchungsausschuss, der die Erstürmung des Kapitols genauer unter die Lupe nehmen sollte.
In den letzten Monaten seiner Amtszeit begleitete ihn Regisseur Steve Pink, besser bekannt für Komödien wie Hot Tub Time Machine. The Last Republican, der auf dem DOK.fest München 2025 zu sehen ist, erzählt nicht nur von der politischen Laufbahn Kinzingers, sondern auch von seiner veränderten Sichtweise auf seine Partei, in der er mittlerweile als Außenseiter gilt. Die Dokumentation ist dabei weit mehr als ein Porträt Kinzingers, denn Pink zeigt den Wandel der politischen Landschaft der USA, den Prozess der Desillusionierung und die Zunahme eines aggressiven Tonfalls, der sich schließlich auch in der Gesellschaft widerspiegelte.
Allein im leeren Büro
Natürlich ist das Bild eine Form der Inszenierung, doch sie verfehlt nicht ihr Ziel. Wahrscheinlich an einem seiner letzten Tage im Repräsentantenhaus treffen sich Kinzinger und Pink zu einem letzten Interview. Schlicht, aber elegant gekleidet sitzt der Politiker vor der Kamera, während wir hinter ihm das mittlerweile schon leergeräumte Büro sehen, in dem nur noch ein Telefon auf dem Fußboden daran erinnert, dass Kinzinger hier noch bis vor wenigen Tagen gearbeitet hat. Wie jeder Politiker in Washington ist auch er geübt in der Inszenierung, die wir mehr als einmal beobachten. Doch trotz alledem bemerkt man, dass etwas geschehen ist mit diesem Mann, der deutlich älter wirkt als er tatsächlich ist. In dem Gespräch, was den narrativen und ästhetischen Rahmen der Dokumentation bildet, sprechen die beiden noch einmal von den letzten Monaten, von den ersten Anhörungen des Untersuchungsausschusses, von den Drohungen gegen den Politiker und seine Familie sowie die zunehmende Desillusionierung mit seiner Partei und deren Werten.
Das Archivmaterial erinnert uns an die Ereignisse des 6. Januar 2021, die anstachelnde Rede Trumps sowie die Berichterstattung in den Medien, als der Ausschuss dann endlich tagte. Kinzinger ist einer, der nicht mehr erfüllt ist von dem Idealismus der Jugend, denn er kennt die politische Realität Washingtons. Neben einem Einblick in die Mechanismen, die eine politische Entscheidung begleiten, spricht er aus seiner Sicht von einer Auflösung bestimmter Werte und schließlich auch der Wahrheit. Das politisch motivierte Narrativ wird gepusht, und die Fakten verschwiegen oder verzerrt. Wer nicht mitmacht, bleibt auf der Strecke oder wird zum Außenseiter. Wie Kinzinger.
OT: „The Last Republican“
Land: USA
Jahr: 2024
Regie: Steve Pink
Drehbuch: Steve Pink
Musik: Logan Nelson
Kamera: Josh Salzman
Toronto International Film Festival 2024
DOK.fest München 2025
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)