
Ein Blick auf die Konflikte in der Welt reicht aus, um festzustellen, dass wir vielleicht mehr denn je Diplomatie benötigen. Während der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine immer weiter fortschreitet, beginnt zwischen Pakistan und Indien der nächste Konflikt, der uns wahrscheinlich noch lange beschäftigen wird. Problematisch dabei ist die Idee vieler Autokraten wie Donald Trump oder Wladimir Putin, dass Diplomatie ein Zeichen von Schwäche sei und Härte die einzige Sprache ist, die verstanden wird. Dass demokratische Errungenschaften, für die viele Menschen gekämpft und teils auch gestorben sind, ausgehöhlt oder gar abgeschafft werden, ist mehr als nur ein Zeichen der Zeit, denn es sollte Anlass zur Sorge bereiten.
Hinzu kommt die scharfe Kritik auf Institutionen wie die NATO, die beispielsweise in dem noch andauernden Konflikt in der Ukraine eine entscheidende Rolle spielt. Als NATO-Generalsekretär hatte der ehemalige norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg eine monumentale und schwierige Aufgabe, die darin lag, auf der einen Seite der Ukraine beizustehen, auf der anderen Seite aber den Konflikt mit Russland nicht noch weiter eskalieren zu lassen. 2024, in seinem letzten Jahr als Generalsekretär, gelang ihm dann der diplomatische Drahtseilakt, die NATO-Mitglieder dazu zu bringen, die Ukraine mit Waffen gegen die russische Armee auszurüsten.
In seiner Dokumentation Facing War, die auf dem DOK.fest München 2025 zu sehen ist, begleitet Regisseur Tommy Gulliksen Stoltenberg während seines letzten Jahres als NATO-Generalsekretär. Die beiden sind längst keine Unbekannten, denn in seinen vergangenen Filmen befasste sich Gulliksen mit den Terroranschlägen in seiner Heimat Norwegen vom 22. Juli 2011, als Stoltenberg Ministerpräsident des Landes war. Facing War ist nicht bloß eine Rekapitulation der Ereignisse, sondern zeigt auf, wie nahe die Welt einem weitaus größeren Konflikt gekommen wäre. Neben den Verhandlungen Stoltenbergs und seines Teams mit Vertretern anderer NATO-Mitglieder, die den Maßnahmen gegen Putin kritisch gegenüberstehen oder diese blockierten, blickt Facing War auch zurück auf eine Institution, die 2024 ihr 75-jähriges Bestehen feierte. Gulliken begleitet Stoltenberg in die Ukraine, nach Washington und nach Ungarn, und zeigt die langen Sitzungen, in denen man über Formulierungen diskutiert sowie deren mögliche Interpretation hinterfragt. Facing War ist nicht nur ein höchst informativer, sondern ein ungemein wichtiger Film, der Einblick in eine Institution sowie die Weltpolitik gibt und damit in Zusammenhänge, die vielen Menschen verschlossen bleiben.
Noch ein letztes Jahr
„Meine Zeit ist vorbei“ („my watch is over“) sagt Stoltenberg zu Beginn von Facing War, revidiert diese Aussage dann aber bald wieder. Nach einem Treffen mit dem damaligen US-Präsident Biden lässt er sich doch überreden, für ein letztes Jahr als NATO-Generalsekretär zu fungieren. Der Präsident sagt ihm, es werde kein leichtes Jahr werden, doch das weiß Stoltenberg zu diesem Zeitpunkt schon. Man kann zu der NATO als Institution oder Jens Stoltenberg als Person bzw. Politiker stehen wie man will, doch nach der Sichtung von Tommy Gullikens Dokumentation muss man zumindest die Wichtigkeit der Leistungen anerkennen, die im Laufe eines Jahres vollbracht wurden.
Auch wenn das Filmteam die einzelnen Gespräche natürlich nicht filmen darf, ahnt man doch, wie die Unterhaltungen mit Personen wie Victor Orban oder Recep Tayyip Erdogan gelaufen sein müssen. Stoltenberg ist keiner, der sich etwas anmerken lässt, dafür ist er zu lange schon in der Welt der Politik unterwegs, doch selbst bei diesen Momenten ahnt man, wie schwer ihm diese Unterhaltungen wohl gefallen sind. Facing War zeigt seinem Zuschauer, wie Diplomatie heute funktioniert, welche Aspekte man bedenken muss und teils auch, welche Egos man wie behandeln muss, wenn das Ergebnis die Deeskalation oder die Handlungsfähigkeit der NATO sein soll.
OT: „Facing War“
Land: Norwegen
Jahr: 2025
Regie: Tommy Gulliksen
Musik: Svein Beige, Torbjörn Brundtland
Kamera: Tommy Gulliksen, Øistein Bloch Haukeland
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