
Katharina Pethke war von 2012 bis 2019 Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg (HFBK Hamburg). Während dieser Zeit kam ihr die Idee zu ihrem Dokumentarfilm Reproduktion. Schon Pethkes Mutter und Großmutter studierten hier Kunst, schlugen danach aber ganz unterschiedliche Wege ein. Während ihre aus gutbürgerlichem Hause stammende Großmutter die Kunst komplett an den Nagel hängte, als sie heiratete und vier Kinder bekam, versuchte Pethkes Mutter, alles anders zu machen. Als Achtundsechzigerin lehnte sie ihre Herkunft ab und zog ihre Kinder alleine groß. Mit der Geburt der Kinder war es aber auch bei ihr mit der Kunst vorbei, die sie fortan nur noch als Lehrerin ausübte.
Katharina Pethke wiederum hatte es im Gegensatz zu ihrer Großmutter und Mutter scheinbar geschafft, die Kunst zur Profession zu machen. Doch als sie und ihr Partner Christoph Rohrscheidt, der bei Reproduktion die Kamera führt, selbst Kinder bekommen, stößt auch Katharina Pethke „an eine unsichtbare Grenze“, wie sie sagt. In Reproduktion geht sie der Frage nach, was diese Grenze ausmacht. Hierfür forscht sie nicht nur in der eigenen Familiengeschichte nach. Pethke setzt sich auch mit der Geschichte der HFBK Hamburg und mit dessen Architekt Fritz Schumacher, der unweit der Kunsthochschule die Frauenklinik Finkenau errichtete, sowie mit den Kunstwerken Frauenschicksal und Die ewige Welle auseinander, das bereits Marina Abramović während ihrer Zeit an der HFBK Hamburg zu einer Performance inspirierte.
Frauenschicksal(e)
Der Titel von Katharina Pethkes Dokumentarfilm ist klug gewählt. Zwischen der Hamburger Hochschule für bildende Künste (HFBK Hamburg), der angrenzenden ehemaligen Frauenklinik Finkenau, auf deren Gelände sich inzwischen der Hamburger Kunst- und Mediencampus befindet, und ihrer eigenen Familiengeschichte angesiedelt, geht es Pethkes nicht nur um die künstlerische Technik der Reproduktion oder – ganz im Benjaminschen Verständnis – um das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Der Filmtitel ist auch in einem biologischen Sinn zu begreifen.
Pethke reißt an, unter welchen sozio-ökonomischen Bedingungen sich Frauen im Allgemeinen fortpflanzten, was eine Frauenklinik wie die in Finkenau notwendig machte, und geht im Besonderen auf die Frauen in ihrer Familie ein. Zu guter Letzt geht es der Regisseurin um Verhaltensmuster, Strukturen und Stereotype, die sich – bewusst oder unbewusst – von Generation zu Generation im Privaten wie im Beruflichen, in der Gesellschaft wie in der Kunst fortpflanzen.
Ruhiger Rhythmus
Um all diese Zusammenhänge, die mit nüchterner Stimme aus dem Off vorgetragen werden, herzustellen, lässt sich die Regisseurin Zeit. Beinahe zwei Stunden dauert ihr Film. Langsame Kamerafahrten durch die altehrwürdigen Hallen der Kunsthochschule, lange gehaltene Einstellungen und die leise, elegische Filmmusik geben den Rhythmus vor. Zwischendurch wird seelenruhig in Familienalben geblättert. Wiederholt mutet dieses schleichende Erzähltempo zu forciert an; so als sollte der Film absichtlich zum Stillstand gebracht werden.
Erzählerisch beginnt Pethke bei sich selbst, als sie im Alter von 21 Jahren ihr Studium an der HFBK Hamburg aufnimmt. Wenn sie im Anschluss daran von diesem Zeitpunkt weit in die Vergangenheit zurückgeht, zu einer Studentin, die zwei Generationen zuvor mit denselben Träumen und Hoffnungen an der Hochschule begann, dann ist zunächst nicht klar, dass es sich dabei um Pethkes Großmutter handelt. Erst sukzessive offenbart sich, dass der erzählerische Faden, den Katharina Pethke hier spannt, sich durch ihre eigene Familiengeschichte zieht.
Faszinierende Familiengeschichte
Allein der Fakt, dass drei Frauen einer Familie an derselben Hochschule studierten und was aus den jeweiligen Studien erwuchs, ist faszinierend genug, um einen Dokumentarfilm zu füllen. Und in der Tatsache, dass es Katharina Pethke bis zur Professorin gebracht hat, während ihre Großmutter sich mit der Rolle der Mutter und Hausfrau bescheiden musste, möchte man einen gesellschaftlichen Fortschritt erkennen. Dass die Sache indessen nicht so simpel ist, dass sich auch Katharina Pethke mit Rollenbildern herumschlagen muss, mit denen bereits emanzipierte Künstlerinnen wie Elena Luksch-Makowsky (1878–1967) vor mehr als hundert Jahren konfrontiert waren, was sich unter anderem in der Skulptur Frauenschicksal (1910–1912) niederschlug, das führt Reproduktion eindrücklich vor Augen. Woran dies liegt, warum sich unsere Gesellschaft in den vergangenen hundert Jahren nicht stärker hin zu einer egalitären Gesellschaft weiterentwickelt hat, das kann Reproduktion allerdings allenfalls anreißen.
OT: „Reproduktion“
Land: Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Katharina Pethke
Drehbuch: Katharina Pethke
Musik: Nika Son
Kamera: Christoph Rohrscheidt
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