Delicious (seit 7. März 2025 auf Netflix) erzählt die Geschichte einer vierköpfigen deutschen Familie, die nach Südfrankreich reist, wo sie die Sommerferien in einer Villa verbringen wollen. Dann und wann haben Esther (Valerie Pachner), John (Fahri Yardim) und die beiden Kinder Alba (Naila Schuberth) und Phillipp (Caspar Hoffmann) vielleicht ihre Differenzen. Im Großen und Ganzen ist es aber ein Urlaub wie jeder andere auch. Das ändert sich, als John auf dem Nachhauseweg vom Restaurant Teodora (Carla Díaz) anfährt. Ins Krankenhaus wollen sie die Fremde nicht bringen, da dummerweise vorher etwas Alkohol geflossen ist. Außerdem halten sich die Verletzungen in Grenzen, weshalb die Frau nur verarztet und mit einem Schmerzensgeld fortgeschickt wird. Kurze Zeit später ist sie aber zurück und drängt darauf, als Haushilfe angestellt zu werden, was zunehmend zu Problemen führt. Und es kommt noch schlimmer. Wir haben im Rahmen der Weltpremiere bei der Berlinale 2025 mit Regisseurin und Drehbuchautorin Nele Mueller-Stöfen gesprochen. Im Interview reden wir über Inspirationen, die Vorzüge eines Thrillers und Reichtum.
Bekannt geworden sind Sie ursprünglich als Schauspielerin, später haben Sie mehrere Drehbücher geschrieben, Delicious ist jetzt ihr Debüt als Regisseurin. Wie kam es dazu?
Das eine baut auf dem anderen auf. Wenn du als Schauspielerin am Set bist, denkst du in erster Linie über deine Rolle nach. Wie gehe ich an die Figur heran, wie verkörpere ich sie? Was hat die Regie für Vorstellungen, deine Kolleginnen? Aber je mehr Zeit man am Set verbringt, desto mehr fragt man sich, wie würde ich das machen? Man sieht mehr das Ganze. Und irgendwann träumt man davon, das Bild mitzugestalten. Zumindest ging es mir so. Und dann entstand der Wille, meine eigenen Geschichten zu erzählen. Zuerst, indem ich sie aufs Papier bringe. Aber ich hatte auch den Wunsch, sie zu visualisieren, um die Tonalität oder Atmosphäre des Films einzufangen, die ich mir vorstelle. So kam es dazu.
War es von Anfang an geplant, dass diese Geschichte auch ihr Regie-Debüt wird? Sie hätten ja auch „nur“ das Drehbuch schreiben und dieses jemand anderem geben können.
Nein, für mich war von Anfang an klar, dass ich dieses Drehbuch schreiben und selbst verfilmen werde.
Dann kommen wir zur Geschichte. Wie sind Sie auf die Idee dafür gekommen?
Ein Freund hat mir erzählt, dass er in Süditalien mit einer Gruppe von Freunden im Urlaub war. Sie hatten eine schöne Zeit, bis eine weitere Person dazu kam und blieb. Diese Person hat es geschafft, mittels Manipulation die Dynamik dieser Gruppe innerhalb von 24 Stunden komplett zu zerstören. Nach einem Tag sind sie alle abgereist. Sie wollten diese Ferien nicht mehr. Das fand ich spannend und wurde zu meinen Ausgangspunkt. Wie ist das, wenn eine einzelne Person es schafft, eine Dynamik völlig zu verändern? Gleichzeitig habe ich einen Artikel über junge lateinamerikanische Autorinnen gelesen, die scharfe Genregeschichten geschrieben haben, in Verbindung mit einem politischen Kontext. Das hat mich interessiert. Dann gibt es verschiedene Filme, die mich begleitet haben, vor allem Teorema von Pier Paolo Pasolini, aber auch Das Hausmädchen von Kim Ki-young. Es gab also mehrere Einflüsse.
In Ihrem Film geht es auch um eine Form des Klassenkampfs. Dieses Thema lässt sich in den verschiedensten Genres umsetzen, sei es als klassisches Sozialdrama oder auch als Satire. Delicious geht stärker in die Thriller-Richtung. Weshalb haben Sie sich dafür entschieden?
Thriller lösen Spannung aus. Sie holen den Zuschauer emotional direkt rein in das Geschehen. Das kann funktionieren, weil der Mensch die Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie besitzt. Der politische Kontext in unserem Film ist dadurch greifbarer und lebendiger, ohne moralisch belehrend zu sein. Für mich war das ein wichtiger Aspekt. Auch die Horrorelemente. Sie spiegeln tiefsitzende Ängste wider, in diesem Fall Angst vor gesellschaftlichen Missständen.
Man spürt bei den Figuren in Ihrem Film die Wut auf die Familie oder die Reichen allgemein. Diese Wut finden wir auch da draußen in der Realität, viele Menschen sind wütend auf Eliten oder Leute, die irgendwie „da oben“ sind. Woher kommt das?
Zunächst einmal will ich festhalten, dass ich die Besitzenden oder Besitzlosen nicht verurteilen möchte. Also nicht mit dem Finger auf das Individuum zeigen möchte. Das ist mir wichtig. Die soziale Ungleichheit ist ein globales Problem, man kann es nicht auf einer individuellen Ebene lösen. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Diese Kluft, die Spaltung der Gesellschaft, wird immer größer und ist sehr viel sichtbarer geworden in der letzten Zeit. Das bestimmt die sozialen Verhältnisse auf der ganzen Welt. Man spürt es im Alltag, man spürt es überall. Deswegen hat die Gruppe auch das Recht wütend zu sein.
Trotz dieser Wut ist an vielen Stellen aber auch die Faszination für die Menschen an der Spitze groß. Da gibt es die ganzen Reality TV Shows über die Reichen und Schönen, Donald Trump und Elon Musk haben Millionen von Fans, die sie bewundern. Wie passt das zusammen?
Gar nicht. Aber man kann nicht davon ausgehen, dass alle Menschen gleich denken. Letztendlich muss das jeder für sich selbst herausfinden. Ich selbst bewundere die beiden nicht. Ein Zeichen unserer Zeit ist aber sicherlich, dass wir uns leicht von materiellen Dingen beeinflussen lassen und unseren Wert oft mit dem, was wir besitzen, vergleichen. Deswegen die Faszination für Reichtum.
Glauben Sie, das Filme in der Hinsicht vermitteln können und Verständnis fördern können?
Ich möchte mit meinem Film nicht belehrend sein und anderen Leuten erklären, wie sie zu handeln haben. Das ist überhaupt nicht meine Absicht. Aber wenn man sich die Zeit nimmt und einen Film anschaut, der ein bestimmtes Thema behandelt, egal welches, dann macht es doch was mit einem. Was man dann daraus macht, das bleibt jedem selbst überlassen.
Wenn nicht Belehrung, was war dann Ihr Ziel mit Delicious? Was wollen Sie erreichen?
Der Film hat einen politischen Kontext, eine sozialkritische Komponente. Er soll aber auch unterhaltend sein, weil das eine das andere nicht ausschließt. Ich wünsche mir, dass das Publikum eine gute Zeit hat, freue mich aber auch, wenn es im Anschluss etwas mitnimmt.
Wie schwierig war es für Sie, andere von dieser Vision zu überzeugen, gerade auch im Hinblick auf die Finanzierung?
Ich habe großes Glück gehabt. Als Komplizen Film und ich das Drehbuch Netflix gegeben haben, hat es ihnen von Anfang an sehr gut gefallen. Deswegen hatten wir die Möglichkeit, den Film ziemlich schnell auf die Beine zu stellen – wofür ich sehr dankbar bin.
Genrefilme haben in Deutschland bei der Finanzierung oft ihre Probleme. Sind Streamingdienste da eine Chance?
Ja, vielleicht. In meinem Fall hat Netflix immer versucht, eine Lösung für alles zu finden. Das war sehr konstruktiv. Du findest bei Streamern weltweit Filme, die sehr besonders sind. Insofern ist das wirklich eine Chance, wenn du andere Geschichten erzählen willst.
Wie war allgemein die Erfahrung mit Delicious für Sie, eben weil es Ihre erste Regiearbeit war?
Das war eine großartige Erfahrung für mich. Es war eine tolle Zusammenarbeit. Jedes Department hat mit solch einem Enthusiasmus und Leidenschaft gearbeitet. Ich habe viel dazugelernt, was ich in den nächsten Film mitnehmen kann. Da ist ein Traum für mich wahrgeworden.
Dennoch wird das Ganze nicht immer einfach gewesen sein. Was war die größte Herausforderung für Sie?
Die Herausforderung war genau das, was ich suchte: das große Ganze zu sehen. Wenn du einen Film drehst, musst du für alles Entscheidungen treffen und bist verantwortlich. Mir war es wichtig, dass am Ende wirklich der Film herauskommt, den ich machen wollte und bei dem wirklich meine Vision zu sehen ist. Das war die größte Herausforderung.
Vielen Dank für das Interview!
(Anzeige)