Under the Flags the Sun
Under the Flags the Sun
“Under the Flags, the Sun” // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Under the Flags, the Sun, der Dokumentarfilm des paraguayischen Filmemachers Juanjo Pereira, der seine Weltpremiere in der Sektion Panorama bei der Berlinale 2025 feierte, ist eine akribische Rekonstruktion. Anders als klassische Geschichts-Dokus verzichtet der Film auf Interviews, Off-Kommentare oder eine nachträgliche historische Einordnung. Stattdessen verlässt sich Pereira konsequent auf Originalmaterial, das die Jahre der Diktatur Alfredo Stroessners in Paraguay (1954–1989) dokumentiert. Dass der Film überhaupt existieren kann, ist dabei eine kleine Sensation: Nach dem Putsch gegen Stroessner 1989 wurde das nationale Filmarchiv Paraguays gezielt zerstört, um die Deutungshoheit über diese dunkle Epoche zu sichern. Doch Pereira gab sich nicht geschlagen. Er durchforstete Archive in aller Welt, sammelte verlorengeglaubtes Material und rettete, was zu retten war. Am Ende standen 120 Stunden Filmmaterial, aus denen er einen 90-minütigen Film komponierte.

Blick auf eine Diktatur

Der Film beginnt mit einer kurzen geografischen Einordnung Paraguays und zeichnet im Anschluss Stroessners Machtergreifung und die Jahrzehnte seiner Herrschaft nach. Archivaufnahmen, darunter Wochenschau-Szenen und staatliche Propagandafilme, bilden das Rückgrat der Dokumentation. Auffällig ist dabei die Diskrepanz zwischen den wenigen Bildern aus rekonstruiertem paraguayischem Material, das Stroessner als gefeierten Landesvater zeigt, und den ausländischen Quellen, die immer wieder die dunklen Seiten seines Regimes beleuchten. Dabei nimmt Pereira selbst keinen expliziten Standpunkt ein: Er zeigt den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, etwa den Bau des Itaipú-Staudamms, ebenso wie Stroessners fragwürdige Verbindungen zu Exil-Nazis, die in Paraguay Unterschlupf fanden.

Diese Zurückhaltung hat ihren Preis und zugleich ihre eigene filmische Kraft. Ohne Kommentator, der das Gesehene einordnet oder bewertet, bleibt der Zuschauer allein mit den Bildern — und muss sich sein eigenes Urteil bilden. Das organisierte Unrecht und das absurde Hofieren eines Diktators im Ausland werden nicht erklärt, sondern lediglich gezeigt. So entstehen eindrucksvolle Momente, die sich dem Publikum auf eine viel unmittelbarere Weise einprägen, als es eine nachträgliche Analyse je könnte.

Spiegel der Weltgeschichte

Im Verlauf des Films kristallisiert sich dennoch ein klares Bild von Stroessners Regime heraus: Berichte über Folter in paraguayischen Gefängnissen sprechen eine eindeutige Sprache. Genauso entlarvend ist dabei das Material seiner Auslandsreisen: Bei einem Staatsbesuch in Deutschland, dem Land seiner Vorfahren, wird Stroessner freundlich empfangen, trifft sich mit Verwandten in Franken und lässt sich mit Spitzenpolitikern der Bundesrepublik ablichten. Kein Wort in den damaligen deutschen Nachrichten darüber, dass er Naziverbrechern wie Josef Mengele Schutz gewährte. Die Proteste gegen den Diktator werden höchstens am Rande erwähnt, oft als Randnotiz oder gar als Störung abgetan.

Diese ungeschönte Gegenüberstellung macht Under the Flags, the Sun zu mehr als einem Rückblick auf eine vergangene Diktatur. Der Film zeigt nicht nur, wie Stroessner seine Macht zementierte, sondern auch, wie bereitwillig westliche Demokratien dies hinnahmen oder gar unterstützten. Gerade darin liegt seine unheimliche Aktualität: Auch wenn diese Geschichte 1989 mit Stroessners Sturz oder spätestens 2006 mit seinem Tod im brasilianischen Exil endet, lassen sich Parallelen zu heutigen autokratischen Herrschern kaum übersehen.

Mahnmal gegen das Vergessen

Die wahre Stärke des Films liegt jedoch in seiner Rekonstruktionsleistung. Pereira beweist, dass die gezielte Zerstörung eines Archivs nicht ausreicht, um die Wahrheit zu löschen. Die Bilder, die er zusammengetragen hat, zeugen davon, dass die Deutungshoheit über Geschichte nicht allein in den Händen der Mächtigen liegt. Under the Flags, the Sun ist damit nicht nur ein filmisches Denkmal für die Opfer der Stroessner-Diktatur, sondern auch ein Plädoyer dafür, der Vergangenheit ins Auge zu blicken — und die Mechanismen zu erkennen, die Diktaturen möglich machen. Was aktuell vielleicht wichtiger sein könnte, als man es sich vor wenigen Jahren noch vorstellen konnte.

Credits

OT: „Bajo las banderas, el sol“
Land: Paraguay, Argentinien, Deutschland, USA, Frankreich
Jahr: 2025
Regie: Juanjo Pereira
Drehbuch: Juanjo Pereira
Musik: Julian Galày, Andrès Montero Bustamante
Kamera: Francisco Bouzas

Bilder

Trailer

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Under the Flags, the Sun
fazit
“Under the Flags, the Sun” ist die akribische filmische Rekonstruktion einer Diktatur, die durch seine unkommentierte Erzählweise das Publikum zwingt, selbst zu beobachten und zu urteilen. Die Gegenüberstellung von Propaganda und unbequemer Wahrheit macht den Film zugleich verstörend und erhellend — ein Mahnmal gegen das Vergessen und für die Wachsamkeit gegenüber autokratischen Tendenzen.
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