
Auch wenn es so aussieht, als ob die Mächtigen und Einflussreichen das Sagen in unserer Welt hätte, gibt es doch immer wieder Momente, die uns daran erinnern, dass wir alle eine Stimme haben. In seiner vielbeachteten Rede „The Ballot or the Bullet“ erklärt der Menschenrechtsaktivist Malcolm X, dass Afroamerikaner von ihrem Recht zu wählen Gebrauch machen sollten und gegen jegliche Hürden vorgehen müssen, die ihnen dabei im Wege stehen. Die Wahlurne (ballot) kann zu einer Kugel (bullet) werden, wenn man ein klares Ziel vor Augen hat und wenn sich die Afroamerikaner vereinigen würden, könnten sie die politische Landschaft nach ihren Vorstellungen formen. Als Beispiel für seine These nennt Malcolm X die Vereinten Nationen, in denen jede Nation nur eine Stimme habe, egal, wie es sich dabei um ein flächenmäßig kleines Land handle oder eine so große Nation wie die USA.
Malcolm X und mit ihm viele andere Denker aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bezogen sich bei ihren Gedankengängen vielleicht auf jene Vorgänge im Jahre 1961, als die Sängerin Abbey Lincoln und der Schlagzeuger Max Roach den UN Sicherheitsrat stürmten, um gegen die Ermordung des kongolesischen Premierministers Patrick Lumumba zu protestieren. Das Ereignis kann als Höhepunkt einer erhitzt geführten Debatte in den Vereinten Nationen angesehen werden, während der sich viele Politiker gegen die wirtschaftliche und politische Neukolonisation des Kongo und vieler andere afrikanischer Staaten ausgesprochen hatten.
Vergessenes Kapitel
Die Kongo-Krise, die man mit diesen Ereignissen verbindet, ist ein Kapitel des Kalten Krieges, das selten thematisiert wird, aber gerade vor dem Hintergrund aktueller politischer und gesellschaftlicher Debatten sehr relevant wirkt. In seiner Dokumentation Soundtrack to a Coup d’Etat zeigt der belgische Regisseur und Multimedia-Künstler Johan Grimonprez die Ereignisse zwischen den Jahren 1960 und 1965 in einem neuen Licht. Wie in seinen vorherigen Projekten vermischt er dabei verschiedene ästhetische Formen, sodass auch Soundtrack to a Coup d’Etat eher wie ein filmischer Essay wirkt, der zwischen den einzelnen ästhetischen und narrativen Ebenen springt und somit der Komplexität der Ereignisse und Prozesse gerecht wird.
Die Ebene der Politik vermischt sich mit der kulturellen, wenn Künstler wie Dizzy Gillespie, Louis Armstrong oder Nina Simone als „Jazz-Botschafter der USA“ nach Afrika entsandt werden, als eine Art Ablenkung von den Geheimdienstoperationen, die im Kongo und vielen anderen afrikanischen Nationen durchgeführt werden. Soundtrack to a Coup d’Etat ist ein Film über einen komplexen politisch-gesellschaftlichen Prozess, dessen Folgen bis heute spürbar sind und der seinem Zuschauer eindringlich auf die Zusammenhänge zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft hinweist.
Ideologie und Jazz
Dass Grimonprez auch Kurator ist, merkt man der Form von Soundtrack to a Coup d’Etat an vielen Stellen an. Teilweise wirkt der 150 Minuten lange Film mehr wie eine Museumsinstallation, bei der verschiedene Ausdrucksformen, in diesem Falle vor allem Musik und Bild, miteinander verbunden sind zu einer Aussage. Man sollte als Zuschauer zumindest ein gewisses Grundinteresse für das Thema oder noch besser ein historisches Grundwissen über den Kalten Krieg mitbringen, denn von der ersten Minute an wird man hineingeschleudert in verschiedene politische und gesellschaftliche Debatten rund um Themen wie Dekolonisation, die Verantwortung des Künstlers und die Rolle wirtschaftlicher Interessen bei politischen Entscheidungen.
Grimonprez vermischt nicht nur Interviewmitschnitte, sondern zudem eine Unmenge von Archivmaterial sowie unterschiedliche Quellen, beispielsweise aus Sachbüchern zum Thema wie My Country, Africa von Andrée Blouin, Congo Inc. von In Koli Jean Bofane und To Katanga and Back von Conor Cruise O’Brien. Grimonprez geht es jedoch nicht nur um den reinen Informationsgehalt, durch Soundtrack to a Coup d’Etat zieht sich immer wieder ein Bezug zu unserer Gegenwart, zu Themen wie Lobbyismus, der Verbindung wirtschaftlicher und politischer Interessen und das Konzept einer Neukolonisierung von Nationen, dieses Mal jedoch durch mächtige Konzerne.
OT: „Soundtrack to a Coup d’Etat“
Land: Belgien, Frankreich, Niederlande
Jahr: 2024
Regie: Johan Grimonprez
Drehbuch: Johan Grimonprez
Kamera: Jonathan Wannyn
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 2025 | Bester Dokumentarfilm | nominiert | |
Europäischer Filmpreis | 2024 | Bester Film | nominiert | |
Bester Dokumentarfilm | nominiert |
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Zurich Film Festival 2024
Filmfest Hamburg 2024
San Sebastian 2024
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