Nulpen
© Hannes Schulze

Nulpen

Nulpen
„Nulpen“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die Freundinnen Ramona (Bella Lochmann) und Nico (Pola Geiger) sind Nulpen, wie sie im Buche stehen: Schule ist gerade over, irgendeine Art von Motivation ist nicht vorhanden, die Sommersonne knallt auf die eh schon strapazierten Schädel. Die beiden chillen zu Tracks der Rapperin Wa22ermann, kicken Dosen über den Gehweg oder demolieren mit einer Steinschleuder das Fenster eines engagiert-neoliberalen Nachbarn – womit das Unheil seinen Lauf nimmt, denn dieser gibt seinen seltenen Vogel in deren Obhut, den sie kurzerhand freilassen (upsi). Ramona und Nico wissen, dass das Ärger bedeutet, und laufen weg. Egal wohin, Hauptsache in weiter Entfernung einer drohenden Strafe seitens Mutti, und vielleicht lässt sich das exotische Federvieh ja wieder fangen, womit alles geregelt wäre. So beginnt eine Odyssee durch die deutsche Hauptstadt, der sich auch noch Ramonas kleiner umweltbewusster Bruder Noah (Rio Kirchner) auf eigene Faust anschließt, und die Homer vor Neid erblassen lassen würde.

Ikonische Banalität

Allein in den ersten Minuten passiert so viel hintereinander, dass einer der Höhepunkte des Films schon relativ am Anfang im Zuge eines Spätibesuchs folgt – Ramona und Nico lassen einen Shittalk allerhöchster Güte ab, bei dem man meinen könnte, sie wären komplett auf Ketamin. Es geht um Silberfischchen, übergriffige Spinnen und Ninjago. Dies klappt aufgrund des mühelosen Charismas der Schauspielerinnen und des absolut quatschigen Dialogs so gut und wirkt so natürlich aus dem Ärmel geschüttelt, dass der Anschein entsteht, die Szene wäre improvisiert. Der Vibe ähnelt in der Tat einer modernen Version des kultigen „Royal mit Käse“-Nonsens-Gesprächs aus Pulp Fiction, gewürzt mit einer Prise inflationären (aber vollkommen nachvollziehbaren) „Digga“-Gebrauchs, aus dem man ein Trinkspiel machen könnte. Ausgehend von dieser Konversation lässt sich bereits eine ungefähre Fahrtrichtung für Nulpen festlegen: Hier wird ein äußerst schwer zu meisternder Drahtseilakt zwischen Authentizität, Witz und Cringe vollführt, der glücklicherweise im Großen und Ganzen funktioniert.

In Berlin spielende, tagesaktuelle Coming-of-Age-Filme laufen schnell Gefahr, sich in Stereotypen zu verlieren; doch zusätzlich zur verbalen ist auch die optische Konzeption der Charaktere Ramona und Nico bodenständig und authentisch, sämtliche Merkmale vorherrschender Berliner Jugendmode sind vorhanden: schnelle Brille, Choker, Pony, Trainingshose, Glitzer und Schlabberzeug von ReSales oder so. Dabei wirkt die Zusammensetzung keinesfalls wie eine Karikatur, sondern wie, naja, Berlin halt. Es hilft gewiss, dass Regisseurin und Autorin Sorina Gajewski 1994 geboren wurde und damit eine nähere Verbindung zur Zillenial-Generation hat, ergo zu keinem Zeitpunkt der Eindruck entsteht, dass sich hier „How do you do, fellow kids?“-Type-Boomer zur Verhunzung wertvoller Jugendkultur aufmachen.

Doch auch wenn mit dem Hang zu Schabernack in Nulpen super entspannt umgegangen wird, gibt es ein kleines Moralapostelchen: Noah, der insgesamt über die Laufzeit des Streifens als gutes Gewissen fungiert. Ja, Rechtsruck und Klimawandel sind ohne Frage mit die wichtigsten Punkte weltweit, und jede Familie könnte sich an sich glücklich schätzen, so einen motivierten Racker in ihren Reihen zu haben, allerdings zerstört er mit leider ins Pathetische abdriftenden Redepassagen in einigen Momenten die eben noch positiv hervorgehobene Cringe-Balance.

Hoffnung aus jugendlichem Nihilismus

Sobald der „Foot-Trip“ durch Berlin beginnt, kickt die „Climate Crisis Anxiety“ heftig. Überhaupt werden neben all dem Humor und der genuinen Lockerheit größere Diskrepanzen offengelegt: Einerseits reiben sich Ramona und Nico aufgrund ihrer verschiedenen sozialen Hintergründe aneinander, andererseits wissen die Jugendlichen auch unabhängig davon nicht wirklich, was sie mit ihrer Zukunft anfangen sollen – wenn es denn noch überhaupt eine gibt, angesichts von Kriegen und Klimakrise. In diesem Bereich will Nulpen dann doch etwas zu viel, verliert sich in ein-zwei überflüssigen Streitigkeiten und schießt mit der ein oder anderen existenziellen Frage übers Ziel hinaus, was wiederum für die authentische Darstellung des Inneren eines Teenie-Kopfes spricht, aber am ansonsten sehr runden Storytelling rüttelt.

Trotzdem wird es aufgrund der unterhaltsamen Charaktere und Geschehnisse nicht langweilig oder redundant, die eher kurze Laufzeit des Films mit 75 Minuten tut ihm ebenfalls einen Gefallen. Die Botschaft ist deutlich: Die Generationen Z und Alpha müssen auslöffeln, was die Boomer angerichtet haben. Die progressive Vision wird laut DFFB zusätzlich mit der „Green Producing“-Methode unterstrichen, die es sich zum Anliegen nahm, den Dreh so nachhaltig wie möglich zu gestalten.

Credits

OT: „Nulpen“
Land: Deutschland
Jahr: 2025
Regie: Sorina Gajewski
Drehbuch: Sorina Gajewski
Musik: Lucas Castillo
Kamera: Hannes Schulze
Besetzung: Bella Lochmann, Pola Geiger, Rio Kirchner

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Nulpen
fazit
„Nulpen“ illustriert nicht nur in einer überraschend spritzigen Tonalität die Freundschaft zweier Mädels im zeitgenössischen Berlin, sondern bildet mit eben jenen nonchalanten Protagonistinnen einen Querschnitt durch die Gefühlswelt der Generation Z. Aktueller Slang, kurzweiliges Tempo und die unverblümte Schilderung von Problemen machen Sorina Gajewskis ersten Langspielfilm zu einem gelungenen Coming-of-Age-Zeitzeug*innenbericht, anhand dessen in z.B. 20 Jahren derzeitige Lebensrealitäten gut nachvollzogen werden können.
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