Kurze Begegnungen Korotkije wstretschi
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Kurze Begegnungen

Kurze Begegnungen Korotkije wstretschi
„Kurze Begegnungen“ // Deutschland-Start: 21. September 2023 (DVD)

Inhalt / Kritik

Schon seit Stunden versucht Walentina (Kira Muratowa), Leiterin der Kommunalwirtschaft, eine Rede für den bevorstehenden Landwirtschaftskongress zu schreiben. Da Agrarwirtschaft nicht ihr Fachgebiet ist, fällt es ihr schwer, jedoch wird ihre Bitte, jemand anderen mit der Aufgabe zu betreuen, von ihrem Vorgesetzten abgelehnt. Zumindest aber meldet sich mit Nadja (Nina Ruslanowa) eine junge Frau auf ihre Anzeige für eine Haushaltshilfe, sodass Walentina zumindest hier etwas Entlastung erhält. Auch hat sie etwas Gesellschaft, denn ihr Freund Maxim (Wladimir Wyssozki) ist seit einer ganzen Weile schon verschwunden. Das erste Gespräch mit Nadja, die vom Land kommt, ist jedoch etwas schwierig, denn die junge Frau fühlt sich sichtlich unwohl und will schon nach wenigen Minuten, dass Walentina sie zum Bahnhof bringt, damit sie zurück nach Hause kann. Besonders als sie von Maxim erfährt, wird sie unruhig und will die Wohnung wieder verlassen.

Was Walentina nicht weiß, Nadja ist auf der Suche nach Maxim, dessen Arbeit als Geologe für die Verwaltung ihn zu dem Café brachte, in dem sie für eine Weile arbeitete. Die lockere Art Maxims fand Nadja sehr attraktiv, sodass es nicht lange dauerte, bis sie sich in ihn verliebte. Als seine Arbeit beendet war und er zurück in die Stadt musste, gestand sie ihm ihre Liebe, doch Maxim wollte keine Beziehung mit ihr. Da sie ihn vermisst, folgte sie ihm in die Stadt, in der Hoffnung, ihn wiederzusehen und vielleicht doch umzustimmen.

Dich kenne ich nicht.

Die einfachen Bürger, ihre Beziehungen und ihre Widersprüche sind die Themen der ukrainischen Regisseurin Kira Muratowa. Eigentlich würde man meinen, damit hätte sie leichtes Spiel bei den sowjetischen Zensoren gehabt, doch indem sie den Alltag ihrer Figuren zeigte, ihre Kämpfe mit dem bürokratischen System oder dessen Fallstricken, wurde der Vertrieb ihrer Filme behindert und sie wurde sogar mit einem Berufsverbot abgestraft. In den letzten Jahren haben diverse Wiederveröffentlichungen und Restaurierungen ihrer Werke für eine Wiederentdeckung der Filmemacherin gesorgt, wie man an der Heimkinoveröffentlichung ihrer Filme Kurze Begegnungen und Langer Abschied sehen kann. Kurze Begegnungen, ihr insgesamt dritter Spielfilm, ist eine interessante Einführung in ihr Werk, ihre Themen und ihre Erzählweise.

Im Wikipedia-Eintrag zur Regisseurin steht unter anderem, dass Kurze Begegnungen ein Liebesdrama sei und weniger politisch. Beide Labels sind nicht unbedingt zutreffend, wie schon die ersten Minuten des Spielfilms zeigen, wenn man zwischen den Zeilen lesen (oder vielmehr sehen) kann. Liebe und Sehnsucht bringen die Figuren, in diesem Falle Nadja und Walentina zusammen, doch zugleich ist es das Fehlen Maxims, das im Raume steht und beide Gefühle unerfüllt lässt. Die Beamtin empfindet das Fehlen als so stark, dass ihre Selbstgespräche eigentlich Dialoge mit dem fehlenden Maxim sind, dessen Ratschläge sie immer wieder einforderte. Die Sehnsucht lässt Nadja wie auch Walentina sich in einem Labyrinth der Erinnerungen verlaufen, was die Erzählstruktur des Films belegt. Das Fehlen eines Menschen macht diese Figuren unvollständig und verwirrt, sodass Muratowa zwischen Gegenwart und Rückblenden wechselt, wobei die Erinnerungen meist ausgelöst werden durch Details wie eine gerissene Gitarrensaite oder die Bemerkung des Gesprächspartners. „Dich kenne ich nicht“, wie es an einer Stelle heißt, fast gut zusammen, in welchem Gefühlszustand sich die Figuren befinden, auch Maxim.

Gefühl, Handeln und Ideologie

Es mag sein, dass die unerfüllte Liebe und die Sehnsucht im Vordergrund von Kurze Begegnungen stehen, jedoch ist der Film alles andere als unpolitisch. Der Zustand der Unvollkommenheit spiegelt sich beispielsweise in der Arbeit wider, die Walentina verrichtet und die sie tagtäglich mit unzufriedenen Bürgern konfrontiert, die die Versprechungen der Politik endlich in der Praxis umgesetzt sehen wollen. Der Widerspruch, dass man nicht auf Pflichtgefühl etwas sagen oder tun will, verändert sich in der Realität, die verlangt, dass man macht, was die Vorgesetzten einem sagen, sei es die Rede bei einem Kongress oder das Überzeugen einer Gruppe skeptischer Arbeiterfamilien. Die Ideologie steht dem Handeln und dem Gefühl im Weg, zumindest aber der Aufrichtigkeit, mit der man anderen Menschen begegnen will, was bisweilen das Marionettenhafte mancher Dialoge und Verhaltensweisen der Figuren erklären mag. Kurze Begegnungen ist deswegen noch lange kein Sozialdrama, aber eine politische Ebene hat der Film durchaus.

Credits

OT: „Korotkije wstretschi“
Land: Sowjetunion
Jahr: 1968
Regie: Kira Muratowa
Drehbuch: Leonid Schuchowizki, Kira Muratowa
Musik: Oleg Karawaitschuk
Kamera: Gennadi Karjuk
Besetzung: Nina Ruslanowa, Wladimir Wyssozki, Kira Muratowa, Lidija Basilskaja, Olga Wiklandt

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Kurze Begegnungen
fazit
„Kurze Begegnungen“ ist ein Film über Liebe, Sehnsucht und den Widerspruch von Ideologie und Überzeugung. Kira Muratowa legt einen Film vor, der subtil, manchmal berührend und dann wieder sehr komisch und bizarr von den Verwirrungen von Menschen erzählt.
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