The Night
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The Night

The Night
„The Night“ // Deutschland-Start: 22. September 2022 (MUBI)

Inhalt / Kritik

Nach einem Ausspruch des russischen Filmemachers Andrei Tarkowski, sollte man als Zuschauer, vor allem aber als Regisseur, nicht einfach nur schauen, sondern genau hinsehen. Begreift man Film, wie es Tarkowski getan hat, als das Festhalten von Zeit und das Modellieren mit dieser, dann ist das Medium, viel mehr noch als Fotografie, etwas, das den Betrachter in eine neue Beziehung zu Raum, Zeit und Figuren sowie deren Konflikte versetzt. Im Bereich des etwas despektierlich betitelten „slow cinema“, zu dem neben Filmemachern wie Lav Diaz oder Bela Tarr auch der chinesisch-malaysische Regisseur Tsai Ming-liang zugeordnet wird, findet man noch diese Idee Tarkowski, der konsequenterweise als ein „Begründer“ dieser Richtung gesehen wird. In Werken wie Der Fluss, Stray Dogs oder Rizi erzählt Tsai auf der einen Seite Geschichten um Liebe und Verlust, blickt aber auch immer wieder auf die Veränderungen in seiner Heimat, hält diese fest und setzt diese in Verbindung zu den Befindlichkeiten seiner Charaktere, die ebenso mit einer Veränderung zu kämpfen haben. Besonders deutlich wird dieses Merkmal seines Werkes in den Kurzfilmen und Dokumentation, wie dem 2021 gedrehten The Night, der sich mit den Veränderungen in Hongkong befasst, einer Metropole, die dem Regisseur, wie er im Statement zum Film erklärt, seit seiner Kindheit sehr ans Herz gewachsen ist.

Über eine Laufzeit von 20 Minuten sehen wir statische Aufnahmen oder vielmehr Eindrücke des Nachtlebens der Stadt. Neben belebten Ecken wie einer Bushaltestelle oder einer Straßenkreuzung sind es aber auch Orte, an denen man als Passant wahrscheinlich schnell vorbeigehen würde, wie beispielsweise eine Unterführung oder einer von Plakatfetzen gesäumte Metalloberfläche, in der sich Teile der Stadt spiegeln. Am Ende ertönt dann ein chinesischer Schlager aus den 1940er Jahren, der von dem Vergehen der Zeit spricht, vom Vergehen der Nacht und warum dies den Sänger so traurig macht. Der Titel ist zugleich der Originaltitel des Kurzfilmes, der auf MUBI zu sehen ist.

Die unsichtbaren Hände der Zeit

In einer Definition von „slow cinema“ erklärte Lav Diaz im Interview mit film-rezensionen, dass es sich dabei um das Einlassen des Regisseurs auf den Raum handelt. Weniger der artifizielle Schnitt oder das „Cut“ des Filmemachers geben dabei den Rhythmus an, sondern vielmehr der Raum an sich, was dem Film insgesamt eine natürlichere Harmonie geben soll. In gewisser Weise kann man auf einen Film wie The Night eben diese Definition sehr gut anwenden, denn die Kamera hält so lange auf ein Motiv, bis ein Ereignis, beispielsweise das Erscheinen eines Busses, die Szene beendet und es zum nächsten Bild weitergeht. Insgesamt wirkt dies wie eine Meditation oder eine Museumsinstallation, in der sich Tsai mit dem Vergehen der Zeit ebenso auseinandersetzt wie der Textur einer Metropole, dich sich konstant zu verändern scheint und nur bei Nacht für einige kostbare Momente Luft holt. Diese Augenblicke versucht er mit seiner Kamera einzufangen, was zu einem nostalgischen, neugierigen und bisweilen humorvollen Blick auf die Stadt wird.

Credits

OT: „Liang ye bu neng liu“
Land: Taiwan
Jahr: 2021
Regie: Tsai Ming-liang
Drehbuch: Tsai Ming-liang
Kamera: Tsai Ming-liang

Filmfeste

Venedig 2021

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The Night
fazit
„The Night“ ist eine Kurzdokumentation über das Vergehen der Zeit und die Veränderungen der Räume in einer Großstadt, in diesem Falle Hongkong. Tsai Ming-liangs Kamera fängt das Leben in der Metropole ein, die belebten Zonen wie auch diese, an denen man schnell vorbeigeht und die man ignoriert und verbindet dies zu einem wehmütigen Blick auf einen Ort, der konstant in Bewegung ist und dessen Veränderung zu schnell geht, als dass man sie festhalten könnte.
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