Jean Jacques Annaud Notre Dame in Flammen Interview
© Filmfest München 2022

Jean-Jacques Annaud [Interview]

Der Schock war groß weltweit, als das französische Wahrzeichen Notre-Dame de Paris plötzlich brannte und niemand wissen konnte, ob die berühmte Kathedrale noch gerettet werden kann. In seinem Film Notre-Dame in Flammen (ab 28. Juli 2022 auf DVD und Blu-ray) erinnert Jean-Jacques Annaud an die dramatischen Stunden und erzählt, wie eine Gruppe junger Feuerwehrmänner das Unmögliche möglich machen wollte, aber auch wie die Bevölkerung diese Zeit erlebt hat. Wir haben den französischen Regisseur bei der Deutschlandpremiere beim Filmfest München 2022 getroffen und zu der Arbeit an dem Film befragt.

 

Wie bist du auf die Idee für Notre-Dame in Flammen gekommen? Warum wolltest du diesen Film drehen?

Als ich von dem Vorfall hörte, war ich davon überzeugt, dass hunderte wenn nicht gar tausende von Filmemachern etwas zu dem Thema machen würden. Du hast hier alles, was du für einen Film brauchst. Du hast die Spannung. Du hast das Drama. Ich habe das deshalb danach nicht weiter verfolgt, obwohl mir die Kathedrale sehr nah ist. Notre-Dame war immer Teil meines Lebens und bestimmt mich als Einwohner von Paris. Dennoch hätte ich von mir aus nicht daran gedacht, selbst einen Film zu drehen. Darauf bin ich erst gekommen, als man mich gefragt hat, ob ich nicht Recherchen zu dem Thema machen möchte, um zu sehen, was das hergibt. Überzeugt war ich davon nicht. Ich tat es mehr als eine Art Gefälligkeit. Als ich mich damit auseinandersetzte, wurde mir jedoch klar, dass die Geschichte sehr viel spannender ist, als ich es zuvor gedacht hatte. Was mich daran so fesselte: Nicht die moderne Technik hat die Kathedrale gerettet, sondern die guten Herzen junger Männer, die sich selbst als weniger wichtig empfanden als Notre-Dame und deswegen bereit waren, ihr Leben zu riskieren.

Wie fühlte sich das für dich selbst an, als du damals vom Brand von Notre-Dame hörtest?

Der Brand fand zu einer Zeit statt, als in Frankreich gerade die Proteste der Gelbwesten das Land spalteten. Als dann auch noch Notre-Dame brannte, war das für mich wie das Ende der Welt. Die Kathedrale ist ein bedeutendes Symbol Frankreichs, mit einer Geschichte, die über 850 Jahre alt ist. Ich war davon überzeugt, dass die Kirche zusammenstürzen würde und damit auch ein Teil der westlichen Welt. Sie ist die meistbesuchte Kirche der Welt und ein so wichtiger Ort für die Menschen, egal welchen Glauben sie haben. Der Verlust wäre unermesslich gewesen, nicht nur für Paris und Frankreich, sondern für alle. Und ich war davon überzeugt, dass wir nichts dagegen werden tun können. Dass wir gar nicht darauf vorbereitet sind, weil wir Notre-Dame inzwischen als selbstverständlich nahmen.

Du hast die jungen Männer erwähnt, die ihr Leben riskierten. Wäre es deiner Meinung nach wert gewesen, sein Leben für Notre-Dame zu geben?

Zum Glück ist keiner von ihnen dabei gestorben! Und um ganz ehrlich zu sein: Ich glaube nicht, dass ich den Film gemacht hätte, wäre jemand dabei zu Tode gekommen. Es wäre sicher heldenhaft gewesen. Etwas, das ich bewundert hätte, einen solchen Einsatz. Aber kann eine Kathedrale wichtiger sein als das Leben eines Menschen? Es fällt mir schwer, das zu akzeptieren. Für mich ist ein Leben wichtiger. Ein Gebäude kannst du wieder aufbauen. Du kannst einen Menschen aber nicht zurück ins Leben holen.

In Katastrophenfilmen ist es meistens so, dass du einen Helden hast oder zumindest eine kleine Gruppe von Helden, bei denen man persönlich mitfiebert. In deinem Film sind es hingegen ganz viele Figuren. Warum hast du in der Hinsicht keinen traditionellen Katastrophenfilm gedreht?

Ich habe einen Helden! Genauer eine Heldin: Notre-Dame ist die Heldin meines Films. Sie ist der schöne und berühmte Star, dessen Leben in Gefahr ist und der von anderen gerettet werden muss. Das ist eine ganz klassische Struktur. Wir haben auch einen Schurken in Gestalt des Feuers, das alles zu vernichten droht. Und eben die guten Leute, die diesem Schurken entgegentreten.

Und wie schwierig war es für dich, das Drehbuch zu schreiben, gerade weil es so viele Figuren in deinem Film gibt und du ständig zwischen ihnen wechselst?

Das war auf jeden Fall eine Herausforderung. Meine Aufgabe war es, dass jede neue Figur interessant und einprägsam genug ist, damit das Publikum sie auch wiedersehen will. Und das ist nicht einfach, wenn du wie ich 40 Figuren hast, zwischen denen du wechselst. Ich musste dann bei jeder neuen Szene auch überlegen, wessen Geschichte ich weitererzähle. Nehme ich den Priester? Den General? Einen der Feuerwehrmänner? Oder jemand aus dem einfachen Volk? Wer wäre jetzt am interessantesten? Wenn ich eine Geschichte nehme, die das Publikum langweilt, riskiere ich, dass es vorher aussteigt. Das war wie ein riesiges Puzzle, das ich zusammensetzen musste.

Und wusstest du schon beim Schreiben, wie du dieses Puzzle zusammensetzen würdest, oder geschah das erst während des Schnitts?

Das war schon beim Schreiben alles festgelegt. Ich liebe es, Drehbücher zu schreiben, mehr als alles andere, weil ich mir dabei vorstellen kann, was ich will. Ich kann die Spannung des Films schon spüren, während ich schreibe, und weiß genau, wie lang jede einzelne Szene gehen soll.

Und wie lang hat es gedauert, dieses Drehbuch zu schreiben?

Das war sehr viel kürzer als gewöhnlich. Normalerweise brauche ich anderthalb Jahre, um ein Drehbuch zu schreiben, zwischen der Recherche und dem eigentlichen Schreiben. Dieses Mal war ich in meinem Landhaus eingesperrt wegen der Pandemie. Es gab keine Premieren, zu denen ich musste. Keine Filmfeste. Keine Freunde. Nichts. Nur meine Frau, meine Tochter und ihr Mann. Das gab mir viel Zeit, jeden Tag von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends zu schreiben. Deswegen waren es am Ende nur sechs Monate.

Wir haben vorhin von Helden und Heldinnen gesprochen. Was macht für dich jemanden heldenhaft?

Das ist ganz einfach: Jemand ist dann ein Held, wenn du dich mit ihm identifizieren willst. Die Antwort kann daher ganz individuell sein. Eine Putzfrau ist da ebenso möglich wie die Kaiserin von Russland oder ein Taucher in der Karibik. Für die einen ist das ein Mann mit einem Ferrari, vielen Tätowierungen und einer Frau mit Silikonbrüsten. Für andere wird es jemand sein, der in Kamerun geboren ist und wider aller Umstände der beste Klavierspieler der Welt wird. Ein Held zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass er eine schwierige Situation durchmacht und diese durch das eigene Talent überlebt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Jean-Jacques Annaud wurde am 1. Oktober 1943 in Juvisy-sur-Orge, Frankreich geboren. Er begann seine Karriere mit dem Dreh von Werbespots. Sein erster Spielfilm Sehnsucht nach Afrika (1976), in dem er seine Erfahrungen als Entwicklungshelfer in Kamera verarbeitete, brachten ihm einen Oscar für den besten ausländischen Film ein. Zu seinen berühmtesten Werken zählen die Literaturverfilmung Der Name der Rose (1986) und Sieben Jahre in Tibet (1997).



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