Ear for Eye

Ear for Eye

Ear for Eye
„Ear for Eye“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die britische Dramatikerin, Regisseurin und Drehbuchautorin debbie tucker green veröffentlicht seit über 20 Jahren Theaterstücke, wurde mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnet und legt nun mit Ear for Eye ihren zweiten Film vor, der auf ihrem gleichnamigen, 2018 uraufgeführten Stück basiert. Von einer wirklichen „Verfilmung“ des Theaterstücks zu reden, wäre jedoch zu ungenau, denn hierbei handelt es sich um eine gefilmte Bühnenaufführung des Stücks, die allerdings mit zahlreichen Finessen und kreativen Einfällen aufwartet, um die Erfahrung für den Zuschauer so interessant wie möglich zu machen. Eine Handlung im Sinne eines Spielfilms hat das Stück allerdings nicht. Es setzt sich aus drei Segmenten zusammen, die aus zum Teil fragmentarisch wirkenden Berichten und Monologen schwarzer Personen zu Rassismuserfahrungen, Polizeigewalt und Rollenbildern bestehen.

Schnelle Dialoge auf leerer Bühne

Sowohl thematisch als auch formal ist Ear for Eye also keine leichte Kost und stellt eine wohl für viele Zuschauer ungewohnte Mischung aus Sozialdrama, Dokumentation und modernem Theater dar. Die bis auf eine Ausnahme alle schwarzen Darsteller agieren auf einer leeren Bühne oft vor dunklem Hintergrund. Das rückt sowohl das expressive Schauspiel als auch die äußerst stilisierten und schnellen Dialoge in den Vordergrund. Man muss des Englischen schon sehr gut mächtig sein, um hier stets allem folgen zu können – auch, weil sich die Darsteller mit ihren Dialogzeilen immer wieder überschneiden. Dies trifft in erster Linie auf das erste der drei Segmente zu, wo der Film teils in schnellem und abruptem Wechsel unterschiedliche Szenen durchspielt, in denen zum Beispiel eine Mutter mit ihrem Sohn darüber diskutiert, wie er sich als schwarzer Teenager zu kleiden habe, um nicht negativ aufzufallen. Andere Figuren liefern sich hitzige Debatten über Rollenbilder und sozialen Wandel, in denen immer wieder der Frust und die Verzweiflung angesichts der massiven Ungleichbehandlung von Schwarzen zum Ausdruck kommen. Die Schauspieler wurden für den Film übrigens größtenteils neu gecastet, weil das ursprüngliche Bühnenensemble für die Dreharbeiten nicht mehr zur Verfügung stand.

Die tägliche rassistische Gewalt

Das mittlere ist das konventionellste der drei Segmente und stellt schon fast so etwas wie einen kurzen Einakter mit zwei Figuren dar. Eine schwarze Studentin, gespielt von Lashana Lynch (James Bond 007: Keine Zeit zu sterben), und ihr weißer Professor (Demetri Goritsas), liefern sich hier ein ausführliches Streitgespräch. (Die exakten Rollen der beiden Figuren werden allerdings nie explizit benannt. In welchem Verhältnis sie zueinander stehen, ist also größtenteils der Interpretation des Zuschauers überlassen.) Es geht unter anderem um Amokläufe an Schulen und immer wieder um die Frage, wie viel Gewalt und Bedrohung von Weißen gegen Schwarze allgemein ausgeht. Das Theatersetting lässt den Zuschauer ohne Ablenkungen ganz nah an die Figuren heran, deren Darsteller zur Hochform auflaufen und sich tucker greens geschliffene Dialoge geradezu um die Ohren schleudern. Visuell für etwas Abwechslung gesorgt wird dabei durch eine Drehbühne und Projektionen im Hintergrund. Genau wie im ersten Segment sorgen außerdem Kameraeinstellungen und Beleuchtung dafür, dass das filmische Ergebnis trotz des aufs Nötigste reduzierten Bühnenbilds immer wieder eindrucksvoll aussieht.

Das Gesetz der Sklaverei

Teil drei von Ear for Eye ist schließlich der zumindest aus rein dramaturgischer Sicht vielleicht langweiligste Teil des Films. Darin zitieren nämlich zahlreiche unterschiedliche Darsteller aus amerikanischen Gesetzestexten, die die Segregation schwarzer und weißer Menschen oder den Umgang mit Sklaven regelten. Das ist einerseits äußerst trocken und sachlich, entfaltet aber mit der Zeit aber eine durchschlagende Wirkung, wenn man etwa immer wieder mit menschenverachtenden Regelungen zur Brandmarkung von Sklaven im Fall von Fluchtversuchen konfrontiert wird. Überhaupt ist Ear for Eye zu keinem Zeitpunkt leichte Kost. Ganz besonders, wer selbst von Rassismus betroffen ist, dem dürften die geschilderten Situationen extrem nahe gehen. Für alle Zuschauer, die sich glücklich schätzen können und noch nie Erfahrungen mit Benachteiligung, Herabwürdigung, Polizeigewalt oder Rassismus machen mussten, ist der Film ein hoch interessantes Lehrstück, das sie in eine andere Lebenswelt hineinversetzt. Selbst wenn man aufgrund der stilisierten Sprache, der schnellen Dialoge und des trotz aller kreativen Bemühungen für filmische Verhältnisse etwas eintönigen Settings mal etwas verpasst, hinterlässt Ear for Eye dennoch bleibenden Eindruck.

Credits

OT: „Ear for Eye“
Land: UK
Jahr: 2021
Regie: debbie tucker green
Drehbuch: debbie tucker green
Musik: Luke Sutherland
Kamera: Joel Honeywell, Luciana Riso
Besetzung: Hayden Mclean, Sharlene Whyte, David Gyasi, Lashana Lynch, Demetri Goritsas, Carmen Munroe

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Ear for Eye
Fazit
Einerseits ist „Ear for Eye“ eine verkopfte, intellektuelle Auseinandersetzung mit hochbrisanten Themen, die nicht für jeden Zuschauer leicht zugänglich sein dürfte. Lässt man sich aber darauf ein, erwartet einen ein hervorragend gespielter, intensiver Film, der Theaterliebhabern sowieso uneingeschränkt zu empfehlen ist.
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