The Territory
© Alex Pritz/Amazon Land Documentary

Inhalt / Kritik

Die Uru-eu-wau-wau leben in Brasilien nahe der Bolivianischen Grenze in einem ihnen zugesprochenen autonomen Stück Land. Der inzwischen auf etwa 200 Menschen gesunkene Stamm kämpft seit Beginn der Kolonialisierung Brasiliens ums Überleben. Doch die Lage hat sich seit dem Amtsantritt Jair Bolsonaros im Jahr 2019 erheblich verschlechtert. Die Rechte der Indigenen verschwinden und die Abholzung des Regenwaldes in ihrem Territorium schreitet voran. Gemeinsam mit der Aktivistin Neidinha Bandeira versuchen sich die Uru-eu-wau-wau zu wehren.

Der nicht endende Kolonialismus

The Territory arbeitet sich an verschiedenen Dingen ab, die die brasilianische Bevölkerung schon seit langem durchfließt und nun mit der Politik Bolsonaros ihr hässliches Gesicht zeigt. Dabei steht der Präsident natürlich an vorderster Front der Kritisierten. Explizit auf Gesetzesänderungen wird nicht eingegangen, vielmehr arbeitet der Film mit Ausschnitten voller hasserfüllter homophober, rassistischer und demokratiefeindlicher Aussagen Bolsonaros und zeigt die Auswirkungen seiner Politik auf Umwelt, Minderheiten und anderweitig Benachteiligte.

Herausgestellt wird dabei immer wieder die Ähnlichkeit einiger Entwicklungen mit den historischen Ereignissen zur Zeit des Kolonialismus in Brasilien. Neben den offensichtlichen Gemeinsamkeiten wie Landraub, Ausbeutung und Anfeindung von Indigenen werden beispielsweise auch Parallelen zwischen der überdurchschnittlich hohen Sterberate der indigenen Bevölkerung an COVID-19 und dem Sterben indigener Menschen durch eingeschleppte europäische Krankheiten im 16. und 17. Jahrhundert gezogen. Auch die schlechte Aufarbeitung des Kolonialismus wird scharf kritisiert. Immer wieder werden Menschen gezeigt, die stolz auf die Entstehung Brasiliens sind und kein Verständnis für die Sonderrechte der indigenen Bevölkerung haben. Ihnen scheint es nicht bewusst zu sein, dass ihr Land auf Genoziden erwachsen ist und das auch heute, zumindest in kultureller Form, immer noch tut.

Denn die Zerstörung des Regenwaldes im Territorium der Uru-eu-wau-wau ist für den Film nicht nur aus einer umweltschützenden Perspektive, sondern auch aus einer kulturellen Perspektive essenziell. Der Film schafft es, sehr eindringlich die Angst der Uru-eu-wau-wau vor dem kulturellen Verschwinden abzubilden. Der extrem schwierigen und komplexen Frage, inwiefern indigene Stämme das Recht haben, isoliert, ohne demokratische Verfassung und festgeschriebenes Konzept von Menschenrechten zu existieren, nähert sich The Territory nur indirekt, indem die Problematik der erschwerten Kommunikation zwischen beiden Parteien gezeigt wird.

Der Brasilianische Traum

Grundsätzlich versucht der Film kaum, eine abwägende Erforschung der Situation zu sein. Vielmehr sieht sich The Territory als Plädoyer für die Rechte der Uru-eu-wau-wau. So zeichnet er neben der Regierung klare Antagonisten in den Bauern und Waldarbeiten, die in das Land der Uru-eu-wau-wau eindringen, um Rohstoffe und Weideland zu gewinnen.

Interessant ist, dass der Film den Bauern und Waldarbeitern trotzdem eine Stimme gibt und mehreren von ihnen folgt und zum Thema befragt. Neben pro-kolonialistischen und religiösen Rechtfertigungen für das Verhalten fällt dabei immer der Begriff vom Brasilianischen Traum. Der Traum, Land zu besitzen als einzige Möglichkeit, aus den Slums herauszukommen. Man müsse so vorgehen, um zu überleben. Der Film schenkt diesen Argumenten nur wenig Beachtung und räumt ihnen keinerlei Berechtigung ein, was im Fall der ersten beiden völlig verständlich und richtig ist, im Fall des letzten aber etwas kurzsichtig erscheint.

Das heißt nicht, dass das Verhalten der Verantwortlichen legitim ist, dass sich der Film aber nicht bemüht, nach weiteren Verantwortlichen zu suchen, muss ihm angekreidet werden. Wenn Menschen sich aus sozialer und finanzieller Not heraus genötigt sehen, zu stehlen, etc., rechtfertigt das ein solches Verhalten nicht, allerdings müssen auch die Umstände, die dazu führten untersucht werden. Und genau das tut The Territory nicht. Die anfangs so stark kritisierte Regierung wird hierbei nicht in die Verantwortung gezogen und auch über den Einfluss von aus- wie inländischen Konzernen wird nicht berichtet. Der Film fokussiert sich zu sehr auf die Emotionalisierung des Problems, anstatt alle Faktoren mit einzubeziehen und ein vollständigeres Urteil abzugeben.

Starke Emotionalisierung

Diese Emotionalisierung findet sich vor allem in der beeindruckenden Inszenierung wieder. Gerade auditiv findet eine starke Semantisierung des Waldes als Ort des Friedens und der Uru-eu-wau-wau als über diesen Frieden wachende Instanz statt. Neben der beeindruckenden Lebendigkeit der Waldgeräusche geschieht das vor allem durch die Musik, die verträumte Klänge mit indigener Musik abwechselt und dem Wald eine fast schon magische Wirkung verleiht.

Dazu kommen zahlreiche visuelle Besonderheiten wie Drohnenaufnahmen, Zeitraffer oder Close-ups, die dieser Magie des Waldes eine faszinierende Fragilität entgegensetzen. Insbesondere der Kontrast zu Städten und Siedlungen der Bauern sowie den Maßnahmen zur Beseitigung des Waldes, also Sägen und Feuer, ist sowohl auf der auditiven wie visuellen Ebene bemerkenswert.

Diese Inszenierung ändert sich aber im letzten Drittel abrupt, indem sich die Kamera-Crew zurückzieht und die Uru-eu-wau-wau selbst zu filmen beginnen, was aber entsprechend der innerfilmischen Entwicklung seine eigene und passende Wirkung entfalten kann.

Credits

OT: „The Territory“
Land: Brasilien, Kanada, Dänemark, USA
Jahr: 2022
Regie: Alex Pritz
Kamera: Alex Pritz, Tangãi Uru-eu-wau-wau
Musik: Katya Mihailova

Bilder

Filmfeste

Sundance 2022
DOK.fest München 2022

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

The Territory
Fazit
„The Territory“ ist ein beeindruckend inszenierter und sehr wütender Film, der über eine höchst spannende Entwicklung im brasilianischen Regenwald berichtet. Das gelingt ihm über weite Teile sehr gut, allerdings geht er stellenweise zu sehr in seine Empörung auf und verliert somit einige wichtige Punkte der Debatte aus dem Auge.
Leserwertung2 Bewertungen
5.1