Stand up my Beauty
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Stand up my Beauty

„Stand up my Beauty“ // Deutschland-Start: 19. Mai 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Zufall ist ein guter Ratgeber. Heidi Specogna wollte eigentlich einen anderen Film machen, als sie die äthiopische Sängerin Nardos zum ersten Mal hörte. Deren kraftvolle Stimme und innere Stärke enthalten ein Versprechen. Die Schweizer Dokumentarfilmerin spürt das leise Charisma und begleitet Nardos Wude Tesfaw über fünf Jahre. Nicht von Auftritt zu Auftritt, sondern vor allem bei ihrer Reise durch das Land, auf der sie Stoff sucht für ihr erstes eigenes Lied. Es soll gesättigt sein von den Schicksalen der Mädchen und Frauen, die noch immer in unfassbar jungen Jahren zwangsverheiratet werden. Nardos hört den Frauen zu. Und auch der Film spitzt die Ohren. Aus Nardos’ Recherchen und eigenen Eindrücken webt er einen komplexen Teppich aus Beobachtungen.

Unter dem Deckmantel der Tradition

Fragen stellen mag in Europa ein selbstverständlicher Akt sein. In Äthiopien hat er etwas Revolutionäres. Die Zwangsheirat von Kindern ist offiziell verboten, geschieht aber weiterhin unter dem Deckmantel der Tradition. Niemand spricht von sich aus darüber. Nur mit einer sanft nachfragenden Frau, die selbst Bescheid weiß, kommt die Wahrheit zu Tage. Nardos Wude Tesfaw war am eigenen Leib von diesem Schicksal bedroht in dem armen Dorf im Norden, von wo ihre Mutter, die sich der Tradition widersetzte, sie weggeben musste. Im Alter von sieben zog Nardos zu ihrer Tante in die Hauptstadt Addis Abeba.

Im Rückblick sieht sie den herzzerreißenden Abschied zwiespältig. Zwar konnte das Mädchen weiter zur Schule gehen und musste nicht einem Mann dienen, aber die Tante verbot ihr das geliebte Singen. Also riss sie aus und schlug sich als Tagelöhnerin auf Baustellen durch, wo die Mädchen, wie der Film zeigt, schwerste Arbeit übernehmen: Steine und Schutt wegtragen mit bloßen Händen. Inzwischen ist Nardos zweifache Mutter und kann vom Gesang leidlich leben. Aber einen Star, wie man sich ihn hierzulande vorstellt, kann man die hart arbeitende junge Frau nicht nennen. Auch wenn sie mit der Band „Ethiocolor“ schon auf Europa-Tournee war.

Ist das ein und dieselbe Stadt? Die Kamera von Johann Feindt blickt auf Wellblechhütten und Glaspaläste, auf dreispurige Straßen und unbefestigte Wege. Eine alte Frau trägt schwer an einem Haufen Brennholz, irgendwo sitzt ein Hund neben notdürftig zusammengeflickten Behausungen, die eher einer Müllhalde gleichen. Die Kontraste sind extrem in der rasant wachsenden Millionenmetropole. Wo vor kurzem noch eine Kirche stand, ist alles plattgemacht, bereit für den nächsten Wolkenkratzer einer chinesischen Baufirma.

Die Filmemacher nutzen einen verblüffenden Trick, um das Tempo der Veränderungen zu verdeutlichen. Sie stellen im Laufe der über Jahre dauernden Dreharbeiten die Kamera immer wieder an dieselbe Stelle, in der gleichen Einstellung mit identischer Brennweite. Überblendet man dann etwa eine Schlange von Jobsuchenden vor einem Gebäude mit Aufnahmen aus den Folgejahren, löst sich wie von Geisterhand das Jobcenter auf. Wohin die Arbeitslosen entschwunden sein könnten, bleibt den Spekulationen des Betrachters überlassen.

Vom Trost der Musik

Eher am Rande ist Stand up my Beauty auch ein Musikfilm. Er zeigt Nardos’ Verbindung traditioneller Gesänge mit Jazzelementen, ihre regelmäßigen Auftritte in einem kleinen Hauptstadt-Lokal sowie ihre Zusammenarbeit mit der Band „Ethiocolor“. Musik bringe Freude und Trost, sagt die selbstbewusste Sängerin. Das hat nicht nur sie selbst nötig, sondern die Mehrzahl der Frauen, die sie dazu ermuntert, sich zu erheben und aufzublühen.

Ihr Lied Stand up my Beauty klingt dabei ganz anders als der berühmte Schlachtruf von Bob Marley (Get up, stand up, stand up for your Rights). Inhaltlich will Nardos dasselbe wie der Reggae-Star. Aber sie trägt es einfühlsamer vor, mit innerer Kraft, Beharrlichkeit und dem Vorbild einer gelungenen Selbstbestimmung. Der Film schmiegt sich daran an. Seine Stärke ist das Zuhören und Hinschauen, das geduldige Abwarten, ohne aus europäischer Warte alles besser wissen zu wollen. Dafür wird Filmemacherin Heidi Specogna am Ende belohnt, wenn das Mitgefühl mit der sanften Aufklärerin durch eine unerwartete Wendung eine noch tiefere Intensität erreicht.

Credits

OT: „Stand up my Beauty“
Land: Schweiz, Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Heidi Specogna
Drehbuch: Heidi Specogna
Musik: Hans Koch
Kamera: Johann Feindt

Bilder

Trailer

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Stand up my Beauty
Fazit
Sängerin Nardos will ihr erstes selbst getextetes Lied schreiben. Nicht nur ihre eigenen Ideen sollen darin einfließen. Sondern die Erfahrungen vieler äthiopischer Frauen, die als Kinder zwangsverheiratet wurden. Dokumentarfilmerin Heidi Specogna begleitet Nardos‘ Reise mit bewundernswerter Empathie.
Leserwertung10 Bewertungen
4.3