Das Vorspiel
© Judith Kaufmann/Port au Prince Pictures

Das Vorspiel

Kritik

Das Vorspiel
„Das Vorspiel“ // Deutschland-Start: 23. Januar 2020 (Kino) // 16. Juli 2020 (DVD)

Wie jedes Jahr sind am Berliner Musikgymnasium, an dem Anna Bronsky (Nina Hoss) unterrichtet, Aufnahmeprüfungen und wie immer ist die Anzahl der Bewerber hoch, aber die Zahl der Plätze rar. Entgegen ihren Kollegen sieht Anna in dem jungen Geiger Alexander (Ilja Monti) ein Talent, welches durch die richtige Unterstützung zur vollen Entfaltung kommen kann. So entscheidet dann auch ihre Stimme über den Verbleib des Jungen, den sie nun als Lehrerin bis zur alles entscheidenden Zwischenprüfung begleiten muss. Abseits der Schule findet Anna immer weniger Zeit, sich um ihren Mann Philippe (Simon Abkarian) und vor allem um ihren Sohn Jonas (Serafin Mishiev) zu kümmern, der immer mehr darunter leidet, mit dem Talent Alexanders verglichen zu werden. Nach einer für sie peinlichen Erfahrung bei einem Auftritt im Quintett ihres Kollegen Christian (Jens Albinus), mit dem sie eine Affäre hat, wird für sie das Unterrichten Alexanders zu einer eigenen Prüfung, es sich selbst und den Kollegen zu zeigen.

Die Welt im Kleinformat
Das Familiendrama hat innerhalb des deutschen Films bekanntlich eine lange Tradition. Die Familie als die kleinste Einheit einer Gesellschaft ist naturgemäß deren Wandel unterworfen, sodass ihre Probleme zu einem Spiegelbild der Themen und Konflikte innerhalb unserer Welt werden. In einem Interview mit Filminquiry anlässlich der Vorstellung ihres neuen Films Das Vorspiel auf dem Toronto International Film Festival 2019 beschreibt die Regisseurin und Schauspielerin Ina Weisse (Werk ohne Autor), wie die Familie ihr Aufschluss über menschliche Beziehungen generell geben kann.

So ist denn auch Das Vorspiel auf der einen Seite ein Familiendrama über seelische Verletzungen und Versagensängste, auf der anderen ein unaufgeregter Film über den Wert von Leistung in unserer Welt. Die Welt der Musik, in der sich die von Nina Hoss (Phoenix) gespielte Anna Bronsky bewegt, ist zu gleichen Teilen definiert von der Anbetung großer Kunst und Talent aber auch einer absoluten Aufopferung, wenn man jenes Maximum, jene Perfektion sich abverlangen will. Bereits in den ersten Einstellungen erhält man einen unterkühlt-nüchternen Einblick in die Routine der Bewertung des Musikgymnasiums, in der ein Schüler schon nach wenigen Minuten unterbrochen wird und nach „draußen zu den anderen“ zurückgesandt wird. Talent und Leistung sind hier der Maßstab und die, die diese Werte verheimlichen, die versagen oder verstummen, erhalten selten eine zweite Chance.

Ein wichtiger Aspekt ist vor allem die darstellerische Leistung Nina Hoss’, die besonders in den vielen Großaufnahmen nuanciert den inneren Kampf und das Leid ihrer Figur zeigt. Auch wenn ihr Lebensgefährte immer wieder sein Verständnis verspricht, ihr seinen Teller im Restaurant hinschiebt, weil sie ihren immer wieder mit einem prüfenden Blick untersucht, fühlt sie sich doch stets beobachtet und bewertet. Gerade im Zusammenspiel mit Thomas Thieme, der Annas Vater spielt, meint man diesen omnipräsenten wertenden Blick zu sehen oder vermutet ihn hinter den kleinsten Gesten, wie es seine Tochter tut.

Die Leerstelle
In Weisses Film sind es vor allem die augenscheinlich banalen Momente, welche die Anspannung ihrer Hauptfigur zeigen. Schlaglichtartig sehen wir durch die Kamera Judith Kaufmanns Annas Gang zur Arbeit, ihren Einkauf und die Proben mit ihren Kollegen, also Abläufe, in denen die Figur ganz bei sich ist, den prüfenden Blick auf sich selbst legt, gerade so als würde jeder Schritt nach vorne jenes im Titel angedeutete Vorspiel sein. Dann endet sie Szene und lässt den Zuschauer mit einer neuerlichen Leerstelle zurück, in der wir aber immer noch einige Schritte dieser Frau folgen, für die das Leben immer mehr zu einer Probe wird, bei der es kein Versagen geben darf. Und immer wieder ertappen wir uns dabei, wie bekannt uns diese Situation doch ist.

Credits

OT: „Das Vorspiel“
Land: Deutschland, Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Ina Weisse
Drehbuch: Ina Weisse, Daphne Charizani
Kamera: Judith Kaufmann
Besetzung: Nina Hoss, Ilja Monti, Simon Abkarian, Jens Albinus, Serafin Gilles

Bilder

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„Das Vorspiel“ ist ein Drama über Talent, Kunst und den Wert von Leistung. Durch eine präzise, unaufgeregte Bildsprache sowie die grandiose Leistung Nina Hoss‘ sagt Ina Weisse so viel über unsere Obsession mit Perfektion und der (Selbst-)Optimierung, Prinzipien, die wir schon lange in unsere Leben übernommen haben und dabei zu viel um uns herum vergessen.
8
von 10