Invisible People
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Invisible People

Invisible People
„Invisible People“ // Deutschland-Start: 30. Oktober 2025 (Kino)

Inhalt / Kritik

Invisible People ist kein leicht zugänglicher Film. Sowohl das Thema – die japanische Tanzform Butoh – als auch die experimentelle Erzählweise des Dokumentarfilms von Alisa Berger entziehen sich gängigen Sehgewohnheiten. Obwohl Berger 2017 mit Die Körper der Astronauten als Spielfilmregisseurin debütierte, hat sie sich seither verstärkt dokumentarischen und experimentellen Formen zugewandt. Bevor sie jedoch Kurzfilme wie Retrodreaming realisierte, zog es sie nach Japan, um dort Butoh zu studieren. Diese intensive Auseinandersetzung mit Butoh ist tief in ihrer persönlichen künstlerischen Suche verwoben und prägt maßgeblich die meditative und emotionale Tiefe von Invisible People. Butoh wird oft als „Tanz der Dunkelheit“ oder als Ausdruck des Körpers jenseits rationaler Kontrolle beschrieben – eine Form, die das Unbewusste, die Trance und die spirituelle Präsenz in den Mittelpunkt stellt. Berger selbst war, wie sie im Off-Kommentar ihres Films erklärt, auf der Suche nach einem „Ausdruck – ohne Inhalt“. Schon dieser Gedanke zeigt, dass Invisible People weit über eine reine Auseinandersetzung mit dem Tanz hinausgeht. Denn der reine Ausdruck, der über den Inhalt hinausgeht, hat auch in Invisible People einen hohen Stellenwert. Zudem verknüpft der Film Bergers persönliche Fragen mit existenziellen Themen – nicht zuletzt durch den Tod ihres Vaters während der Dreharbeiten.

Experimenteller Dokumentarfilm

Invisible People ist ein experimenteller Dokumentarfilm, dessen dokumentarischer Charakter vor allem über die Tonspur vermittelt wird. Berger kommentiert aus dem Off ihre künstlerischen Intentionen und erläutert die Geschichte des Butoh. Visuell konzentriert sich der Film auf die Körper: Wir sehen fast ausschließlich Tänzerinnen und Tänzer in Bewegung. Nur selten kommen sie selbst zu Wort, noch seltener ist Berger im Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Butoh-Szene zu sehen – und wenn, dann bleibt der Dialog stumm. Stattdessen verwebt Berger verschiedene Ebenen: Sie zeigt Porträts der Tänzerinnen und Tänzer, zitiert Sätze des Butoh-Begründers Tatsumi Hijikata, reflektiert die Philosophie des Tanzes und kehrt immer wieder zu den „unsichtbaren Menschen“ zurück. Gleich zu Beginn erklärt sie, ihr Vater sei einen Monat nach seiner Krebsdiagnose „unsichtbar geworden“. Diese „invisible people“ seien für sie von tiefer Bedeutung, und durch den Butoh glaubt sie, ihnen nahekommen zu können. Durch die bewusst fragmentarische, nicht lineare Struktur erschließt sich Bergers filmische Aussage allerdings nicht sofort – das Publikum ist gefordert, aktiv mitzudenken. Doch selbst dann bleibt der Film herausfordernd und rätselhaft.

Auch das Thema selbst trägt zur Fremdheit bei – insbesondere für westliche Zuschauerinnen und Zuschauer. Butoh, 1959 in Japan von Tatsumi Hijikata und Kazuo Ohno begründet, gilt dort als eine der radikalsten und einflussreichsten künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. In Japan besitzt diese avantgardistische Tanzkunst zwar einen besonderen Stellenwert, steht aber dennoch am Rand des kulturellen Mainstreams. International genießt sie in experimentellen Tanzkreisen hohes Ansehen – die im Film erwähnte Begegnung Pina Bauschs mit Kazuo Ohno belegt das –, doch auch dort bleibt Butoh ein Nischenphänomen. Im Verlauf seiner 71-minütigen Laufzeit löst sich Invisible People zunehmend vom dokumentarisch-narrativen Ansatz und entwickelt sich zu einem essayistischen Film. Er erweitert sich von allgemeinen Themen wie Trance, Rebellion und Spiritualität hin zu zutiefst persönlichen Motiven Bergers, die sich um Krankheit, Tod und Vergänglichkeit drehen.

Fragmentarisch und schwer zugänglich

Sowohl Form als auch Inhalt fordern das Publikum in hohem Maße. Ein gewisses Vorwissen über modernen Tanz – oder Butoh im Besonderen – ist hilfreich, um den vielschichtigen Bildern und Gedanken folgen zu können. Für Zuschauerinnen und Zuschauer ohne Bezug zu dieser Kunstform bleibt der Film vermutlich hermetisch: Die Informationen über Butoh bleiben fragmentarisch, Zusammenhänge müssen selbst erschlossen werden. Kennerinnen und Kenner des Genres werden inhaltlich zwar kaum Neues entdecken, können sich aber auf die individuelle, künstlerische Perspektive Bergers einlassen – auf ihre rhythmisch montierten Bilder, experimentellen Schnittfolgen und verzerrten Tonspuren, die sich zu einer poetischen, teils tranceartigen Erfahrung verdichten.

Invisible People wurde bei bisherigen Festivalaufführungen, etwa beim CPH:DOX 2024, positiv aufgenommen. Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden verlieh dem Film das Prädikat „Besonders wertvoll“. Für ein kunstaffines Publikum mag diese Einschätzung durchaus zutreffen. Das breite Publikum dürfte sich mit Bergers anspruchsvoller Form jedoch schwertun. Zu verklausuliert erzählt die Regisseurin; das Dokumentarische und das Experimentelle fügen sich nicht nahtlos zusammen. Vielleicht wäre eine Trennung der beiden Ansätze – ein Dokumentarfilm hier, ein Essayfilm dort – überzeugender gewesen. So bleibt Invisible People trotz eindrucksvoller visueller Gestaltung und emotionaler Tiefe ein Werk, das zwischen Konzept und Gefühl schwankt. Die filmische Schönheit steht dabei manchmal im Widerspruch zur Informationsdichte – und doch entfaltet der Film eine eigentümliche Faszination.

Credits

OT: „Invisible People“
Land: Frankreich, Deutschland
Jahr: 2024
Regie: Alisa Berger
Buch: Alisa Berger
Musik: Tintin Patrone, Ketonge (Manfred Ruecker), Simon Rummel, Angelica Summer, Ben Kaczor, Yasu Ey, Makoto Kawashima
Kamera: Alisa Berger, Aquiles Hadjis

Trailer

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Invisible People
fazit
„Invisible People“ ist ein formal wie inhaltlich anspruchsvoller Film, der sich gängigen Erzählmustern verweigert. Alisa Berger schafft ein poetisches, teils hermetisches Werk über Körper, Vergänglichkeit und Ausdruck jenseits des Rationalen – faszinierend für Kunstliebhaber, fordernd für ein breiteres Publikum.
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