
Pavel Talankin, von allen nur Pasha genannt, ist an der größten Schule in der kleinen russischen Stadt Karabasch angestellt. Dort, wo er einst selbst die Schulbank drückte, arbeitet er heute als Koordinator für außerschulische Aktivitäten sowie als Videograf, der alle besonderen Momente des Schulalltags – von der Weihnachtsfeier bis zur Abschlussfeier – mit der Kamera festhält. Sein eigenes kleines Klassenzimmer, in dem er seine Schulvideos schneidet, dient vielen Schülerinnen und Schülern, aber auch Kolleginnen und Kollegen als Rückzugsort. All das ändert sich mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. Fortan steht Staatspropaganda auf dem Lehrplan – und Pasha ist angehalten, all das zu dokumentieren und anschließend als Beweis für die Umsetzung des neuen Lehrplans auf Regierungsseiten hochzuladen.
Propaganda auf dem Lehrplan
Pasha Talankin nimmt’s mit Humor. Angesichts der beunruhigenden Vorgänge an seiner Schule scheint das nicht angebracht, wie jede gut geölte Propagandamaschine nimmt aber selbstredend auch die des Wladimir Wladimirowitsch Putin absurde Auswüchse an. Zu Kriegsbeginn, als Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einfiel, war zudem noch nicht abzusehen, dass der Krieg mehr als drei Jahre später immer noch andauern würde. Und so wie sich die Stimmung in dieser Zeit sukzessive verschlechterte, ändert sich auch der Ton dieses Dokumentarfilms des US-amerikanischen Regisseurs David Borenstein. Dessen Protagonist, der Lehrer und Schul-Videograf Pasha Talankin, von dem das Filmmaterial stammt und der in den Credits als Co-Regisseur geführt wird, hat stets ein Lächeln auf den Lippen und den Schalk im Nacken. Dementsprechend selbstironisch führt er in den Dokumentarfilm ein.
Der Humor beginnt mit seinem Wohnort und macht vor der Politik nicht halt. Pasha lebt in Karabasch im Südosten des Ural. Die rund 10.000 Einwohner zählende Stadt ist ein Touristen-Hotspot, allerdings nicht wegen der schönen Landschaft oder historischer Gebäude. In Karabasch wird Kupfer abgebaut, was massive Umweltschäden zur Folge hat. Seit die Stadt auf der Liste der verschmutztesten Orte des Planten steht, geben sich Katastrophentouristen die Klinke in die Hand, was Pasha in einer lustigen und von tänzelnder Musik unterlegten Montage auf die Schippe nimmt. Dass sich der Protagonist wiederum selbst nicht zu ernst nimmt, lässt sich bereits an der Wahl des Filmtitels ablesen. Wie wichtig aber jeder einzelne, also auch ein vermeintlicher Niemand wie Pasha, im Kampf gegen ein Regime ist, das führt dieser Dokumentarfilm anschaulich vor Augen.
Widerstand im Kleinen
Pasha stilisiert sich selbst nicht zum Helden und das macht ihn sympathisch. Er geht offen und ehrlich mit seinen Ängsten und der eigenen Feigheit um. In kurzen Zwischensequenzen, in denen er sich selbst mit der Kamera gefilmt hat, formuliert er seine Gedanken zur sich verschlechternden Lage. Je aussichtsloser diese wird, desto mehr wächst sein Mut. In kleinen Protestaktionen bringt er seinen Unmut gegen die aktuellen Zustände zum Ausdruck, ist damit allerdings allein auf weiter Flur. Wer in Karabasch nicht gerade an einer Demo teilnimmt, die Putins Krieg unterstützt, der hält lieber die Klappe und lebt sein Leben. In Pashas Kollegium verhält es sich ähnlich. Während die einen sichtlich irritiert die aus Moskau diktierte Propaganda im Unterricht verlesen, aber nicht wagen, diese zu kritisieren, sind andere wie der Geschichtslehrer der Schule voll auf Linie. Pashas eigene Mutter wiederum, die Schulbibliothekarin, hat für all das nur achselzuckenden Zynismus übrig. Junge Männer seien schon immer in den Krieg gezogen und Russland habe schon immer jeden Krieg mitgekämpft. Das sei der Lauf der Welt, daran lasse sich nichts ändern.
Ihr Sohn glaubt nicht daran und das von ihm gefilmte Material, ohne das es diese Doku nicht gegeben hätte, ist der beste Gegenbeweis. Denn was sich dadurch ändern wird, ist unser Blick auf Russland. Auch drei Jahre nach Kriegsbeginn ist der Fokus der internationalen Medien immer noch zu sehr auf das Kriegsgeschehen auf den Schlachtfeldern und die große Weltpolitik gerichtet. Und das ist auch verständlich. Was dabei jedoch sträflich übersehen wird, ist die Politik, die Putin im Innern betreibt. Hiermit sind nicht die gewaltsame Niederschlagung von Demonstrationen oder die Inhaftierung prominenter Putin-Kritiker gemeint, sondern diejenigen Maßnahmen, die keine medienwirksamen Bilder erzeugen.
Wichtiges Zeitzeugnis
Die Militarisierung der Schulen ist eine davon. Zu dokumentieren, wie diese vonstattengeht, ist von unsagbarem Wert. Denn wer nach wie vor steif und fest behauptet, Putin würde sich mit den eroberten Gebieten in der Ukraine zufriedengeben, der sollte sich die Frage stellen, wofür es dann so viel von höchster Stelle verordnete Propaganda und militärischen Drill in den Schulen braucht, wenn nicht dafür, um kommende Generation von Soldatinnen und Soldaten heranzuziehen, die bereitwillig in den nächsten und übernächsten Krieg ziehen werden.
Pasha Talankin, dem viel an seinen Schülerinnen und Schülern liegt und der mit ansehen musste, wie viele seiner ehemaligen Schüler in den Krieg zogen und nicht alle lebend zurückkamen, hat Russland inzwischen verlassen und lebt im Exil. Für seine Schüler und sein Heimatland wünscht er sich eine bessere Zukunft. Mit diesem Dokumentarfilm unter der Regie von David Borenstein hat er ihm einen großen Dienst erwiesen.
OT: „Mr. Nobody Against Putin“
Land: Dänemark, Tschechische Republik
Jahr: 2025
Regie: David Borenstein
Drehbuch: David Borenstein
Musik: Michal Rataj, Jonas Struck
Kamera: Pavel Talankin
Sundance 2025
DOK.fest München 2025
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