
Der „Meister“ (Jewgeni Zyganov) ist eine gefeierter Autor im Moskau der 1930er Jahre. Auf dem Theater wird gerade sein neues Stück über das Leben Pontius Pilatus geprobt, als es zu einem Eklat kommt. Auf einmal ist nicht nur die Premiere abgesagt, auch die weiteren Proben sollen nicht mehr stattfinden. Im Schriftstellerverband wird dem „Meister“ wegen des Stücks der Prozess gemacht, da dessen Inhalt nicht im Sinne der Ideologie der Sowjetunion ist. Nicht bereit, irgendetwas zu ändern, wird der „Meister“ mehr und mehr zum Außenseiter und schließlich sogar vom Verband ausgeschlossen. Einziger Trost ist die Begegnung mit der schönen Margarita (Julija Snigir), die zu einer Geliebten wird und ihn motiviert, an einem neuen Roman zu arbeiten, in dem der „Meister“ mit seinen Autorenkollegen und überhaupt der sowjetischen Politik abrechnet.
Ungefähr zur gleichen Zeit macht er Bekanntschaft mit dem geheimnisvollen Woland (August Diehl), einem Deutschen, der sich schon lange einmal das „sowjetische Experiment“ aus der Nähe ansehen wollte. Während der „Meister“ an seinem Roman arbeitet, in dem auch Woland eine zentrale Rolle spielt, stiftet dieser indes Chaos unter der kulturellen Elite Moskaus. Es dauert nicht lange, bis der erste Kopf rollt, denn hinter dem Besucher steckt eine wahrhaft teuflische Wahrheit.
Kunst und Ideologie
Als Michail Bulgakows Roman Der Meister und Margarita 1966 posthum erschien, wurde die Geschichte schnell zu einem Bestseller. Viele Leser und Leserinnen konnten ganze Passagen des Romans auswendig vortragen, weil sie Bulgakows Roman so oft und intensiv gelesen hatten. Die Mischung aus Drama, Satire und Fantasy scheint eigentlich unverfilmbar, dennoch folgten viele Versuche, den Roman zu adaptieren. Aleksandar Petrovics Verfilmung von 1972 mit Ugo Tognazzi und Mimsy Farmer in den Hauptrollen gilt als eine der bekanntesten. Nun kommt mit Michail Lockshins Der Meister und Margarita eine neue Adaption in die deutschen Kinos, nachdem diese bereits sehr erfolgreich in den russischen Kinos sowie auf Filmfestivals lief. Dank moderner Technik sowie eines entsprechenden Budgets gelingt es dieser Verfilmung, die Fantasy-Elemente des Romans zu inszenieren. Zugleich wird die Aktualität der Geschichte betont, in der es um die persönliche Integrität angesichts eines autoritären Systems geht sowie die Verantwortung der Kunst.
Es ist immer problematisch, wenn sich Kunst als Erfüllungsgehilfe eines politischen Systems versteht. Sonnte sich der „Meister“ noch vor ein paar Tagen in der Sicherheit seiner Popularität und seines Status innerhalb seiner Kollegen, wird ihm wegen seines Theaterstücks der Prozess gemacht. Lockschin zeigt diesen Schauprozess, wie auch viele andere Momente der Geschichte, als eine Mischung aus Satire und Tragödie. Die systemkonformen Parolen und Haltungen, die die Autoren, Kritiker und Poeten herunterbeten werden mehr und mehr zu einer Karikatur, die in einem peinlichen Spontanvortrag eines „Dichters“ münden. Hinter der unbewegten Mine des „Meisters“ bemerken wir die beginnende Erschöpfung und den Zynismus eines Menschen, der zu einem Außenseiter deklassiert werden soll.
Die daran anknüpfenden Prozesse der Ausgliederung und Distanzierung entlarven die Ideologie als autoritär und kunstfeindlich, was der „Meister“ in seinem Roman als großes Satire und gesellschaftliches Panorama darstellen will. Der Bühne, die wir gleich zu Beginn des Filmes sehen, bleibt Lockshin stets treu, narrativ wie auch ästhetisch, wenn er die menschliche Tragödie und Komödie zugleich zeigt, so wie es Bulgakow im Sinn hatte. Moskau wird zu einer riesigen, eindrucksvollen Bühne, auf der sich die Kunst und die Ideologie genauso entlarvt wie die Lebenslügen der (Pseudo-)Intellektuellen.
Neue Menschen
Bulgakows Roman kann als eine Art Neuinterpretation des Faust-Mythos gesehen werden. Nicht nur die sehr ans Theater angelehnte Inszenierung von Lockshins Adaption ist ein Indiz dafür, sondern auch die schauspielerischen Leistungen. August Diehl hat eine geradezu diebische Freude daran, den Teufel in Menschengestalt zu spielen. Die Szene am Patriarchenteich, ein Höhepunkt im Roman, wird in der Verfilmung zu einer unterhaltsam-unheimlichen Entlarvung der Lebenslügen und theoretischen Fallstricke der Intellektuellen, die Woland genüsslich aufzeigt. Auftreten und Sprachrhythmus machen diese Interpretation der Figur zu einer der besten, weil Diehl sowohl das Diabolische als auch das Verführerische Wolands betont.
Jewgeni Zyganow und Julija Snigir als „Meister und Margarita“ sind als Liebespaar überzeugend sowie von dem System Frustrierte, die den Ausweg in der Fantasie suchen oder in der privaten Utopie ihrer Beziehung. Lockshins Inszenierung und das von ihm sowie Roman Kantor geschriebene Drehbuch betonen die Konflikte dieser Figuren, die sich zwischen künstlerischer Integrität, gesellschaftlicher Verantwortung und privatem Glück entscheiden müssen. Der Teufel bleibt dabei der Rolle als „Teil jener Kraft, die stets Böses will und das Gute schafft“ treu.
OT: „Der Meister und Margarita“
Land: Kroatien, Russland
Jahr: 2024
Regie: Michael Lockshin
Drehbuch: Michael Lockshin, Roman Kantor
Vorlage: Michail Bulgakow
Musik: Anna Dubritsch
Kamera: Maxim Schukow
Besetzung: August Diehl, Jewgeni Zyganow, Julija Snigir, Claes Bang, Alexei Rosin, Polina Aug
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