Scars of a Putsch
© Klemens Koscher, Mischief Films, Novak Prod

Scars of a Putsch

Scars of a Putsch
„Scars of a Putsch“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Am 12. September 1980 erfuhr die Türkei den dritten Militärputsch in ihrer Geschichte. Unter dem Deckmantel einer „Operation zum Schutz und zur Sicherung der Republik“ rückte das Militär unter der Leitung von Kenan Evren bis in die Hauptstadt Ankara vor, wo sie das Haus der politischen Führung des Landes umstellte. Die Regierung Süleyman Demireis wurde abgesetzt und das Kriegsrecht ausgesprochen, was unter anderem ein Verbot aller politischen Parteien zur Folge hatte. Unter Evren wurde alsbald eine neue Verfassung verabschiedet, die das Fundament legen sollte für eine „wahre Demokratie“, wie Evren die Türkei unter seiner politischen Führung nannte.

In Wirklichkeit wurden alle demokratischen Elemente der türkischen Gesellschaft nicht nur verboten, ihre Anhänger wurden gejagt, verhaftet, gefoltert oder verschwanden spurlos, sodass ihre Familien teilweise bis heute nicht wissen, was mit ihren Verwandten geschah. Die „wahre Demokratie“ wurde zum Todesstoß aller demokratischen Bemühungen des Landes, eine politische Entwicklung deren Folgen wir noch heute spüren, wenn man auf das Land unter der politischen Führung Recep Tayyip Erdogans blickt. Für den ehemaligen politischen Aktivisten Abidin Ertuğrul stellt das Lesen der Schlagzeilen über seine einstige Heimat deswegen eine bittere Wahrheit dar, vor allem, wenn er sieht, dass man abermals der politischen Elite der Türkei vieles durchgehen lässt, weil deren Agenda zufälligerweise dem Westen in die Hände spielt.

1981, kurz nach dem Putsch in der Türkei, floh Ertuğrul nach Österreich, wo er ein neues Leben begann und viele Jahre später seine heutige Lebensgefährtin, die Produzentin und Dokumentarfilmerin Nathalie Borgers (The Remains – Nach der Odyssee) kennenlernte. Die Narben der Vergangenheit sind jedoch nicht nur emotional, denn auf Ertuğruls Körper gibt es sieben Narben, die ihn stets an jenen Tag Ende der 70er erinnern, als türkische Faschisten ihn und viele seiner Mitstudenten aus einem Bus zerrten und auf die schossen. Sieben Mal hat es ihn getroffen, doch er überlebte knapp und entschied sich, trotz der Angst um sein Leben, den Kampf gegen die Faschisten und damit die politische Opposition fortzusetzen. Die Narben auf dem Körper ihres Gatten sind der Ausgangspunkt für Nathalie Borgers Dokumentation Scars of a Putsch, die auf der Berlinale 2025 ihre Weltpremiere feiert. Der Film erzählt dabei aber nicht nur von den Erinnerungen ihres Ehemanns, sondern zugleich von einem Land, dessen Geschichte stark verbunden ist mit der politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit der Türkei heute.

Was bleibt?

Wer von Scars of a Putsch eine Rekapitulation der Ereignisse in der türkischen Geschichte kurz vor und nach 1980, wird sicherlich zumindest halbwegs enttäuscht sein von Borgers’ Dokumentation. Anhand der Biografie ihres Gatten, seines Engagement in einer Studentenbewegung und seines politischen Engagements, gibt die Regisseurin eine persönlich gefärbte Rekapitulation der Ereignisse, doch neben den Archivaufnahmen kommen immer wieder Szenen aus der Gegenwart ins Spiel, die schließlich mehr und mehr in der Vordergrund treten. Eine Reise nach Istanbul zu den noch wenigen lebenden Zeugen der Zeit, von der Ertuğrul berichtet, findet ebenso statt wie eine Wiederbegegnung mit jenen Zeitzeugen in Wien.

Wenn dann Ertuğrul an seinem Laptop die jüngsten Demonstrationen gegen das Regime Erdogans sieht, sind wir spätestens dann an dem Moment angekommen, an dem Scars of the Putsch über die Folgen einer Geschichte nachdenkt, die größtenteils verschwiegen wird oder eben nicht stattfindet. Es ist nicht nur eine Biografie, von der hier die Rede ist, sondern von einem Schema, das sich wiederholt, wenn es darum geht, dass Verletzungen von Menschenrechten ignoriert werden zugunsten eines politischen Verständnisses oder Bündnisses. Die sprichwörtlichen Narben dienen nicht nur der Zurschaustellung, denn Borgers geht es darum, einen Prozess in die Wege zu leiten, der schon lange überfällig ist und nicht mehr warten kann.

Credits

OT: „Scars of a Putsch“
Land: Österreich, Belgien
Jahr: 2025
Regie: Nathalie Borgers
Drehbuch: Nathalie Borgers
Kamera: Klemens Koscher

Bilder

Trailer

Filmfeste

Berlinale 2025

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Scars of a Putsch
fazit
„Scars of a Putsch“ ist auf der einen Seite eine Rekapitulation der Ereignisse um den Militärputsch in der Türkei von 1980, aber auf der anderen Seite auch die Frage nach dessen Erbe. Nathalie Borgers gelingt eine wichtige, aufwühlende Dokumentation über die Relevanz der Aufarbeitung der Geschichte einer Nation oder Kultur, damit sich Tragödien nicht wiederholen.
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