4 Tage bis zur Ewigkeit
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4 Tage bis zur Ewigkeit

„4 Tage bis zur Ewigkeit“ // Deutschland-Start: 27. April 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

„Der Schlüssel zur Freiheit ist die Fantasie“, flüstert eine Stimme aus dem Off. Wir schreiben das 19. Jahrhundert. Irgendwo im Mittelrheintal. In einem Moment zeichnet Idilia (Lea van Acken) noch eine Träumerei in ihr Tagebuch, im nächsten fällt sie einen langen Schacht in die Tiefe. Langsam kommt sie zu sich. An ihrer Stirn klebt Blut und um sie herum liegen Tagebuchseiten verstreut und… ist das eine Schildkröte? Sie stellt fest, dass sie sich an nichts erinnern kann. Langsam aber sicher erkundet sie die düstere Burgruine, in der sie gefangen ist und die Erinnerungen, die sie auf den Blättern findet, werden lebendig.

Der Anfang

Idilia wacht nach einem Sturz auf und kann sich scheinbar an nichts erinnern. Die „Figur hat Amnesie“ am Story-Anfang ist zwar bereits ein wenig klischeebeladen, wird in 4 Tage bis zur Ewigkeit aber mit einer ganz interessanten Idee weiterentwickelt. Das erste, das sie macht, nachdem sie sich umgesehen hat, ist aber nicht nach Hilfe zu rufen, sondern sie liest ihre Notizen. Sie scheint auch keine Kopfschmerzen zu haben, was zumindest etwas unwahrscheinlich wirkt, zumal ihr auch Blut an der Stirn klebt. Natürlich gibt es künstlerische Freiheit und vielleicht ist Idilia auch bloß verwirrt nach dem Sturz, dennoch wirkte der Start dadurch – überstürzt ist möglicherweise das richtige Wort.

Die Tatsache, dass die Notizen an besonderen Plätzen liegen – im Schlund eines Gesichts im Stein, zwischen den Rippen eines Skelettes – und nicht etwa um sie herum, dort, wo sie gefallen ist, lässt die Frage auftauchen, wie real die Situation tatsächlich ist. Oder handelt es sich um eine Art Traum? Ist die Gefangenschaft in der Ruine eine Allegorie auf ihr Leben, in dem sie sich gefangen fühlt? Eine weitere Idee an dieser Stelle der Geschichte könnte sein, dass sie gar nicht die echte Idilia ist, sondern fremde Spuren im Staub der Burgruine findet und durch das Lesen nimmt sie eine andere Identität an. Die Alternative wäre, dass die Geschichte uns weismachen würde: Beim Sturz sind die Tagebuchseiten genau dort hingefallen.

Man könnte sich fragen, ob nicht die Zuschauerschaft dazu angehalten sein soll, die Realität hier nicht als einziges Maß anzusetzen, sondern sich mehr von der Fantasie tragen zu lassen: „Der Schlüssel zur Freiheit ist die Fantasie“ ist ein Satz, der sich wie ein roter Faden durch den Film zieht.

Der Schlüssel zur Freiheit

Was bedeutet er für die Hauptfigur? Die Notizen beziehungsweise ihre Fantasie, die durch die Worte angeregt wird, bringen sie in diese Freiheit. Abgesehen von der Ruine ist Idilia aber auch in einer Beziehung mit dem rassistischen Völkerschau-Veranstalter Franz Hagerberg (André Hennicke) gefangen. Hier sind es auch ihre Notizen und Zeichnungen, die eine Art Fluchtweg darstellen. Wobei sie im Laufe der Handlung nicht nur in ihrer Fantasie mit dem abessinischen Schausteller Caven (Eric Kabongo) anbandelt, sondern ihn tatsächlich auch trifft. Idilia begibt sich damit aus der Gefangenschaft ihrer Verlobung auf eine Lichtung der Freiheit, auf welcher sie dann gemeinsam von neuen Freiheiten und Reisen schwärmen, etwa wie sie und Caven zusammen nach Frankreich ziehen. Aber es sind nicht nur ihre Worte und Skizzen, die Idilia zur Freiheit führen.

Der Film macht Spaß, wo er uns Idilia als einfallsreiche Figur zeigt, die kreative Möglichkeiten sucht, um die Burgruine zu verlassen. In einer Szene baut sie sich zum Beispiel aus Besteck eine improvisierte Treppe. Hier ist man schon neugierig, ob ihre Versuche klappen oder wie sie weitermachen wird, sollte dieser Versuch nicht gelingen.

Durch eine Wendung wird der Satz zwar auf die Probe gestellt, aber der Film geht dann nicht weiter darauf ein. Idilia erfährt dort, dass Caven tot ist und flüchtet sich dann in eine Fantasie. Hier eröffnen sich Fragen wie: Schließt sich Idilia dadurch nicht selbst gewissermaßen in eine Fantasie? Oder auch: Was ist das für eine Freiheit? Die Pointe von Hagerberg, der die Kunst der Leistung gegenüberstellt, wird an dieser Stelle etwas halbgar ohne Kommentar durchgewunken. Zum Beispiel verlangt auch der Eskapismus durch die Fantasie der Figur ja durch eine gewisse geistige Leistung ab.

Schwarze Romantik

Das Zusammenspiel zwischen Idilia und Schausteller Caven funktioniert ganz gut. Wenn Caven zum Beispiel über Idilias Zeichnung streicht, liebkost er gewissermaßen auch ihre Fantasie. Das hat etwas Intimes und ist ein schöner romantischer Subtext.

In dem Film finden sich eine Reihe Motive aus der Schauerromantik wie zum Beispiel Idilias Skizze oder die Ruine. Die Auseinandersetzung von Idilia mit den Notizen beziehungsweise ihrem Vergangenheits-Ich entspricht in gewisser Weise dem Doppelgängermotiv, da ihre Amnesie ihr jetziges Ich und die Erinnerung zu trennen scheint. Das gibt Idilia die Möglichkeit, sich selbst und ihrem Unterbewusstsein neu zu begegnen, sich vielleicht darin zu finden. Leider scheint das Potenzial nicht ganz ausgeschöpft zu werden. Was wäre zum Beispiel gewesen, wenn Idilia die Notizen als Erinnerungen abgelehnt hätte? Hier hätte womöglich ein spannender Lernprozess stattfinden können, der die Figur noch mehr konturiert hätte.

Eine Unstimmigkeit und der Traum

Schließlich erfahren wir, wo sich Idilia befindet. Sie ist in der Tiefe einer alten Burgruine gefangen. Schließlich packt sie dort ihre Survival-Skills aus und macht ein Feuer. Diese Fähigkeit erklärt der Film zwar, wenn auch nur durch „Tell“ statt durch „Show“. Was eher unglaubwürdig erscheint, ist die Tatsache, dass sie all das schafft, obwohl sie verletzt ist. Sie hat Amnesie, potenziell schon länger kein Wasser getrunken oder etwas gegessen, aber sie scheint noch genug Energie zu haben, um das alles zu bewerkstelligen. Das lässt dann leider auch die Dramatik und die Brisanz leicht verblassen.

Eine Traumsequenz während Idilias erster Nacht in den Ruinen kommt wenig bedrohlich rüber. Das liegt zum einen daran, dass es für eine Traumsequenz etwas unkreativ wirkt, zum anderen daran, dass der Stein, der ihren Ausgang versperrt, leuchtet und der Schrei danach mit dem Echo rundet das Ganze dann leider etwas zu gestellt ab.

Der Verlobte und der Geliebte und Idilia

Die Bedrohlichkeit, die von Idilias Verlobtem ausgeht, wirkt eher gering. Die Spannung, die durch die Heimlichkeit ihrer Liebe mit dem Schausteller erzeugt werden soll, ist dadurch auch ein wenig gedämpft. Sie wurden ja bereits von einem seiner Handlanger (Carsten Strauch) gesehen. Dadurch fällt der Überraschungseffekt von einem Aufeinandertreffen von Hagerberg und dem Paar weicher. Außerdem erfährt man zwar, dass der Verlobte Geld für den Arzt an Idilias Mutter schickt, aber das passiert so nebenbei, dass es wie ein abgehakter Punkt auf einer Liste wirkte.

Dann gab es da noch eine Entscheidung der Figuren Idilia und Caven, die, zumindest auf Grund der visuellen Umsetzung, nicht besonders klug wirkte. Erst verstecken sie sich hinter einem Baum vor Hagerberg und seinen Handlangern. Aber statt dann zu warten, bis sie sicher sein können, dass alle fort sind oder erstmal vorsichtig nachzusehen, unterhalten sie sich lautstark, während sie neben dem Baum stehen.

Außerdem wirkte der Aufbau der Liebesgeschichte etwas klischeehaft. Verschiedene Bilder – Idilia und Caven im Regen – hatten ihren Charme, andere hingegen – Caven und Hagerberg auf der Brücke – wirkten leider etwas hölzern. Eine spannende Idee waren dann wiederum die Szenen zum Ende hin, die sich Idilia ausdenkt. Eventuell hätte man diesen Ansatz noch stärker ausbauen können, da es den leitenden Satz, dass die Fantasie den Schlüssel zur Freiheit darstellt, mit mehr Kontur versehen hätte.

Kostüme, Requisiten und Locations

Ein Plus ist die Atmosphäre, die einen vielleicht an eine X-Faktor-Folge denken lassen könnte – Realität und Fiktion liegen dicht beieinander, ihr Jonathan Frakes. Man kann hier die Location – die Ruine, die Brücke mit dem Wasserfall –, die Kostüme und die Requisiten – wie oft sieht man schon ein Hörrohr? – lobend hervorheben. Das verleiht der Geschichte als Historienfilm rein optisch schon eine gewisse Glaubwürdigkeit. Auch die Art und Weise wie diese Elemente, im Besonderen die Ruine, dargestellt wurden, erzeugte immer wieder eine angenehme Abwechslung für die Sehgewohnheiten.

Das Ende

Das Ende ist eine spannende Umkehr: Durch die Skizze im Notizbuch tauchen wir am Ende in die Welt ihrer Fantasie. Dort hat ihr Tod den Platz einer düsteren Träumerei auf ihrer Staffelei übernommen. Die Pointe funktioniert ganz gut.

Wenn wir nun diesen Epilog, diese Ewigkeit, wenn man an den Titel denkt, betrachten, passt der Leitsatz dann auch hier noch? Man sieht auf der Malfläche Idilia tot in der Höhle liegen, von Steinen begraben. Das war interessanterweise nicht der Tod, der die Figur in der Geschichte ereilt hat. Ist das hier also der Blick zurück an den Punkt, an dem die Figur mittels ihrer Fantasie in die Freiheit übergetreten ist?

Man merkt, dass die Regisseure Konstantin Korenchuk und Simon Pilarski sich Gedanken gemacht haben und verschiedene Bedeutungsebenen in ihren Film einbauen wollten. Wer mehr über die Dreharbeiten erfahren möchte, hat dazu die Möglichkeit: In einer Dokumentations-Serie bei Nrwision geben die Filmemacher Einblicke in ihre Arbeit an dem mysteriös angehauchten Historienfilm.

Credits

OT: „4 Tage bis zur Ewigkeit“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Konstantin Korenchuk, Simon Pilarski
Drehbuch: Konstantin Korenchuk, Simon Pilarski
Musik: Markus Zierhofer
Kamera: Christian Munteanu
Darsteller: Lea van Acken, Eric Kabongo, André Hennicke, Carsten Strauch, Reiner Wagner, Dieter Rupp, Deryl Kenfack, Helmut Rieker

Bilder

Trailer

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4 Tage bis zur Ewigkeit
fazit
„4 Tage bis zur Ewigkeit“ soll ein Tribut an die Kraft der Fantasie und da geschriebene Wort sein. Der Film punktet durch seine Atmosphäre und die Location einer alten Burgruine, in welcher Idilia mit kreativen, teils auch unglaubwürdigen Mitteln zu entkommen versucht. Hier und da gibt es klischeehafte und hölzerne Momente.
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