Die Rückkehr des verlorenen Sohnes Awdat al ibn al Dal

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes

Inhalt / Kritik

Die Rückkehr des verlorenen Sohnes Awdat al ibn al Dal
„Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ // Deutschland-Start: 18. Oktober 2021 (MUBI)

Eine wohlhabende ägyptische Familie irgendwo auf dem Land: Der junge Ibrahim (Hesham Selim) ist gerade mit der Schule fertig und will unbedingt ins Ausland, um dort zu studieren und sich mit der Geologie des Mondes zu befassen. Aber sein Vater Tolba (Shoukry Sarhan) lässt ihn nicht. Der junge Mann soll hier bleiben und irgendwann das Familienunternehmen, eine Druckerei, übernehmen. Auch sonst ist die Familie tief zerstritten und von einem Trauma geprägt. Tolbas jüngerer Bruder Ali (Ahmad Mehrez) wird schmerzlich vermisst. Er wollte einst die Welt verbessern, half beim Bau des Assuan-Staudamms mit, hat sich aber seit zwölf Jahren nicht mehr zu Hause blicken lassen. Der Grund: Er musste ins Gefängnis, weil er beim Bau eines Hochhauses schwere Fehler gemacht hatte und für ein Unglück verantwortlich war. Aber nach dem Tod des langjährigen ägyptischen Präsidenten Nasser im Jahr 1970 gibt es eine Amnestie. Ali kehrt zurück. Alle Hoffnungen richten sich auf ihn als Erlöserfigur.

Bollywood auf Arabisch

Ein berühmtes Diktum des russischen Schriftstellers Leo Tolstoi lautet: „Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ Daran orientiert sich Regisseur Youssef Chahine (1926 bis 2008), einer der wichtigsten Filmemacher der arabischen Welt, dem die Streamingplattform Mubi eine kleine Retrospektive widmet. Chahine zeigt ein Unglück, das in gewisser Hinsicht ganz und gar individuell ist, gebunden an die unterschiedlichen Persönlichkeiten einer zerfallenden Familie, an ihre jeweiligen Sehnsüchte, Hoffnungen und Traumata. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes (1976) ist daher als einer der düstersten Filme des Ägypters beschrieben worden.

Aber die Formulierung „düster“ ist relativ im Werk eines Filmemachers, der trotz seines cineastischen Anspruches immer auch die Geschmacksvorlieben seines Volkes im Auge hatte. Und der daher bunt und prall inszenierte, mit Gesang und Tanz, dick aufgetragenem Melodram und üppiger Farbenpracht, quasi als eine Art Bollywood auf Arabisch. Und: Wie jede gute Familiengeschichte ist auch diese universell, jede Kultur und jede Epoche kann darin Identifikationsmöglichkeiten finden.

Daher ist es kein Zufall, dass der Film mit einem Clown beginnt, der sich vor dem Schminktisch auf seinen Auftritt vorbereitet. Auch der Gute-Laune-Macher ist traurig, irgendwann laufen Tränen über sein Gesicht, aber er fängt sich wieder und kehrt in die Rolle des Spaßvogels zurück, der immer mal wieder durch den Film geistert, ohne dass eine Rolle in der Handlung fest verankert wäre. Der traurige Clown fungiert eher als eine Art Leitmotiv und als eine Chiffre für den Zustand eines ganzen Landes.

Ein Land zwischen Hoffnung und Enttäuschung

Youssef Chahine und sein Ko-Autor Salah Jahin porträtieren ihre Heimat im Übergang vom einstigen Volkshelden Nasser zum Pragmatiker und Taktiker Anwar el Sadat als eine Nation zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen arabischer Lebenslust und Depression. Kunstvoll verweben sie die politischen Anspielungen mit dem Schicksal einer Familie, in der jedes Mitglied auch für eine bestimmte Rolle in der Gesellschaft steht. Und natürlich spielt in das Ganze auch die biblische Erzählung vom verlorenen Sohn hinein, der in der Ferne gescheitert ist und trotzdem vom Vater mehr geliebt wird als der bodenständige Bruder, der das Familienunternehmen am Laufen hält.

Für einen westlichen Zuschauer sind die zeitgeschichtlichen Anspielungen auf die 1970er Jahre ohne eine genaue Kenntnis der ägyptischen Geschichte kaum zu würdigen, zumal Chahine im Gegensatz zu früheren Filmen auf eine eindeutige gesellschaftspolitische Botschaft verzichtet. Viel eher als aufs Werten verlegt er sich aufs Beschreiben und Beobachten einer komplexen Lage. Das gilt für die Politik, aber noch viel mehr für die Familie. Gerade in Bezug auf die Kernzelle der Gesellschaft ist der Film auch heute noch aktuell und ein sehenswertes Beispiel einer starken cineastischen Handschrift.

Feines Familiengeflecht

Chahine fasst die feinen Fäden des familiären Geflechts in starke Bilder, lässt in knappen Dialogen Geheimnisse mitschwingen und legt wie mit einem Seziermesser die untergründigen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse frei. Niemand ist hier nur Herrscher oder Unterdrückter, Täter oder Opfer. Alle sind auf komplexe Weise aufeinander angewiesen. Allerdings nicht so, dass das daraus gesponnene Netz von Zuneigung, Neid und Verdrängung in sich stabil wäre. Es scheint, als würde es lediglich von einer abwesenden Spinne zusammengehalten. Auf ihr liegt die ganze Last, etwas zusammenzuhalten, was längst nicht mehr zusammengehört. Als sie zurückkehrt, scheint es für einen Moment, als könnte sie die eingerissenen Teile wieder flicken. Aber bald stellt sich heraus, dass ihr geschwächter Körper nur noch brüchige Fäden hervorbringt.

Credits

OT: „Awdat al ibn al Dal“
Land: Ägypten
Jahr: 1976
Regie: Youssef Chahine
Drehbuch: Youssef Chahine, Salah Jahin
Musik: Hassan Abouzeid
Kamera: Abdel Aziz Fahmy
Besetzung: Ahmad Mehrez, Huda Sultan, Mahmoud el-Meliguy, Majida El Roumi, Souheir El-Morshidy, Hesham Selim, Shoukry Sarhan

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„Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ zeigt neben vielschichtigen politischen Bezügen eine Familie im Unglück. Der ägyptische Regisseur Youssef Chahine, einer der wichtigsten Vertreter des arabischen Films, kombiniert unterhaltsame Musicaleinlagen mit politischen und religiösen Anspielungen.
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