Kranke Geschäfte
© ZDF/ARTE/Stanislav Honzik

Kranke Geschäfte

Kritik

Kranke Geschäfte
„Kranke Geschäfte“ // Deutschland-Start: 25. September 2020 (Arte)

Karl-Marx-Stadt im Jahr 1988: Der Schock ist groß bei Armin (Florian Stetter) und Marie Glaser (Felicitas Woll), als sie erfahren, dass ihre Tochter Kati (Lena Urzendowsky) an einer Multiplen Sklerose leidet. Woher diese Autoimmunerkrankung kommt, weiß keiner, es gibt auch nach wie vor kein Heilmittel – wohl aber eine neue, vielversprechende Behandlung. In der Hoffnung, dass Kati auf diese Weise vielleicht doch gesund werden kann, geben Armin und Marie sie in die Obhut von Dr. Sigurd (Corinna Harfouch). Tatsächlich gibt es erste Anzeichen, dass das Medikament wirken könnte, es scheint der Jugendlichen besser zu gehen. Doch dann wird Armin auf diverse Unstimmigkeiten aufmerksam und nutzt als Oberleutnant der Stasi jedes Mittel, um der Sache auf den Grund zu gehen und Katie zu helfen …

An Filmen über die DDR hat es zuletzt nicht gerade gemangelt. Vor allem das 30-jährige Jubiläums des Mauerfalls war für viele eine willkommener Anlass, sich an den sozialistischen Staat zu erinnern. Natürlich erzählte jeder davon eine eigene Geschichte. Und doch hatten sie alle etwas gemeinsam: Ob nun Und der Zukunft zugewandt, Zwischen uns die Mauer oder Fritzi – Eine Wendewundergeschichte, im Mittelpunkt standen immer Figuren, die auf die eine oder andere Weise unter dem repressiven System zu leiden hatten. Menschen, die überwacht wurden, schikaniert, sich nicht frei äußern durften, bei denen sogar private Aspekte wie die Wahl der Musik oder eine Liebesbeziehung vorbestimmt waren.

Die seltene Täterperspektive
Kranke Geschäfte ist deshalb gleich aus zwei Gründen eine willkommene Abwechslung zu den zwar gut gemeinten, zum Teil auch sehr sehenswerten, aber irgendwie doch ähnlichen Filmen. Der eine Punkt ist, dass die Geschichte nicht aus der Perspektive der üblichen Opfer erzählt wird. Im Mittelpunkt steht vielmehr der Stasi-Mann, der vielleicht nicht das größte Tier in seiner Organisation ist, aber durchaus gewillt, die ihm zur Verfügung stehende Macht zu nutzen. Immer wieder terrorisiert er andere. Tatsächlich lernen wir ihn in einer Verhörsituation kennen, in der er ganz genüsslich einen Sänger auseinandernimmt, der es gewagt hat, Lieder vom Feind zu singen. Und auch später wird er keine Skrupel zeigen, wenn es um das Durchdrücken seiner Interessen geht.

Der zweite große Unterschied ist das Thema. Hier geht es ausnahmsweise mal nicht um die DDR als System, sondern um den wenig bekannten und noch weniger schmeichelhaften Pakt, den das Land mit der BRD ausgehandelt hatte: An Bürgern und Bürgerinnen der DDR wurden neue Medikamente ausprobiert, dafür gab es Geld. Geld für den Staat, wohlgemerkt, die Betroffenen selbst wussten nicht, dass sie Teil eines Deals waren. Anders als etwa die klinischen Studien, die derzeit mit Impfstoffen gegen das Corona-Virus ausgeführt werden, wissen in dem Film die Kranken weder, dass es sich um nicht zugelassene Medikamente handelt, noch dass es eine Kontrollgruppe mit Placebos gibt. Da wurde also auch vom Westen ein intransparentes, inhumanes System genutzt – Kranke Geschäfte lässt beide Staaten nicht unbedingt gut dastehen.

Die Frage nach den Grenzen
Dadurch wird auch Armin selbst zu einer ambivalenten Figur, ist er doch Opfer und Täter in einem. So verabscheuungswürdig er in manchen Szenen auch auftritt, sein verzweifelter Kampf um die Tochter lässt viel Identifikationsfläche. Immer wieder wird er den anderen auch die Frage an den Kopf werfen, was sie an seiner Stelle machen würden. Ähnlich zu Filmen wie Das Leben meiner Tochter geht es dabei um die Überlegung: Wie weit darf man, muss man gehen, um das Leben des eigenen Kindes zu retten? Mit dem Unterschied, dass Filme über ein solches Thema meist mit der persönlichen Geschichte beschäftigt sind, während Kranke Geschäfte das private Porträt mit einem gesellschaftlichen verbindet, dabei eine Mischung aus Familien- und Historiendrama entsteht.

Das ist durchaus interessant und spannend, trotz der historischen Komponente auch nach wie vor relevant. Allerdings verliert der TV-Film beim Umgang mit dem Thema die eigenen Figuren aus dem Blick. Am ehesten noch ist Armin eine ausgearbeitete Persönlichkeit: Zumindest gibt es hier Widersprüche und Kanten, zudem eine wenn auch überhastete Entwicklung. Beim Drumherum ist hingegen wenig zu holen. Sowohl seine Frau wie auch seine Tochter treten nicht als Charaktere auf, sind einfach nur irgendwie da. Bei den Vertretern des Systems gab sich Drehbuchautor Johannes Betz (Das Boot) ebenfalls kaum Mühe, mehr als die üblichen Stereotype rund um finstere, profitgierige Hintermänner ist da nicht. Trotz der natürlich tragischen Geschichte, bewegend ist Kranke Geschäfte kaum, mitfiebern ist ebenfalls schwierig. Sehenswert ist der Film dafür als Einblick in finstere Machenschaften, bei denen die Grenzen zwischen gut und böse verwischt werden.

Credits

OT: „Kranke Geschäfte“
Land: Deutschland
Jahr: 2019
Regie: Urs Egger
Drehbuch: Johannes Betz
Musik: Ina Siefert
Kamera: Lukas Strebel
Besetzung: Florian Stetter, Felicitas Woll, Lena Urzendowsky, Corinna Harfouch, Jörg Schüttauf, Johannes Allmayer, Stephan Grossmann

Bilder

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In „Kranke Geschäfte“ nimmt eine Jugendliche an einer Behandlung gegen Multiple Sklerose teil, bis ihr Vater merkt, dass da mehr dahinter steckt. Die Figuren des TV-Dramas sind kaum interessant. Spannend ist es aber als eine Geschichtsstunde über ein düsteres deutsch-deutsches Kapitel, welche das Publikum zu einer eigenen Stellungnahme nötigt.
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von 10