Ghost Town Anthology
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Ghost Town Anthology

Kritik

Ghost Town Anthology
„Ghost Town Anthology“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Als der junge Simon Dubé bei einem Autounfall ums Leben kommt, wissen die anderen in dem kleinen kanadischen Ort Irénée-les-Neiges nicht weiter – zumal unklar ist, ob es sich wirklich um einen Unfall handelte oder vielleicht doch Selbstmord war. Während seine Mutter Gisele (Josée Deschênes) den Gedanken an einen Selbstmord entschieden von sich weist, ist sich Simons Bruder Jimmy (Robert Naylor) da nicht so sicher. Beide suchen sie jedoch nach Antworten, im Gegensatz zum Familienoberhaupt Romuald (Jean-Michel Anctil), der kurze Zeit später nur das Weite sucht. Dafür tauchen andere Personen auf, die keiner kennt, die teilweise gar nicht da sein können …

Abgelegene, eingeschneite Orte, die bieten sich eigentlich immer an für unheimliche Geschichten – und damit unheimliche Filme. Beispiele dafür gibt es natürlich jede Menge, dieses Jahr lief beispielsweise The Lodge im Kino, das an der Grenze zwischen Realität und Wahn entlangwanderte, mit surrealen Mitteln von den Abgründen der menschlichen Seele sprach. Oder auch nicht sprach. Das ist in Ghost Town Anthology durchaus ähnlich. Auch hier kann man sich nie so ganz sicher sein, was tatsächlich geschieht und was nur eingebildet ist. Und mit dem Sprechen hat man es in der eisigen Einöde im kanadischen Québec ebenfalls nicht so, man drückt sich schon ganz gerne davor.

Verloren in der Stille
Ein Publikum, das eindeutige Antworten von Filmen erwartet, braucht die Reise nach Irénée-les-Neiges daher gar nicht erst anzutreten. Regisseur und Drehbuchautor Denis Côté (A Skin So Soft) lässt sowohl seinen Figuren wie auch den Zuschauern und Zuschauerinnen viel Freiraum. Schon die Frage, ob Simon freiwillig in den Tod fuhr oder nicht, wird nie abschließend geklärt. Möglich ist es, zeigt Ghost Town Anthology doch einen Ort, der für viele zu einem Gefängnis geworden ist, aus dem es kein Entrinnen gibt. Da mag noch so viel von Zusammenhalt gesprochen werden, davon dass jeder für jeden da ist, zu spüren ist davon relativ wenig. Sie wirken alle irgendwie verloren in ihrem Alltag, man redet aneinander vorbei oder höchstens übereinander. Sofern man sich nicht ganz der Stille hingibt, die über der Landschaft liegt.

Die Figuren und ihre Szenen finden aber auch nicht zu einer tatsächlichen Geschichte zusammen. Ghost Town Anthology, das lose auf einem Roman von Laurence Olivier basiert, ist eher das Porträt einer abgelegenen Gegend, eine Anthologie eben, weniger ein Film mit Handlung und Dramaturgie. Das Auftauchen der Geister, welche dem Film seinen Namen geben, bleiben ein mysteriöses Element, vergleichbar zu der französischen Kultserie The Returned. Der Film ist auch ähnlich melancholisch, kreiert eine Atmosphäre, die zwar zeitweise ins Unheimliche kippt – ein paar der Wiederkehrer wären auch in einem „echten“ Horrorfilm gut aufgehoben –, sich aber stärker an den Lebenden orientiert, die ähnlich verlassen und vergessen wirken.

Viel Interpretationspielraum
Ob das Fantasydrama, das 2019 im Wettbewerb der Berlinale lief, nun ein Hinweis auf die aussterbenden ländlichen Gegenden ist, wie es sie nicht nur in Kanada gibt, darüber ließe sich streiten. Auch die mangelnde Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit oder im Gegenteil der Unwille, sich von dieser zu lösen, sind mögliche Interpretationsansätze. Wer sich nach einem Film gerne Gedanken dazu macht, der findet hier auf jeden Fall eine interessante Spielwiese, auf der man sich nach Belieben austoben und austauschen kann. Côté lässt einen mit einem Film allein, der gleichzeitig vollgestopft und leer ist, ein Spiel mit Schatten, in denen man alles Mögliche entdecken kann – aber nicht zwingend muss.

Man kann aber auch den Film als solchen genießen und darauf verzichten, die Schemen zu etwas Konkretem umzudeuten. Die grobkörnigen 16mm-Bilder, die kleinen Anzeichen von Humor, das Spiel mit Genreelementen oder auch die surreale Note, die das Fantasydrama manchmal hat: Ghost Town Anthology ist ein ebenso stimmungsvoller wie rätselhafter Film, von dem man sich im Anschluss nicht ganz lösen kann, obwohl nicht eindeutig ist, was genau da nun vorgefallen ist. Eine Reise in die Vergangenheit, magisch und tragisch, ein Traum, bei dem nie klar wird, ob er nun aus der Nacht oder vom Tag gekommen ist, wenn in der Dunkelheit des Nirgendwo alles längst eins geworden ist, die Toten Teil der Lebenden sind – oder war es umgekehrt?

Credits

OT: „Répertoire des villes disparues“
Land: Kanada
Jahr: 2019
Regie: Denis Côté
Drehbuch: Denis Côté
Vorlage: Laurence Olivier
Kamera: François Messier-Rheault
Besetzung: Robert Naylor, Josée Deschênes, Jean-Michel Anctil, Larissa Corriveau

Trailer

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„Ghost Town Anthology“ nimmt uns mit in einen kleinen, abgelegenen Ort im französischsprachigen Kanada, in dem der Tod eines jungen Mannes für viel Unruhe sorgt. Der Film lässt dabei grundsätzlich offen, was die rätselhaften Elemente zu bedeuten haben, verzichtet auf Erklärungen ebenso wie auf eine stringente Handlung. Das macht das Fantasydrama vor allem für ein Publikum interessant, das gerne nachgrübelt und sich dabei der düster-melancholischen Stimmung hingibt.
8
von 10