Replicas In Their Skin
© IFC Films

Replicas – In their Skin

(„In their Skin“ directed by Jeremy Power Regimbal, 2012)

ReplicasEin wenig Ruhe, danach sehnen sich Mary (Selma Blair) und Mark Hughes (Josh Close) nach dem tragischen Unfalltod ihrer Tochter. Ein paar Tage, um fernab der Zivilisation wieder zu sich und zueinander zu finden. Mit der Ruhe ist es aber schon am nächsten Morgen vorbei, als Nachbarn etwas geräuschvoll Holz für die Neuankömmlinge vorbeibringen. Und ehe man es sich versieht, haben sich die Sitkowskis (James D’Arcy, Rachel Miner) schon zum nächsten Mittagessen eingeladen. Welcher höfliche Kanadier würde da schließlich schon nein sagen? Dass Höflichkeit ein Fehler sein kann – sogar ein tödlicher – wird den Hughes zwar noch während des Essens klar. Aber da ist es bereits zu spät.

Zugegeben, freundliche Nachbarn, die sich als mordlüsterne Psychopathen herausstellen, das ist keine wirklich neue Idee. Referenzbeispiel Funny Games vom österreichischen Ausnahmeregisseur Michael Haneke (Das weiße Band, Liebe) hat bereits vorgemacht, wie man mit kleinen fiesen Szenen die Nackenhaare in Bewegung bringt. Und mangelnden Nachwuchs kann man im Home-Invasion-Thriller auch nicht wirklich beklagen, You’re Next zeigte vor anderthalb Jahren, wie man mit einer einfallsreichen Abwandlung des Subgenres Kritikerherzen erfreut, The Purge hatte zumindest eine sehr originelle Ausgangssituation.

Replicas scheint da im Vergleich doch deutlich weniger einfallsreich, weder die Einführung noch die diversen Befreiungsversuche der Hughes weichen von der Genrestandardküche ab, die ganz großen Namen fehlen bei der Besetzung ebenfalls. Das soll nicht heißen, dass der Thriller langweilig ist. Frei nach dem Motto „If it ain’t broke, don’t fix it“ darf man bei jedem Griff zum Messer zusammenzucken, bei jedem Hoffnungsschimmer den Rücken aufrichten. Leidlich spannend ist der kanadische Film also schon, Regisseur Jeremy Power Regimbal hat bei der Inszenierung gut aufgepasst, was andere Kollegen vorgemacht haben.

Dass Replicas am Ende doch noch über den Durchschnitt hinausreicht, teils sogar sehr, liegt zur großen Überraschung an den Figuren. Josh Close, der nicht nur den belagerten Mr. Hughes spielt, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich war, hob sich seine Kreativität für die Ausgestaltung der Eindringlinge auf. Tatsächlich gelingt es ihm, dem altbekannten Szenario neue Seiten abzugewinnen, indem er die Aggressoren anders als Haneke nicht als bloße Sadisten zeichnet. Stattdessen handelt es sich bei den Sitkowskis um verzweifelte Menschen, die auf der Suche nach Halt keine Grenzen mehr kennen, sich mit Gewalt das nehmen, was ihnen fehlt.

Und so ist der Film bei allem Nervenkitzel gleichzeitig auch ein wahnsinnig trauriges Porträt zweier kaputter Familien. Trotz eines etwas zu abrupten Endes zählte Replicas daher beim Fantasy Filmfest 2012 zu den unterschätzten Geheimtipps, denen man ein größeres Publikum gewünscht hätte. Während andere empfehlenswerte Zeitgenossen des jährlichen Festivals als Trostpflaster für den fehlenden Kinostart immerhin noch einen DVD-Release spendiert bekamen (Game of Werewolves, Thale, Ace Attorney), war das bei dem auch als In their Skin bekannten Film nicht der Fall – eine deutsche Fassung ist bis heute nicht erschienen. Eine UK-Version ist hingegen erhältlich und auch recht günstig. Wer den Film seinerzeit verpasst hat, darf dies also mittels Import noch nachholen.



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Freundlich wirkende Nachbarn entpuppen sich als üble Psychopathen, das gehört zum Standardprogramm von Home-Invasion-Thrillern. Tatsächlich unterscheidet sich „Replicas“ vom Ablauf nur wenig von der Konkurrenz, sticht jedoch durch seine ungewöhnlich traurigen Figuren hervor.
7
von 10