Mit der Kraft des Windes Les Héritières
© Emmanuelle Jacobson-Roques/Incognita/ARTE F

Mit der Kraft des Windes

Inhalt  / Kritik

Mit der Kraft des Windes Les Héritières
„Mit der Kraft des Windes“ // Deutschland-Start: 4. Juni 2021 (Arte)

Sanou (Tracy Gotoas) mag erst 15 Jahre alt sein. Doch sie weiß schon sehr genau, was sie einmal werden möchte: Windingenieurin. Der Weg dorthin ist hart und führt nur über eine der prestigeträchtigsten Schulen von Paris. Tatsächlich gelingt es ihr, aufgrund ihrer guten Noten, einen der begehrten Plätze dort zu ergattern. Die Probleme fangen damit aber erst richtig an. Nicht nur, dass sie wegen ihrer Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen nicht dazu passt und diese deshalb zu verheimlichen versucht. Auch aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe sticht sie hervor. Gleichzeitig machen ihre Eltern (Tatiana Rojo-Amoutati, Augustin Ruhabura) Stress, da sie einer akademischen Laufbahn sehr skeptisch gegenüber stehen. Erst als Sanou ein Stipendium winkt, wenn sie im Gegenzug Khady (Fanta Kebe) Nachhilfeunterricht gibt, sieht sie eine Möglichkeit, endlich auf eigenen Füßen zu stehen …

Prägung durch das Umfeld

Wer nur hart an sich arbeitet, der wird es im Leben zu etwas bringen – so zumindest wird immer wieder behauptet. Dabei ist ein nicht unwesentlicher Teil des eigenen Weges schon durch unsere Herkunft und unser Milieu bestimmt. Diese Erfahrung muss auch Sanou in dem TV-Drama Mit der Kraft des Windes machen. Sie ist intelligent, kein Zweifel. Sie ist auch bereit, hart zu arbeiten, um damit ihren Traum des Ingenieurstudiums zu verwirklichen. Und doch stößt sie trotz dieser guten Eigenschaften immer wieder an Grenzen, die ihr von außen gesetzt werden. Das kann aus persönlichen Gründen geschehen oder strukturelle Ursachen haben. Manchmal geschieht das auch unmerklich, wenn die entsprechenden Blockierer selbst nicht realisieren, wie sehr sie in ihrer Weltsicht gefangen sind.

Mit der Kraft des Windes zeigt das besonders am Beispiel von Sanous Vater. Der liebt seine Tochter durchaus, auch wenn er das – den Konventionen entsprechend – nicht so richtig zeigen kann. Aber er ist dann doch sehr in dem traditionellen Denken verhaftet. Während er alles dafür tut, dass der Sohn eine Karriere als Fußballer machen darf, hat er nicht viel übrig für die Pläne der Tochter. Förderung ihres Talents? Nee, muss nicht sein. Das Drama führt an dieser Stelle das alte patriarchische Denken vor, welches die Menschen nicht nur in zwei Geschlechter einteilt, sondern auch in zwei Klassen. Die Frau hat sich zu fügen, das Familienoberhaupt hat bei allem recht – selbst wenn es mal nicht recht haben sollte.

Nicht frei von Klischees und Konventionen

Sonderlich differenziert ist das nicht beschrieben. Den beiden Drehbuchautorinnen Johanna Goldschmidt und Laure-Elisabeth Bourdaud sind an der Stelle nicht wirklich mehr als Klischees eingefallen. Und auch an anderen Stellen zeigt sich Mit der Kraft des Windes als erzählerisch nicht übermäßig ambitioniert. So zeigt der Film zwar durchaus die verschiedenen Herausforderungen und Hindernisse, die eine Jugendliche aus einfachen Verhältnissen zu meistern hat. Richtig weh tun darf das aber nicht. Stattdessen ist das Drama als Aufmunterung und Aufforderung konzipiert, den eigenen Weg zu verfolgen. Und auch die anfänglichen Reibungen zwischen Sanou und Khady haben naturgemäß nicht Bestand.

Interessanter ist da schon, wie ein klassisches Coming-of-Age-Drama mit einem Milieuporträt verbunden wird. So läuft beispielsweise eine Zeit lang ein Schüler Sanou hinterher, weil die ihm noch dreißig Euro bezahlen sollte. Das ist nicht viel für ihn oder die vielen anderen Kinder aus gutem, vermögenden Hause. Für ein Mädchen, das über kein eigenes Geld verfügt und selbst das Stipendium brav zu Hause abliefern muss, sieht es da schon anders aus. Mit der Kraft des Windes zeigt eine Zweiklassengesellschaft, die wenig Verständnis füreinander hat, auch weil die Berührungspunkte fehlen. Wenn nicht zufällig gerade jemand aus der einen Welt in die andere reist, wüsste man kaum voneinander. Wüsste auch nicht, dass vieles, das einem selbst so selbstverständlich erscheint, das gar nicht ist, sondern die Folge von Faktoren, auf die man selbst keinen Einfluss hatte.

Ruhig und natürlich

Auch wenn dabei schlussendlich vielleicht keine großen Erkenntnisse gewonnen werden, so ist die Geschichte um eine ambitionierte Schülerin doch umgesetzt. Auch wenn sich das manchmal zuspitzt, Regisseurin Nolwenn Lemesle verzichtet auf ein tränenreiches Drama mit den ganz heftigen Schicksalsschlägen, die gerne mal zu manipulativen Zwecken eingesetzt werden. Stattdessen ist Mit der Kraft des Windes ein ziemlich ruhiger Film, der betont realistisch inszeniert wurde. Das funktioniert auch durch die gute Leistung der Nachwuchsdarstellerin Tracy Gotoas. Es gelingt ihr, auf natürliche Weise das Heranwachsen einer Jugendlichen zu zeigen, die eigentlich weiß, was sie will, aber doch mit ihrer Selbstfindung zu kämpfen hat. Das gibt dem Film auch eine universelle Note, mit der sich viele werden identifizieren können, losgelöst von sozialer Herkunft, Hautfarbe oder auch Nationalität.

Credits

OT: „Les Héritières“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Nolwenn Lemesle
Drehbuch: Johanna Goldschmidt, Laure-Elisabeth Bourdaud
Musik: Ronan Maillard
Kamera: Léo Lefevre
Besetzung: Tracy Gotoas, Fanta Kebe, Lucie Fagedet, Sam Chemoul, Augustin Ruhabura, Tatiana Rojo-Amoutati, Déborah François, Marie Bunel

Bilder

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

In „Mit der Kraft des Windes“ träumt eine Jugendliche davon, Windingenieurin zu werden, tut sich aber schwer damit, auf eine prestigeträchtige Schule zu gehen. Das französische Drama zeigt auf, wie wir durch unsere Herkunft und andere Umstände bestimmt werden, ohne dass wir einen Einfluss darauf haben. Ganz große Erkenntnisse springen dabei nicht raus. Gut umgesetzt und gespielt ist der Film aber.
7
von 10