Weiß wie Schnee Wer ist die Schönste im ganzen Land Blanche comme neige
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Weiß wie Schnee – Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Kritik

Weiß wie Schnee Wer ist die Schönste im ganzen Land Blanche comme neige
„Weiß wie Schnee – Wer ist die Schönste im ganzen Land?“ // Deutschland-Start: 7. Mai 2020 (DVD/Blu-ray)

Claire (Lou de Laâge) ist schön wie keine andere. Leider, wie ihre eifersüchtige Stiefmutter Maud (Isabelle Huppert) feststellt, die sich nach dem Tod ihres Mannes um sie kümmern muss. Das tut sie auch, wenngleich nicht so, wie man es von ihr erwarten durfte. Denn um die unliebsame Konkurrentin loszuwerden, schreckt sie selbst vor einem Mord nicht zurück. Doch der Anschlag schlägt fehlt, ein Unbekannter (Damien Bonnard) rettet sie aus ihrer misslichen Lage und nimmt sie mit zu sich nach Hause. Das wiederum bringt jede Menge Unruhe ins Dorf, wo ihr die Männer bald scharenweise zu Füßen liegen, während Maud ihr noch immer nach dem Leben trachtet …

Neuinterpretationen von Märchen hat es natürlich immer schon gegeben. Aus gutem Grund: Die Werke sind bei allen bekannt, es gibt keine lästigen Verhandlungen um Rechte, man kann stattdessen mehr Geld in Stars oder Ausstattung stecken. Eine Zeit lang war Hollywood geradezu vernarrt darin, die alten Geschichten wieder auf die Leinwand zu bringen, sei es als actiongeladenes Spektakel wie in Snow White & The Huntsman oder Hänsel und Gretel: Hexenjäger, sei es als eher konventioneller Kostümfilm wie in Disneys Cinderella. Doch es gibt auch ganz andere Interpretationen, welche die klassischen Stoffe in der Gegenwart verankern, sich von den fantastischen Komponenten lösen, um auf diese Weise vielleicht auch etwas Relevantes zu einer heutigen Gesellschaft zu sagen.

Weg mit dem Prinzen, ich nehm die Zwerge!
Gut möglich, dass Regisseurin und Co-Autorin Anne Fontaine (Marvin, Ein Sommer mit Flaubert) das auch vorhatte. Ein Unterschied ist zumindest deutlich: In Weiß wie Schnee – Wer ist die Schönste im ganzen Land? gibt es keinen strahlenden Prinzen, der Schneewittchen aus ihrem durch einen vergifteten Apfel verursachten Dauerschlaf erweckt. Die junge Frau, sonst dazu verdammt, eine Damsel in Distress zu verkörpern, deren einzige Eigenschaft ihre unverschämte Schönheit ist, darf hier zumindest ein bisschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Zwar braucht sie am Anfang noch einen Mann, der sie aus der misslichen, potenziell sehr tödlichen Lage befreit. Danach bestimmt sie ihr Schicksal jedoch selbst.

Und dieses Schicksal lautet: Sex. Wenn schon der Prinz aus dem Leben der holden Maid verschwunden ist, so hat sie doch stattdessen die Wahl zwischen sieben verschiedenen Verehrern, quasi dem heutigen Pendant der sieben Zwerge. Nur größer. Und zumindest teilweise besser aussehend. Diese Freiheit nutzt die Dame auch aus, um mit ihnen ins Bett zu gehen, je mehr Männer, umso besser. Das hört sich ein bisschen nach einer Sexklamotte an, wie man sie früher im speziellen Bereich von Videotheken fand. Doch obwohl Claire keine Kostverächterin ist, die diversen Szenen, wenn sie sich mal dem einen, mal dem anderen hingibt, haben nichts Pornografisches. Sind eher komisch als erotisch.

Und was genau will dieser Film?
Man könnte Weiß wie Schnee deshalb als Komödie auffassen. Oder als Thriller, wenn Maud keine Mühe zu groß ist, um ihrer mörderischen Eifersucht nachzugehen. So richtig eindeutig wird es aber nicht, was genau Fontaine mit diesem Film erreichen wollte. Eine gewisse feministische Note hat das hier schon, wenn Claire ihr Leben stärker bestimmt, als es in dem Märchen der Fall war. Zu einem richtigen Statement reicht es aber nicht, dafür bleibt die Figur zu eindimensional, ist nach wie vor zu sehr von ihrem Aussehen definiert. Der Film ist auch weder so unterhaltsam, noch so spannend, dass man ihn tatsächlich klassifizieren könnte. Denn dafür hätte doch deutlich mehr passieren müssen, viel Zeit wird darauf aufgewendet, dass Claire durchs Dorf läuft und immer mehr Männer kennenlernt. Das war es aber schon, es hat keine nennenswerten Auswirkungen.

Taucht Maud dann nach einer langen Pause wieder auf, gewinnt der Film glücklicherweise wieder an Kraft. Das ist natürlich Isabelle Huppert zu verdanken, die ihre Rolle als eiskaltes Biest so gut beherrscht, dass sie gar nicht mehr viel tun muss und ihre Rolle quasi im Schlaf beherrscht. Aber auch die wunderbaren Bilder von Kameramann Yves Angelo tragen dazu bei, dass man die Ereignislosigkeit von Weiß wie Schnee streckenweise vergisst. Schöner wäre es natürlich gewesen, wenn die beiden von dem Drehbuch nicht dermaßen stark im Stich gelassen worden wären. Gute Einfälle finden sich ja durchaus in dem Film, dazu eine auch bei den Männern gute Besetzung. Er ist nur weit von dem entfernt, was er hätte sein können.

Credits

OT: „Blanche comme neige“
IT: „Pure as Snow“
Land: Frankreich, Belgien
Jahr: 2019
Regie: Anne Fontaine
Drehbuch: Anne Fontaine, Pascal Bonitzer
Musik: Bruno Coulais
Kamera: Yves Angelo
Besetzung: Lou de Laâge, Isabelle Huppert, Charles Berling, Damien Bonnard, Jonathan Cohen, Richard Fréchette, Vincent Macaigne, Pablo Pauly, Benoît Poelvoorde

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„Weiß wie Schnee“ ist eine ungewöhnliche Interpretation von Schneewittchen, die in der Gegenwart spielt, ohne Prinzen auskommt, dafür aber eine Titelfigur hat, welche mit allen möglichen Quasi-Zwergen ins Bett geht. Teilweise ist das unterhaltsam, Isabelle Huppert ist für die Rolle der bösen Stiefmutter eine Idealbesetzung, auch die Bilder sind toll. Der Funke springt dennoch nicht ganz über, da das Drehbuch selbst nicht weiß, was es mit dem Szenario anfangen soll.
6
von 10