Blue My Mind

Blue My Mind

Blue My Mind
„Blue My Mind“ // Deutschland-Start: 1. November 2018 (Kino)

Irgendwie ist das alles großer Mist gerade. Eine neue Stadt, eine neue Schule – darauf hätte die 15-jährige Mia (Luna Wedler) gut und gern verzichten können. Zumal sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird: Gleich am ersten Tag wird sie von ihrer Mitschülerin Gianna (Zoë Pastelle Holthuizen) und deren Clique gemobbt. Doch Mia gibt nicht auf, will unbedingt von den Mädels akzeptiert werden. Das gelingt ihr nach einer Weile auch tatsächlich, aus ihrer Kontrahentin wird eine Freundin. Gleichzeitig entfremdet sie sich jedoch immer weiter von ihrer Familie. Schlimmer noch sind aber die eigenartigen Veränderungen, die sie an ihrem Körper feststellt.

Wenn der Körper plötzlich nicht mehr so ist, wie du ihn kennst, wie du ihn haben willst, nicht mehr das tut, was du von ihm erwartest, dann kann das schon eine erschreckende Erfahrung sein. Eine Erfahrung, durch die die meisten Menschen zweimal in ihrem Leben müssen. Die eine betrifft das Alter, wenn wir langsam zerfallen, die andere die Jugend, wenn wir uns in einen Erwachsenen verwandeln. Für Filmemacher ist es die letztere Metamorphose, die besonders inspirierend ist, geht sie doch auch mit einer Selbstsuche zusammen, umfasst neben Fragen der Identität auch die der Sexualität.

Dein Körper, das monströse Wesen
Coming-of-Age-Filme gibt es daher auch wie Sand am Meer, schließlich werden darin Erfahrungen verarbeitet, die jeder kennt. Das bedeutet aber nicht zwangsweise, dass auch die Umsetzung altbekannt sein muss. Immer mal wieder finden sich Filmemacher und Filmemacherinnen, die diesen Transformationsprozess mit fantastischen Elementen anreichern. Das Erwachen eines Menschen wird dort mit dem Erwachen eines Monsters gleichgesetzt. Das können Werwölfe sein (When Animals Dream) oder Vampire (The Transfiguration). Alles, was irgendwie anders und furchteinflößend ist.

Die Schweizerin Lisa Brühlmann hat bei ihrem Spielfilmdebüt als Regisseurin und Drehbuchautorin nun eine weitere Kreatur aus dem Reich der Legenden und Fabeln ausgekramt, um damit ein sehr irdisches Phänomen zu beschreiben. Welche Kreatur das genau ist, das lässt Blue My Mind lange offen, die Hinweise sind eher selten und auch spät. Zudem hält sich der Horror-Aspekt in Grenzen. Zwar gibt es diese Momente, in denen der Körper Albträume bereitet. Aber dies betrifft in erster Linie Mia selbst, im Gegensatz zu anderen Werken, die Fantasy und Coming of Age kombinieren, ist sie eine Gefahr für sich selbst, nicht für andere.

Großer Auftritt eines Nachwuchsstars
Es sind dann auch eben diese Momente, durch die Blue My Mind in Erinnerung bleibt. Die Schweizer Nachwuchsschauspielerin Luna Wedler, die derzeit mit einem weiteren Jugendfilm Das schönste Mädchen der Welt im Kinorennen ist, liefert eine entfesselt-furiose Darstellung ab, von einer Jugendlichen, die immer mehr will und immer weniger kontrollieren kann. Eine Jugendliche, die so verzweifelt irgendwohin gehören will, einen Platz für sich sucht, dass sie dabei alles zu verlieren droht. Das ist nicht unbedingt immer sympathisch, von einem hübschen Prinzesschen, dem das Publikum nacheifern sollte oder wollte, ist Mia weit entfernt. Hier darf Erwachsenwerden noch richtig hässlich sein.

Gleichzeitig ist das Drama, das von einem Festival zum nächsten weitergereicht wird – aktuell stehen das Fünf Seen Filmfestival und das Filmfest Oldenburg auf dem Programm –, aber selbst sehr schön anzusehen. Da wird mit ausdrucksstarken Farben gearbeitet, mechanische Stadtaufnahmen wechseln sich mit rauschartigen Naturvisionen ab, so wie Blue My Mind allgemein gern mit Kontrasten spielt. Weniger geglückt ist die Darstellung der Erwachsenen, die seltsam fremd bleiben. Das passt einerseits natürlich zum Thema, ist aber doch eher unbefriedigend. Und natürlich ist die Grundsituation schon ein wenig abgenutzt, vom Schulwechsel über die Alphaweibchen-Cliquen-Monster bis zur ersten Periode hält sich Brühlmann an die üblichen Wegmarker. Der große Abräumer des diesjährigen Schweizer Filmpreises macht dies aber durch seine unbändige Energie wieder wett, wenn der schwierige Weg zum eigenen „ich“ zu einem wilden Ritt durch alle Gefühlswellen wird, bei dem einem schon beim bloßen Zusehen schwindlig wird.



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„Blue My Mind“ erzählt von den üblichen Schwierigkeiten einer Jugendlichen, ihren Platz im Leben zu finden, kombiniert die körperlichen Veränderungen in diesem Alter aber mit fantastischen Elementen. Auch das ist nicht ganz neu, aber furios gespielt und bleibt auch durch die tollen Bilder in Erinnerung.
7
von 10