Psychonauts The Forgotten Children

Psychonauts, the Forgotten Children

(„Psiconautas, los niños olvidados“ directed by Pedro Rivero und Alberto Vázquez, 2015)

Psychonauts The Forgotten Children
„Psychonauts, the Forgotten Children“ läuft im Rahmen des Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart (2. bis 7. Mai 2017)

Das Mäusemädchen Daisy will endlich weg von allem. Weg von ihrer Familie und deren Misshandlungen. Weg von der Insel, auf der alle seit der Katastrophe damals in Armut und Verzweiflung leben. Doch dabei möchte sie nicht allein sein. Ihre besten Freunde sollen mitkommen: der von den anderen gemobbte Fuchs Zorrit sowie Sandra, ein Kaninchen, das unheimliche Stimmen hört. Vor allem aber Birdboy hätte sie gern dabei, der von dem Rest der Insel gefürchtet oder gar gehasst wird für das, was sein Vater getan hat. Für den sie Gefühle hat. Doch das ist nicht einfach, so ganz ohne Geld. Aber das Trio hat schon eine Idee, wo es dieses finden kann.

Warum in die Ferne schweifen? Bei Animationsfilmen denken die meisten – je nach Geschmackslage – zuerst an Werke aus den USA oder Japan. Europa haben nicht ganz so viele auf dem Schirm, schon gar nicht Spanien. Dabei kommt von dort sogar einer der bemerkenswertesten der letzten Jahre. Einer der besten. Man würde auch sagen wollen: einer der schönsten. Verdient hätte er es, wenn er nur nicht gleichzeitig auch das Gegenteil wäre. Einer der furchtbarsten, härtesten und unangenehmsten, die man je gesehen haben wird.

Bizarr, willkürlich und surreal
Einige Jahre, nachdem das Regieduo Pedro Rivero und Alberto Vázquez (Decorado) mit dem Kurzfilm Birdboy für Furore sorgten, meldeten sich die zwei hier mit einer längeren Fassung zurück. Gesehen haben muss man den Mini-Vorgänger jedoch nicht, um die Ereignisse hier zu verstehen. So ganz verstehen kann man sie ohnehin nicht, denn Psychonauts, the Forgotten Children ist wahnsinnig bizarr, willkürlich und surreal. Immer wieder brechen aus alltäglichen Situationen ganz unerwartete hervor. Die grundsätzliche Geschichte ist dabei nicht allzu kompliziert: Drei bis vier junge Protagonisten versuchen eine Insel zu verlassen. Doch der Teufel steckt im Detail. Manchmal aber auch in den Protagonisten selbst.

Von bösen Stimmen ist hier die Rede, welche Sandra dazu veranlassen sollen, selbst Böses zu tun. Eine drogensüchtige Schweinemutter macht das Leben ihres Sohns zur Hölle. Und der kleine, an ein Skelett erinnernde Birdboy beherbergt ein Monster, das darauf wartet, auszubrechen und Elend über die Tiere zu bringen. Das hört sich bereits düster an und bereitet doch nicht darauf vor, was einen hier erwartet. Tiere als Protagonisten eines Animationsfilms, das bedeutete in den letzten Jahren so etwas wie Pets, Ice Age oder Jagdfieber. Nette Filme. Bunte Filme. Lustige Filme. Farben gibt es auch in Psychonauts, the Forgotten Children, aber sie sind dunkel. Blutrot etwa. Wundervolle Hintergründe treffen auf sehr einfache Figuren. Und ja, hin und wieder darf auch gelacht werden, etwa bei den absurden Auftritten eines sprechenden Weckers, der ohne Daisy nicht leben mag.

Ein brutaler Angriff auf Herz und Lachmuskeln
Aber der Humor ist ebenso finster und bizarr wie der Rest des Films, ein Ausflug in die Abgründe der menschlichen Seele. Am ehesten trifft noch der Vergleich zum inzwischen in Vergessenheit geratenen Maus & Sohn, wo ebenfalls Spielzeugtiere umherlaufen und die Protagonisten auf einer Müllhalde landen. Denn dort leben auch die im Titel genannten vergessenen Kinder: Ratten, Nager, vereint in ihrer Armut und dem Wahn nach Kupfer, der sie aus diesem traurigen Dasein befreien soll. Bei ihrem Kampf ums Überleben gehen sie bis zum Äußersten, so wie Gewalt allgemein gegenwärtig ist. Gewalt aus Gier, Gewalt aus Angst, Gewalt als Selbstbestätigung.

Nein, Kinder sollten sich den Film besser nicht ansehen, auch wenn Kinder hier die Hauptrollen haben. Denn das, was die Spanier bei ihrer Adaption einer Graphic Novel zeigen, ist der Stoff, aus dem Alpträume gemacht werden. Gleichzeitig ist Psychonauts, the Forgotten Children aber kein reiner Horrorfilm. Die vielen furchteinflößenden Momente gehen mit sehr traurigen einher: Die postapokalyptische Geschichte ist immer auch das Porträt einer sich selbst überlassenen, verlorenen Jugend, für die hier kein Platz mehr ist. Mehr über den Inhalt zu verraten, würde ihm nicht gerecht werden: Dieser Film muss gesehen werden, erlebt, nicht beschrieben. Leider sind die Möglichkeiten dazu jedoch nach wie vor sehr beschränkt. Obwohl Psychonauts, the Forgotten Children die Kritiker weltweit entzückte und verstörte, unter anderem bei den Goya Awards und dem Europäischen Filmpreis gewürdigt wurde, ist er bislang nirgends erschienen – nicht einmal in Spanien selbst. Glück hat, wer Anfang Mai 2017 in Stuttgart ist, wo er auf dem Internationalen Trickfilm Festival zu sehen ist. Zum zweiten Mal übrigens, denn das Jahr zuvor gewann das düster-bewegende und stilistisch aufregende Märchen den AniMovie als bester Langfilm und setzte sich damit gegen hochkarätige Konkurrenz wie Hinter der Gartenmauer und Miss Hokusai durch. Und das muss man erst einmal schaffen.



(Anzeige)

„Psychonauts, the Forgotten Children“ erzählt mal furchteinflößend, dann wieder humorvoll oder auch bewegend die Geschichte verlorener Kinder, die nach einem neuen Leben suchen. Für Kinder ist der Film zu düster und zu bizarr. Wer aber etwas andere Animationswerke zu schätzen weiß, der findet in dem poetischen Alptraum eines der bemerkenswertesten der letzten Jahre.
8
von 10