Blind Vaysha

(„Blind Vaysha“ directed by Theodore Ushev, 2016)

Blind VayshaSeit ihrer Geburt ist das Mädchen Vaysha etwas ganz besonderes. Genauer sind es ihre Augen, die sie hervorstechen lassen. Nicht nur, dass sie von einer unterschiedlichen Farbe sind, sie sehen auch unterschiedlich: Das linke zeigt ihr lediglich die Vergangenheit, das rechte die Zukunft. Die Gegenwart jedoch, die bleibt ihr verborgen, was ihr den Namen „blinde“ Vaysha einbringt. Den anderen Menschen sind ihre Fähigkeiten ziemlich unheimlich. Doch so viele Weise auch kommen, keiner findet eine Möglichkeit, sie von dem Zauber zu befreien. Und so beschließt das Mädchen, sich von einem dieser Augen zu trennen. Aber welches?

Man mag ja von den Oscars halten, was man will. Aber zumindest in der Kategorie „bester animierter Kurzfilm“ ist die Abwechslung doch bemerkenswert – inhaltlich wie optisch. Siehe die Academy Awards 2017Piper erzählte mit fotorealistischen Bildern die Geschichte eines kleinen Sandläufers. Pearl setzte auf ganz grobe 360-Grad-Grafiken und viel Musik, um den Zuschauer auf einen etwas anderen Vater-Tochter-Roadtrip mitzunehmen. Der wohl ungewöhnlichste Beitrag ist aber Blind Vaysha des bulgarischen Filmemachers Theodore Ushev.

Eine düstere, befremdliche und tragische Geschichte
Die Vorlage dazu hatte eine Geschichte seines Landsmanns Georgi Gospodinov geliefert. Düster ist sie, befremdlich. Und natürlich auch tragisch: Dem Mädchen ist ein normales Leben verwehrt. Nicht einmal einen Ehemann kann sie finden, da sie statt eines Mannes nur Jungen und Greise sieht. Besonders gemein – und bizarr – wird es zum Ende, wenn sich die Protagonistin und das Publikum für eins von beiden Augen entscheiden sollen. Was ist besser: immer nur die Vergangenheit zu sehen oder immer nur die Zukunft? Einfach ist die Entscheidung nicht, teilweise eher die Wahl zwischen Pest und Cholera. Zwischen einer Landschaft, in der noch nichts existiert, und einer, in der die Menschheit bereits in Trümmern liegt.

Bei Blind Vaysha sticht aber nicht nur die finstere und philosophisch angehauchte Geschichte, welche von Caroline Dhavernas (Hannibal) erzählt wird, aus dem Feld der Nominierten heraus. Auch die visuelle Umsetzung ist ziemlich eigenwillig. Da wäre zum Beispiel der Einsatz von Splitscreens, um die unterschiedlichen Sichthälften zu simulieren. Ushev orientierte sich zudem an der klassischen Linolschnitttechnik. Tatsächlich sieht der am Computer erstellte Kurzfilm so aus, als hätte jemand alte Drucke animiert. Die Farben sind dabei gedeckt und dunkel, ohne Verläufe, aber sehr ausdrucksstark. Und das gilt auch für die Figuren mit ihren dicken Umrandungen und den schiefen Proportionen.

Alptraumhafte Bilder
Ein bisschen sieht das so aus, als hätten sich Bill Plympton (Idiots and Angels) und Aleksandr Petrov (The Old Man and the Sea) zusammengetan. Nur dass das hier noch mal ein ganzes Stück alptraumhafter ist. Blind Vaysha erinnert an alte Volksmärchen, nimmt den Zuschauer für einige Minuten mit eine Welt, die vertraut und verstörend zugleich ist. Dass es hierfür am Ende keinen Oscar gab, ist kein Wunder. Vielmehr war es die Nominierung, die manche überrascht haben dürfte – mit den meist familienfreundlichen Gewinnern hat das hier nichts zu tun. Aber allein deshalb schon lohnt es sich, sich das hier einmal anzuschauen: Der Kurzfilm ist eine faszinierend sonderbare und unheimlich gute Demonstration, was im Bereich der Animation alles möglich ist.



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Die Geschichte ist düster und nachdenklich, die Bilder sind grob und alptraumhaft: „Blind Vaysha“ ist ein faszinierend anderer Kurzfilm, der an alte Drucke und alte Volksmärchen erinnert.
8
von 10