Julieta
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Julieta

(„Julieta“ directed by Pedro Almodóvar, 2016)

„Julieta“ ist seit 5. Dezember auf DVD und Blu-ray erhältlich

Die Koffer sind gepackt, alle Vorkehrungen getroffen: Dem Umzug von Julieta (Emma Suárez) und ihrem Freund Lorenzo (Darío Grandinetti) nach Portugal steht eigentlich nichts mehr im Wege. Doch dann trifft sie eine Jugendfreundin ihrer Tochter wieder. Und plötzlich ist alles wieder da: Julietas Erinnerung daran, wie sie als junge Frau (Adriana Ugarte) den hübschen Xoan (Daniel Grao) kennengelernt hat, die seltsamen Umstände seinerzeit. Vor allem aber ihre Erinnerungen an die gemeinsame Tochter, von der sie sich vor langer Zeit entfremdet hat, veranlasst sie dazu, die Umzugspläne abzubrechen und doch in Madrid zu bleiben.

Nein, einfach macht es einem Pedro Almodóvar hier nicht. Nachdem er zuletzt mit Fliegende Fische in seichteren Gefilden unterwegs war, suchte er sich dieses Mal wieder einen richtig harten Stoff zusammen und wurde dabei in Kanada fündig. Genaugenommen sind es drei Kurzgeschichten der Literaturnobelpreisträgerin Alice Munro, die er in Julieta umsetzte, nicht ohne ihnen dabei aber seinen Stempel aufzudrücken – je dicker, umso besser. Dabei ist es weniger die vertrackte Erzählweise, die das Vergnügen hier schmälert. Denn die entpuppt sich nach kurzer Zeit als ziemlicher Blender. Anfangs darf man noch ein wenig verwirrt sein, wenn der spanische Regisseur und Drehbuchautor aus dem heiteren Himmel in die Vergangenheit springt und ohne großen Kontext von der Begegnung Julietas mit Xoan erzählt. Doch das ist bald vorbei, anschließend geht es trotz diverser Sprünge chronologisch weiter, relativ gradlinig, ohne größere erzählerische Marotten.

Der Wegfall einer strukturellen Komplexität macht Julieta aber nicht leichter verdaulich, denn an deren Stelle treten schon früh die inhaltlich schweren Brocken. Dass das Kennenlernen der beiden Liebenden zeitgleich zu einem Selbstmord stattfindet, bildet nur den Auftakt für eine Geschichte, in der Licht und Schatten untrennbar miteinander verbunden. Liebe und Tod, Vergnügen und Schuld, Sehnsucht und Schmerz. Etwas dick aufgetragen ist das zwischenzeitlich schon, vor allem auch in musikalischer Hinsicht: In dem Drama gibt es kaum einen ruhigen Moment, ständig wird hier der Eindruck erweckt, als wäre man in einem Thriller und die Protagonistin auf einer gefährlichen Mission. Das ist anfangs auffällig, später befremdlich, zum Ende hin sehr nervig.

Dass Almodóvar hier nicht einfach seinen beiden Hauptdarstellerinnen vertraut, ist mehr als bedauerlich, da sie beide eine starke Leistung abliefern. Vor allem der Mittelteil, wenn der Film die Folgen von Xoans Unglück bzw. die unterschiedlichen Reaktionen hierauf beleuchtet, hat einige einprägsame Szenen auf Lager. Der tiefe Fall in die Depression, Verdrängung, auch (Selbst-)Vorwürfe: Julieta spart keinen Abgrund aus, in den man sich nach einem Schicksalsschlag stürzen kann. Nicht alles davon wird wirklich ausformuliert, der Film konzentriert sich größtenteils auf seine Titelfigur. Auch das ist teilweise interessant, denn neben dem Hauptthema entsteht so ein zweites: Wie gut kenne ich die Menschen eigentlich, selbst solche, die mir nahestehen? Eben weil Julieta in ihrem Leben alles an sich reißt, muss der Rest zwangsweise verblassen, unbeachtet von allen davondriften, bis dessen Bild zum Schatten wird. Da noch ein bisschen tiefer zu bohren wäre sicherlich spannend gewesen, die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung hätte noch ein paar Szenen mehr vertragen können. Aber auch so ist der Schmerz des Nichts spürbar, das Drama trotz der Soap-Opera-Anleihen ein bewegender Ausflug in die Dunkelheit.



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In „Julieta“ umkreist Pedro Almodóvar bekannte Themen wie Liebe, Verlust und Schuld, hängt diese an einer komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung auf. Das hätte noch mehr Tiefgang vertragen, dafür weniger auch musikalisch bedingtes Melodram, ist aber doch ein bewegender Blick in die schmerzvollen Abgründe und der Reaktionen hierauf.
7
von 10