Kaiba
2008 Masaaki Yuasa. MADHOUSE/KAIBA PARTNERS

(„Kaiba“ directed by Masaaki Yuasa, 2008)

KaibaNach unserer Reise in die Vergangenheit in der Jazzromanze Chico & Rita letzte Woche, geht es im 118. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials wieder mit voller Kraft voraus in die Zukunft. Dabei dürfen wir darüber nachgrübeln, welche Bedeutung Erinnerungen für unsere Persönlichkeit haben und uns selbst erinnern lassen, wie sehr das Äußere manchmal täuschen kann.

Wer er ist? Keine Ahnung. Ebenso wenig kann Kaiba sagen, was er an diesem Ort eigentlich tut oder wer das Mädchen ist, dessen Bild er in seinem Anhänger trägt. Er weiß nur, dass er schnell weg muss, als er plötzlich angegriffen wird. Und dass er herausfinden muss, was mit seinen Erinnerungen geschehen ist. Denn die werden in der fernen Zukunft auf speziellen Chips festgehalten, die auch über den Tod hinaus existieren und die gerade in der Oberschichte äußerst beliebt sind – schließlich lassen sie sich nach Belieben modifizieren, in fremde Körper einpflanzen und mit völlig fremden Erinnerungen kombinieren.

Ein Name, der immer mal wieder auf Empfehlungslisten für Animes auftaucht, ist der des Regisseurs Masaaki Yuasa (Mind Game, The Tatami Galaxy). Und das ist insofern komisch, da seine Werke weder optisch noch inhaltlich viel mit dem gemeinsam haben, was wir mit Animes verbinden. Oftmals würde man nicht einmal merken, dass es sich hier um einen Vertreter der japanischen Zeichentrickkunst handelt, so ungewöhnlich ist das Ergebnis.

Beispiel Kaiba: Die in Zusammenarbeit mit dem Traditionsstudio Madhouse (Boogiepop Phantom, Paprika) entstandene Serie sieht so aus, als wäre sie einige Jahrzehnte alt, würde frühe Designs von Walt Disney mit denen von Osamu Tezuka kreuzen, versetzt mit den surrealen Welten eines René Laloux (Der phantastische Planet, Herrscher der Zeit) und dem Stil von Es war einmal … das Leben. Die Figuren sind einfach, kindlich gehalten, so als ob Kinder selbst mit Stiften herumgespielt hätten. Und mit Farbe. Ausgefeilte Kolorierungen? Nein, damit kann der Anime nicht dienen. Hier wird mit monochromen Großflächen gearbeitet, die mal grau, mal rosa, mal grün sein können, zwischendurch wird der komplette Himmel auch rot.

Was normalerweise eher gegen ein Zeichentrickwerk spricht, gehört hier jedoch zum Konzept. Wenn sich vor diesen detailarmen Hintergründen, deren Perspektiven und Proportionen nie so ganz stimmen wollen, bizarre Vogelwesen tummeln, während im Hintergrund eine Synthesizer-Musik vor sich hin summt, dann gewinnt Kaiba eine traumartige Atmosphäre, braucht nichts zu sagen oder tun, damit wir uns in einer völlig fremden Welt wiederfinden.

Das einfache Erscheinungsbild erweist sich dabei aber schnell als trügerisch, denn was nach außen hin wie eine Kindersendung aussieht, ist inhaltlich ein deutlich schwererer Brocken. Zum einen wird in Kaiba fröhlich gemeuchelt und intrigiert, dazu gibt es Sex und Prostitution. Vor allem aber hat die Serie ungemein viel zu erzählen. Und zu fragen. Was bedeuten Erinnerungen eigentlich für uns? Wie viel unserer Persönlichkeit machen sie aus? Welchen Wert haben traurige Erinnerungen? Gespielt haben mit dem Thema schon einige, im Anime-Bereich wohl niemand ähnlich populär wie Ghost in the Shell von Mamoru Oshii. Anders als der Science-Fiction-Klassiker nimmt man sich hier aber ein wenig mehr zurück, zeigt die unterschiedlichen Konzepte lieber anhand mehrerer Einzelschicksale, anstatt in Monologen darüber zu sinnieren. Was der Zuschauer daraus mitnimmt, das ist ihm völlig frei überlassen.

Das macht Kaiba teilweise etwas schwierig, gerade durch die zahlreichen Körper-wechsel-dich-Spielchen, wenn eine Erinnerung mal wieder woanders geparkt wurde, muss man manchmal schon ein bisschen mehr aufpassen, um nicht den Faden zu verlieren. Dafür ist der Anime trotz anfänglicher Slapsticktendenz deutlich bewegender als die große Cyberpunk-Konkurrenz, die zurückgenommenen Einzelschicksale, denen die Hauptfigur während ihrer Suche begegnet, sind teils herzzerreißend. Zum Ende hin verliert sich das jedoch, wenn es etwas actionlastiger zugeht, die einzelnen Handlungsstränge miteinander verknüpft werden und eine Romanze stärker in den Vordergrund rückt. Das ist dann nicht mehr ganz so nachdenklich stimmend, zumal auch nicht alle Fragen beantwortet werden. Aber auch wenn Kaiba ein bisschen unausgeglichen ist, die Suche nach den Erinnerungen mal stärkere, mal schwächere Ergebnisse mit sich bringt, Freunde ungewöhnlicher und anspruchsvoller Animes sollten sich diesen Titel unbedingt merken. Schade nur, dass er vergleichsweise schwer zu bekommen ist, lediglich als englisch untertitelter Australien-Import ist der Geheimtipp erhältlich. Aber der Aufwand lohnt sich.



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Selten klafften bei einem Anime Verpackung und Inneres wohl mehr auseinander als hier: „Kaiba“ sieht mit seinen einfachen Zeichnungen wie eine Kinderserie aus, doch hinter dem traumartig-surrealen Äußeren verbirgt sich eine anspruchsvolle, teils sehr bewegende Geschichte über die Bedeutung von Erinnerungen.
7
von 10