Herrscher der Zeit

(„Les Maîtres du temps“ directed by René Laloux, 1982)

Herrscher der ZeitIn der 103. Ausgabe unseres fortlaufenden Animationsspecials treffen wir einen alten Bekannten wieder, der vor knapp zwei Jahren diese Rubrik eröffnete und der mit seinem zweiten Zeichentrickfilm seinen Ruf als Erzähler ungewöhnlicher Science-Fiction-Geschichten festigte. Auch wenn dieser nicht jedes Versprechen wieder einlöste.

Seitdem seine Eltern von riesigen Insekten getötet wurden, ist Piel auf dem fremden Planeten Perdida auf sich allein gestellt. Sein einziger Begleiter ist Mike, den der Junge für ein Lebewesen hält, eigentlich aber ein Mikrofon ist, welches mit der Besatzung eines befreundeten Raumschiffs verbunden ist. Diese nimmt auch gleich Kurs auf Perdida, um Piel zu retten, gerät auf dem Weg dorthin aber ständig in neue, seltsame Abenteuer. Glücklicherweise bekommt Jaffar aber bald Unterstützung: Sowohl der alte Raumfahrer Silbad wie auch die telepathisch begabten Gnome Jad und Yula schließend sich unterwegs der Truppe an.

Sonderlich hoch war der Output von René Laloux ja nicht, gerade einmal drei Spielfilme schaffte er im Laufe seines 74 Jahre langen Lebens. Aber es reichte, um dem französischen Regisseur einen Kultstatus zu verleihen, wie ihn kaum ein anderer Zeichentrickkünstler erlangte. Das zweite seiner drei Werke stand dabei immer etwas im Schatten seines großen Debüts Der phantastische Planet, und das obwohl er auch dieses Mal mit bedeutenden Künstlern zusammenarbeitete. So stammte die literarische Vorlage erneut von dem französischen Autor Stefan Wul alias Pierre Pairault. Und wo seinerzeit der französische Surrealist Roland Topor die Designs übernahm, ist es dieses Mal der berühmte Comiczeichner Mœbius.

Und den Wechsel sieht man. Zwar ist auch Herrscher der Zeit recht eigenwillig, die kunstvolle Seltsamkeit des Vorgängers wird hier jedoch nur selten erreicht. Ohnehin ist die audiovisuelle Umsetzung ein wenig zwiespältig: Da treffen feine Synthieklänge auf eine unangenehme Schnulze, fließende Animationen auf billig gestaltete Szenen – aus einem Guss ist hier nur wenig. Zumindest im optischen Bereich ist die Diskrepanz nachvollziehbar, mussten sich seinerzeit aus Kostengründen eher unerfahrene Animationsteams die Arbeit aufteilen. Die bizarre Folge: Gerade Jaffar wechselt häufiger mal sein Aussehen, nicht einmal die Hautfarbe bleibt konsequent gleich. Das reicht zwar nicht, um dem Film insgesamt ernsthaft zu schaden, reißt einen aber doch immer mal wieder unschön aus dem Geschehen, trotz der gelungenen fremdartigen Hintergründe.

Auch inhaltlich ist Der phantastische Planet das stärkere Werk, stellte so manches Irdische in Frage, regte zum Denken an, präsentierte aber auch völlig abgefahrene Konzepte, die es erst einmal zu verdauen galt. Letztere findet man zwar auch hier, aber seltener. Das liegt letztendlich auch an der Struktur des Films, die weniger eine fortlaufende Geschichte erzählt, sondern die Rettung des Jungen als Vorwand für eine Aneinanderreihung von Abenteuern nutzt. Die stehen dann naturgemäß in keinem wirklichen Zusammenhang, lassen einen den Eindruck gewinnen, hier eine animierte Comicanthologie anzuschauen, haben es teilweise dafür ganz schön in sich. Vor allem die Episode um die geflügelten Menschen zählt zu den absoluten Höhepunkten, zum Schluss darf der Film auch in einem recht unerwarteten Twist zeigen, warum er seinen Titel trägt.

Dazwischen warten jedoch diverse recht harmlose und konventionelle Episoden, die sich allein damit begnügen, Piel auf seltsame Tiere treffen zu lassen. Insgesamt liegt die Vermutung nahe, dass man hier vielleicht ein etwas jüngeres Publikum ansprechen wollte: Herrscher der Zeit, das Überbleibsel einer geplanten, aber letztendlich nie realisierten Fernsehserie, verzichtet auf die Brutalität von Lalouxs Debüt, auch Sex spielt keine Rolle mehr. Dafür wird es manchmal knuffig-humorvoll. Allein deshalb schon dürfte der zweite Film bei vielen nicht denselben bleibenden Eindruck hinterlassen haben wie Der phantastische Planet. Lässt man aber einmal den Fluch dieses schweren Erbes außen vor, bleibt ein trotz allem bemerkenswerter und faszinierender Sci-Fi-Zeichentrickfilm, der in seinen starken Momenten so fesselt, dass er für Freunde etwas anderer Animationsgeschichten zum Pflichtprogramm gehört.



(Anzeige)

Der zweite Sci-Fi-Zeichentrickfilm von René Laloux zieht aufgrund der schwankenden audiovisuellen Qualität und der stärker kindlichen Ausrichtung im Vergleich zu dessen Debüt den Kürzeren, bietet aber dennoch einige ausgefallene Momente, die „Herrscher der Zeit“ zu einer faszinierenden Erfahrung machen.
7
von 10