Chico & Rita
© Kool Film

(„Chico & Rita“ directed by Fernando Trueba, Javier Mariscal, Tono Errando, 2010)

Chico & RitaLiebe in Animationsfilmen? Das ist oft schon aufgrund einer jüngeren Zielgruppe eher verklärt. Nicht so im 117. Teil unseres fortlaufenden Animationsspecials. Dieses Mal picken wir uns ein hoch gelobtes Drama heraus, das gleichzeitig von einer schwierigen Liebe spricht und selbst eine Liebeserklärung darstellt – an eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Musik.

Früher, da war Chico mal ein berühmter Jazz-Pianist, dem die Menschen scharenweise hinterherliefen – vor allem der weibliche Teil der Bevölkerung. Doch das ist lange vorbei. Heute erinnert sich kaum einer mehr an den alten Mann, der seinen Lebensunterhalt mit Schuheputzen verdient. Wie lebendig seine eigenen Erinnerungen noch sind, das wird ihm bewusst, als er eines Tages im Radio ein altes Lied hört: Erinnerungen an seine Zeit als Musiker. Und Erinnerungen an Rita, jene schöne Sängerin, in die er sich damals so unsterblich verliebt hatte.

Junge liebt Mädchen, Mädchen liebt Junge. Sollte damit nicht alles klar sein? Nein, denn manchmal reichen Gefühle allein dann doch nicht aus, wie uns Chico & Rita vor Augen führt. Wie leidenschaftlich beide füreinander empfinden, das wird schnell deutlich. Und doch erzählt der Film, wie zwei für einander bestimmte Menschen nie dauerhaft zusammenbleiben können. Mal sind es äußere Umstände, die sie wieder trennen, Pech sogar, mal andere Menschen, die ihnen dazwischenfunken. Mal sind es aber auch selbst, ihre jeweiligen Egos, die so schwer zu vereinbaren sind. Das ist dann nicht immer frei von Klischees, kommt dafür aber ohne Kitsch aus – hier wird viel von Emotionen gesungen, diese aber nur relativ sparsam gezeigt.

Tatsächlich werden manche deshalb auch so ihre Probleme mit der On-Off-Beziehung haben: Es sind nur Einzelmomente, die Chico bei seinen geistigen Reisen in die Vergangenheit mit sich bringt. Momente, die zwar chronologisch, aber doch nicht wirklich aufeinander aufbauend sind. Immer wieder springt Chico & Rita durch die Zeit, lässt manchmal Jahre hinter sich, ohne dass das Verhältnis der beiden sich mal wirklich entfalten könnte. Andererseits passt das zu einem Film, der derart impressionistisch umgesetzt ist wie dieser hier, dem es mehr um das Erfahren und Erleben geht, weniger um das rationale Verstehen.

Denn auch wenn die Sängerin und der Pianist offiziell die Titelfiguren sind und sich anhand der beiden die Geschichte entspinnt, der eigentliche „Star“ von Chico & Rita ist die Musik. Immer wieder verweisen Regisseur Fernando Trueba und sein Ko-Autor Ignacio Martínez de Pisón auf reale Größen des Jazz, bauen unter anderem Chano Pozo und Dizzy Gillespie ein, der Soundtrack selbst stammt von der kubanischen Legende Bebo Valdés. Nahezu ständig ist hier dann auch Musik zu hören, mal weil die Protagonisten selbst auf der Bühne stehen, mal erklingt sie auch nur aus dem Hintergrund. Zusammen mit den historischen Stadtaufnahmen nachmodellierten Bildern entsteht so ein atmosphärisch dichtes und mitreißendes Zeit- wie Personenporträt, in dem alles zusammenfließt – selbst Rassenkonflikte und Drogenprobleme finden einen kleinen Platz.

Das verdankt Chico & Rita auch der Optik, die auf einen Mix aus 2D und 3D setzt und sehr dynamische Kamerafahrten erlaubt – passend zu einem Film voller Rhythmen, der nie stehenzubleiben scheint. Die Bilder selbst sind dabei größtenteils realistisch gehalten, teilweise aber auch stilisiert, wie ein zum Leben erwachtes Comicbuch. Und lebendig ist die europäische und für einen Oscar nominierte Koproduktion auf jeden Fall, eine derartig von Leichtigkeit und innerem Schaffensdrang geprägte Verbeugung vor einem Zeit- und Lebensgefühl, dass es fast völlig egal ist, wenn die Geschichte eigentlich nicht viel zu erzählen hat, manches auch nicht erzählen will.



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Eine über viele Jahre andauernde On-Off-Beziehung einer Sängerin und eines Pianisten bietet in „Chico & Rita“ als Aufhänger für eine Zeitreise in die 50er und eine Liebeserklärung an den Jazz der damaligen Zeit. Das ist oft mitreißend und voller Leben, selbst wenn die Geschichte nur bruchstückhaft bleibt.
7
von 10