Gandahar

(„Gandahar“ directed by René Laloux, 1988)

Wer unser fortlaufendes Animationsspecial von Anfang an verfolgt hat, der wird hier in Teil 147 einem alten Bekannten begegnen. Denn mit diesem begann vor bald drei Jahren unsere Reise durch die Geschichte des Zeichentricks. Kurz bevor diese zu Ende geht,  wollen wir deshalb noch einen Blick auf dessen dritten und letzten Film werfen. In eine Zeit zurück reisen, in der morgen und gestern eins ist.

Lange haben die Bewohner des Landes Gandahar in Frieden gelebt. Krieg kennen sie nicht, kein Leid, keine Not. Bis zu jenem Tag, als die mechanischen Wesen kamen. Erst nur ein Gerücht, von dem die Spiegelvögel berichteten, soll der junge Diener Sylvain auf Anweisung des Rates für Klarheit sorgen. Tatsächlich bewahrten sich die Geschichten: Die schwarzen, leblosen Kreaturen ziehen umher, verwandeln die Menschen in Stein und nehmen diese danach mit. Auch Sylvain wird zum Opfer der fremden Invasoren, schafft es diesen aber zu entkommen. Gemeinsam mit Arielle, die sein Schicksal teilt, begibt er sich auf eine gefährliche Reise, um mehr über die Hintergründe dieser Überfälle zu erfahren. Woher kommen diese Wesen? Und was haben sie mit den Statuen vor?

Richtig umfangreich war der Output von René Laloux ja nicht, gerade einmal drei Spielfilme konnte der französische Regisseur während seines 74 Jahre dauernden Lebens vorweisen. Und kommerziell erfolgreich waren diese Werke auch nicht, zu sehr unterschieden sie sich von dem, was wir aus dem Zeichentrickbereich gewohnt waren. Dafür genoss – und genießt – der große Surrealist Kultstatus, vor allem für sein bizarres Debüt Der phantastische Planet, im etwas geringeren Maße auch für Herrscher der Zeit. Sein finales Langwerk Gandahar ist im Vergleich sehr viel weniger populär, ist anders als die ersten beiden Werke auch nie in Deutschland erschienen. Das ist einerseits verständlich, denn Ende der 80er hatte sich die Animationslandschaft grundlegend geändert, die Fremdartigkeit von Laloux war sehr viel alltäglicher geworden. Schade ist es dennoch, dass nur wenige ihn gesehen haben.

Erneut hatte sich der Filmemacher hier einen Roman zur Vorlage ausgesucht, dieses Mal das 1969 erschienene „Les Hommes-machines contre Gandahar“ von Jean-Pierre Andrevon. Ende der 70er plante Laloux bereits, das Buch umzusetzen, rund zehn Jahre dauert es am Ende, bis das Werk doch noch fertig wurde. Und wie zuvor suchte er sich dafür tatkräftige Unterstützung im Comic-Umfeld, nach Roland Topor (Der phantastische Planet) und Mœbius (Herrscher der Zeit) war es nun der Franzose Philippe Caza (Les Enfants de la Pluie), der die Aufgabe erhielt, aus Buchstaben Bilder zu machen.

Und was für Bilder es geworden sind! Ganz so durchgängig fremdartig wie bei dem Debüt von Laloux wird es hier zwar nicht, aber auch der dritte Langfilm hat die eine oder andere Sonderbarkeit in der Schatzkammer. Vor allem das Volk der Deformierten, denen Sylvain unterwegs begegnet, drehen das menschliche Konzept bewusst ins Verkehrte, Bizarre. Die üblichen Körperteile eines Menschen werden hier wahllos miteinander kombiniert, stärker als das kinderfreundliche Herrscher der Zeit richtet sich das unheimliche Gandahar hier und an anderen Stellen wieder an Erwachsene. Sex und Gewalt sind auf dem fernen Planeten kein Fremdwort, das Konzept von Kleidung trifft nicht bei jedem auf Zustimmung.

Inhaltlich ist der Film nicht minder seltsam. Was als recht gradliniges Abenteuer beginnt, nimmt später Kommentare zur Genforschung ins Programm, dazu darf kräftig durch die Zeit gereist werden, bis man nicht mehr weiß, was gestern, was heute, was morgen ist. Richtig viel Sinn ergibt das nicht, Gandahar lebt mehr von seiner düsteren, surrealen Atmosphäre als von der eigentlichen Geschichte. Von obskuren Wesen, bei denen man gar nicht sagen kann, was sie sein sollen. Von einer Sprache, die sich vor der Gegenwart fürchtet. Zwischenzeitlich kommt das Werk auch nicht mehr so recht vom Flecken, dreht sich um sich selbst, während andere Stellen gern etwas ausführlicher hätten gezeigt werden dürfen. Dafür darf die Spannungskurve während eines großen Endkampfes noch einmal ansteigen – vor allem deshalb, weil die Art der „Waffen“ dem ungewöhnlichen Rest alle Ehre erweist. Wessen Herz für das Andersartige schlägt, der sollte deshalb auch den letzten der drei Sci-Fi-Werke von Laloux ins Regal stellen. Ganz so viele Denkanstöße wie sonst findet man hier zwar nicht, dafür aber eine Welt, wie sie heute wohl leider kaum einer mehr auf die Leinwand bringen würde.



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Der dritte und letzte abendfüllende Zeichentrickfilm des großen französischen Surrealisten René Laloux bietet gewohnt fremdartige Welten. Dabei verlässt sich das Science-Fiction-Werk vor allem auf seine seltsame und unheimliche Atmosphäre, die Geschichte selbst gibt weniger her als bei den beiden „Vorgängern“.
7
von 10