Little Nemo
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Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland

(„Little Nemo: Adventures in Slumberland“ directed by Masami Hata and William Hurtz, 1989)

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„Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland“ ist seit 13. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich

Schlafen ist langweilig? Nicht für Nemo. Denn wann auch immer er die Augen zumacht, findet er sich kurze Zeit später in fantastischen Welten wieder. Zusammen mit seinem Gleithörnchen Icarus fliegen sie auf ihrem magischen Bett neuen Abenteuern im weit entfernten Schlummerland entgegen. So lernen sie dort unter anderem den König Morpheus kennen, der Nemo zu seinem Nachfolger machen will, sowie dessen Tochter Camille. Leider befindet sich aber auch der zigarrenrauchende und trickreiche Flip unter den neuen Bekanntschaften, und der sorgt immer wieder für neuen Ärger.

Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland ist eines der großen Rätsel in der Animationsgeschichte. Nicht nur, dass ein Großteil des Films innerhalb einer Traumwelt spielt und somit naturgemäß recht wenig Sinn ergibt. Nein, es ist rätselhaft, wie an einem einzigen Film derart viele große Künstler mitarbeiten konnten, ohne dass dabei etwas tatsächlich Großes herauskam. So versuchten sich die Studio-Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki und Isao Takahata an dem Langzeitprojekt, stiegen aber ebenso aus wie die Regiekollegen Yoshifumi Kondō (Stimme des Herzens – Whisper of the Heart) und Osamu Dezaki (Lupin III, Clannad), welche aber immerhin kürzere Pilotfilme zustande brachten. Der Science-Fiction-Autor Ray Bradbury (Fahrenheit 451) war bei der Geschichte beteiligt, gleichfalls der Schweizer Kult-Comic-Künstler Mœbius (Herrscher der Zeit). Die Musik stammte von den Sherman Brothers (Das Dschungelbuch), die Bilder von Tokyo Movie Shinsha, die kurz zuvor mit Akira einen der visuell aufregendsten Animes der 80er auf die Leinwand gezaubert haben.

Und zumindest dem Animationsstudio kann man relativ wenig Vorwürfe machen. Vor allem der Einstieg, wenn Nemo das erste Mal mit seinem erstaunlich agilen Bett durch die Lüfte fliegt und in fantasievoll gestalteten Traumwelten landet, lässt einen sehr viel für die kommenden anderthalb Stunden erhoffen. Diese Hoffnung wird zwar nicht immer erfüllt, da die surrealen Elemente konventionelleren Platz machen müssen – schließlich „muss“ hier ja auch eine Geschichte erzählt werden –, an den Hintergründen und Animationen lässt sich jedoch kaum etwas aussetzen. Die japanische Herkunft der Figuren ist dabei kaum zu erkennen, was aber letztendlich auch darauf zurückzuführen ist, dass sie ursprünglich von dem Amerikaner Winsor McCay erdacht wurden und in dessen Comics Anfang des 20. Jahrhunderts auftraten. Teilweise zumindest.

Tatsächlich basiert Little Nemo nur lose auf der Vorlage, übernahm bekannte Elemente, kreuzte diese mit neuen, die nur wenig mit dem zu tun haben, was McCay seinerzeit kreiert hatte. Die Figur des niedlichen Icarus kam beispielsweise hinzu, wohl um näher an dem zu sein, was Disney im Zeichentrickfilm etabliert hatte: Schon in den 80ern führte kein Weg an tierisch witzigen Sidekicks vorbei, wenn man die Massen anziehen wollte. Dazu passend wurde auch der Hang zum Bizarren stark abgeschwächt. Ungewöhnlich sind die Erlebnisse immer noch, aber doch eindeutig auf ein sehr junges Publikum zugeschnitten, die sich auch nicht daran stören, dass die Figuren selbst ein bisschen langweilig sind.

Problematisch ist das Comicerbe dafür an anderer Stelle: Aufgrund der Veröffentlichungspraxis hatten die Geschichten von McCay keinen wirklichen roten Faden, sondern enthielten jedes Mal neue, voneinander größtenteils unabhängige Abenteuer. Das ist bei Little Nemo recht ähnlich, jedoch weniger glücklich im Ergebnis: Durch die ständigen, hier dann willkürlichen Unterbrechungen kommt kein echter Fluss auf, man stolpert ein bisschen von Szene zu Szene, ohne echte Höhepunkte. Insgesamt ist der Zeichentrickfilm immer noch sehr nett, das kindliche Zielpublikum darf sich an den turbulenten und meist farbenfrohen Ereignissen erfreuen. Angesichts der langen Produktionszeit – die ersten Schritte erfolgten bereits 1977 –, der vielen bedeutenden Künstler, vor allem aber der faszinierenden Vorlage hätte man hier dann aber doch noch mehr erwarten dürfen.



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Was lange währt, wird endlich … nett. Visuell überzeugend und anfangs mit fantasievollen Elementen gespickt, ist „Little Nemo“ ein für Kinder empfehlenswerter Zeichentrickfilm, der aber die surrealen bis bizarren Elemente der Comicvorlage stark abschwächt und auch an der episodenhaften Geschichte leidet.
6
von 10