Nikias Chryssos Interview
© Chaveli Sifre Riestra

Nikias Chryssos [Interview 2016]

Diese Woche läuft dein erster Spielfilm Der Bunker in den deutschen Kinos an. Kannst du uns ein bisschen erzählen, wie du zum Filmemachen gekommen bist?

Ich habe schon immer eine große Liebe fürs Kino gehabt, auch durch meine Eltern, die viel ins Kino gegangen sind. Früher dachte ich, dass ich vielleicht Kinobesitzer werde. Damals habe ich das von vielen Sachen gedacht: Psychiater, Rechtsanwalt, Romanautor … Auf jeden Fall hat es sich ergeben, dass mir ein Freund eine Ausgabe der „Cinema“ gebracht hat. Da waren drei Seiten mit Produktionsfirmen in Deutschland, die Praktikanten suchen. Ich habe daraufhin 30 Bewerbungen geschickt, ungefähr zwei Antworten bekommen und anschließend angefangen, die ersten Praktika zu machen. Danach hat sich dann das eine aus dem anderen ergeben. Was auch prägend war: Mein Vater ist Grieche und wir sind früher im Sommer immer nach Griechenland gefahren. Da gab es so etwas wie Altersbeschränkungen nicht und wir konnten im Freilichtkino alles Mögliche anschauen, von Eis am Stiel bis zu Stirb langsam. Später kamen Sachen wie Nightmare on Elmstreet und Jackie-Chan-Filme dazu, Horrorfilme natürlich, weil die etwas Verbotenes an sich hatten. Die habe ich massenhaft geschaut. Wenn ich von etwas gepackt bin, kann ich das eine Zeit lang ganz obsessiv verfolgen kann. Manchmal gehen solche Sachen schnell wieder vorbei, aber das Filmthema ist geblieben.

Was wären denn so Filme, die dir bis heute geblieben sind? Die also nicht nur Teil einer Obsession waren?

Tanz der Vampire habe ich vor kurzem wieder gekuckt und finde den immer noch gut. Überhaupt viele Sachen von Polanski. Ferris macht blau oder Goonies sind fest mit der Kindheit verbunden und machen immer noch Spaß. Kevin – Allein zu Haus war eine Sensation, als ich den das erste Mal gesehen habe, aber auch manches, was man damals für anspruchsvoll hielt, wie Club der toten Dichter. Später waren es dann psychedelischere und seltsamere Sachen: 2001, Jodorowsky, David Lynch, Cronenberg. Sachen, die man dann noch mal ganz anders wahrnehmen kann. Aber auch, als ich das erste Mal was von Ulrich Seidl gesehen habe, hat sich das für mich ganz neu angefühlt. Oder Rushmore, den ersten Film, den ich von Wes Anderson gesehen habe. Badlands. if… ist einer meiner Lieblingsfilme. Die Liste ist eigentlich endlos …

Und nicht sehr einheitlich. Ich sehe da jetzt eigentlich weder beim Genre noch bei der Stilistik große Gemeinsamkeiten.

Das stimmt. Ich kann schon sagen, warum mir etwas gefällt oder nicht, und kann bei meiner Meinung auch rigoros sein – aber ich kann das jetzt nicht an Genregrenzen festmachen oder daran, ob etwas „kommerziell“ oder „anspruchsvoll“ ist. Diese Unterscheidung interessiert mich nicht besonders. Ich glaube, dass man das auch in Der Bunker merkt. Es sind unheimlich viele Einflüsse drin und auch sichtbar. Eine Mischung aus Strenge und Wahnsinn.

Wie bist du eigentlich auf die Idee von Der Bunker gekommen?

Ich bin bei dem Film von zwei Punkten ausgegangen. Der erste war der Ort. Ich hatte damals noch einen anderen Film in Finanzierung, von dem ich aber nicht wusste, wie lange es dauern würde, bis wir das Geld bekommen. Also wollte ich noch etwas schreiben, was in einem überschaubareren Rahmen realisierbar ist. Damals gab es auch gerade den Film Dogtooth, der nur an einem Ort spielt. So etwas wollte ich auch machen. Die Idee für den Ort habe ich dann bei meinen Großeltern gefunden. Die hatten ein Ferienhaus in der Schweiz, das in den 50ern/60ern gebaut wurde und wegen des Kalten Krieges ein Bunkerzimmer hatte. Da waren eigentlich immer nur die Skisachen drin. Aber es hatte diese dicke Eisentür, die mich nicht losließ.

Und was war der zweite Punkt?

Die Figuren. Zuerst hatte ich die Figur des Studenten. Jemand, der sich zurückziehen will, sich aber gegen die Einflüsse von außen nicht wehren kann. Nach und nach sind dann die anderen Figuren und die Familienstruktur entstanden. Die Figuren waren gleich mit den Schauspielern verbunden. Ich wollte zum Beispiel wieder mit Daniel Fripan drehen und bin dann auf die Idee gekommen, ihn den Sohn spielen zu lassen. Das war so ein Bild im Kopf. Über die Figuren sind dann die Themen reingekommen: Das Klaustrophobische, das Familienleben, der Ehrgeiz.

Hattest du dabei auch ein bestimmtes Ziel vor Augen? An einigen Stellen hat man das Gefühl, dass das eine gezielte Satire ist, andere sind dann aber so abwegig, dass man überhaupt nicht weiß, was sie bedeuten.

Das ist eine gute Frage. Als ich den Film gemacht habe, wollte ich mich anfangs vor allem frei fühlen. Ich wollte erst einmal nur schauen, was passiert, wenn diese Figuren mit ihren Ticks aufeinandertreffen. Im Laufe des Prozesses fängt man aber an, alles zu hinterfragen: Ist das hier notwendig? Gibt es einen Platz dafür? Teilweise mag das ja schon schwachsinnig wirken, was wir da machen. Gleichzeitig gibt es aber eine zweite Ebene, auf der man das verstehen kann. Die Sache mit den Hauptstädten zum Beispiel, die steht auch für einen reinen Auswendiglernunterricht, der einen nicht weiterbringt. Selbst als Klaus die Hauptstädte drauf hat, wird er ja kein Stück reflektierter. Der Bunker ist also nicht 1:1 unsere Realität, es ist ein Raum, der nach seinen eigenen Gesetzen funktioniert. Er spiegelt Sachen wieder, mit denen wir uns auseinandersetzen, z.B. eine Erziehung, die mit Angst zu tun hat, Angst davor, den Kindern für später nicht alles mitgegeben zu haben. Der Student wiederum ist jemand, der in einer kreativen Hölle steckt und seinen eigenen Ansprüchen nicht gewachsen ist. Und auch das finde ich als Thema interessant. Es waren also viele Themen drin, die damals für mich aktuell waren, ohne aber dass es ein Sozialdrama über das Erziehungswesen werden sollte.

Wann genau ist der Film denn entstanden?

Wir haben Ende 2012 gedreht und dann zwei Jahre dran geschnitten und die Postproduktion gemacht. Geschrieben habe ich es Ende 2011. Das, was lange gedauert hat, war also die Zeit zwischen Dreh und Fertigstellung. Weil wir nur begrenzte Mittel hatten, mussten wir öfter unterbrechen. Außerdem hatten wir bis zum Schluss viele Ideen, was man noch ausprobieren könnte.

Wahrscheinlich ist es bei einem solchen Film auch schwierig, einen wirklichen Schlusspunkt zu finden.

Genau. Das war endlos. Wenn wir nicht die Deadline der Berlinale gehabt hätten, wären wir wohl nie fertig geworden. Gerade auch, weil mein Cutter Carsten genauso ein Bastler ist wie ich und man hier sehr viel experimentieren konnte. Irgendwann denkt man auch, dass ein winziges Detail alles auf den Kopf stellt. Was natürlich Quatsch ist. Das erste richtige Screening mit Publikum war dann unsere Teampremiere eine Woche vor der Berlinale. Ein bisschen Feedback haben wir uns aber schon vorher geholt und natürlich haben Hans und Hana Geißendörfer, die Koproduzenten, schon früh einen Rohschnitt gesehen.

Was mich noch interessiert: Normalerweise ist ein Bunker etwas, mit dem man sich vor der Außenwelt abschottet. Bei deinen Figuren hat man jedoch schon den Eindruck, dass sie immer den Blick nach draußen haben, das Auswendiglernen der Hauptstädte, dass Klaus ein Präsident werden soll. Sie schauen alle nach draußen, aber keiner geht raus. Warum?

Die Familie stellt an Klaus die höchsten Ansprüche, die er aber nicht erfüllt. Deshalb ist er gezwungen ist, da zu bleiben, eben weil er nicht bereit für die Außenwelt ist. Und auch weil er immer wieder gestoppt wird von der Familie, selbst wenn er etwas erreicht. Eigentlich soll der Junge also gar nicht raus. Wenn er sich entwickelt und lernt und aus dem Bunker raus kommen würde, würde es in der „ungeschützten Außenwelt“ wieder gefährlich für ihn werden. Gleichzeitig ist es auch einfach grotesk, sich einzumauern, dann aber über die Welt draußen zu lernen, ohne je mit ihr in Berührung zu kommen.

Hast du denn mal das Bedürfnis, dich so einzumauern und alles draußen zu lassen?

Ich hab das auch schon probiert und bin mit einem Freund in das Haus meiner Großeltern gefahren, um dort zu schreiben. Es lief dann hauptsächlich darauf hinaus, dass wir Campari getrunken haben. Ich merke inzwischen auch, dass ich mich, wenn ich länger nicht im Internet bin, irgendwo unruhig fühle. Das hatte ich vor ein paar Jahren noch nicht so stark. Vor drei, vier Jahren war ich noch in Griechenland und habe zehn Tage lang keine E-Mails gecheckt. Das wäre mittlerweile viel schwieriger. Nachvollziehen kann ich das schon, sich so zurückziehen zu wollen. Heute ist man in einer ständigen Achtsamkeit, weil über die verschiedensten Kanäle ständig etwas passieren kann. Man wird ständig von außen beeinflusst und muss sich seine Ruhezonen schaffen.

Ist das griechische Kino einer dieser Einflüsse? Du hast vorhin schon Dogtooth erwähnt.

Dogtooth hat diese Greek New Wave oder wie das heißt losgetreten und war tatsächlich ein großer Einfluss. Die anderen neuen Sachen finde ich teilweise sehr interessant, teilweise habe ich aber auch den Eindruck, dass sie sich stilistisch sehr ähnlich sind. Ich war überrascht, wie schnell so viele junge Filme aus Griechenland kamen. Das war Wahnsinn. Gerade in Athen passiert derzeit viel Kreatives und ich hätte auch Lust, da selbst mal etwas zu machen. Eins meiner derzeitigen Projekte spielt auch auf einer griechischen Insel. Das wäre für mich etwas Besonderes, in Griechenland zu drehen.

Da du schon von mehreren Projekten sprichst: Was ist sonst noch derzeit bei dir in Arbeit?

Momentan schreibe ich mit meiner Koautorin Hana Geißendörfer an einem Kinderfilm, für den wir auch Drehbuchförderung bekommen haben. Das ist also etwas ganz anderes.

Ein Kinderfilm? Wie kam es denn dazu?

Ich war einmal für einige Monate in Paris, weil ich ein Stipendium des Cannes Filmfestivals bekommen hatte. Da wohnten dann sechs Filmemacher aus verschiedenen Ländern zusammen in einer schicken Pariser Wohnung. Einer der Regisseure meinte damals, in dem Haus spukt es, weil seine Bierdosen herumgerollt waren. Ich habe zu der Zeit Hana kennengelernt, die mit ihrem Vater später auch Der Bunker produziert hat. Zusammen haben wir dann herumgesponnen über die Idee eines Spukhauses. Daraus hat sich Schritt für Schritt ein Kinderfilm entwickelt. Es macht total Spaß, gerade auch, weil es mir als Genre wieder Grenzen setzt, die ich bei Der Bunker so nicht hatte. So etwas kann auch befreiend sein. Am Ende soll es etwas zwischen Roald Dahl und Toy Story werden.

Aber schon als Realfilm?

Wir würden es gern als Animationsfilm machen. Das ist nur leider sehr teuer, zumal wir hier an einem Originalstoff arbeiten, also kein bekanntes Kinderbuch verfilmen oder so, wo das Publikum anknüpfen kann. Eigentlich müsste man auch gleich für den internationalen Markt produzieren und dann geht es auch darum, einen eigenen visuellen Stil zu finden. Das wird noch spannend und es fühlt sich gerade sehr lebendig an, diese Figuren zu schreiben.

Eine deiner „Figuren“ musst du mir zum Schluss noch erklären: Heinrich.

Ha, der muss natürlich mysteriös bleiben. Oona hat angefangen, in so einer krächzenden Stimme zu sprechen. Das war eine Verlängerung von der Mutter, so, als wäre da noch jemand anderes in ihr. Einer, der ihr noch einmal zusätzlich Gewicht und Autorität gibt, auf den sie sich berufen kann. So hat Heinrich sich entwickelt und seine Backstory bekommen. Er ist auch mit dem Haus verbunden, in Haunted-House-Manier, etwas, das schwelt und nicht heilt. Es wird auch bewusst offen gelassen, ob es ihn wirklich gibt oder er nur eine Projektion der Mutter ist. Es gibt sowohl Hinweise in die eine wie in die andere Richtung. Diese Schwebe will ich nicht auflösen. Ich mag es, wenn man nicht genau weiß, worum es hier eigentlich geht.

Nikias Chryssos Portraet

Nikias Chryssos wurde am 25. September 1978 als Sohn eines Griechen und einer Deutschen in Leimen geboren. Von 2001 bis 2002 studierte er Film- und Videoproduktion am Surrey Institute of Art & Design in England, anschließend bis 2009 Filmregie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Nach diversen Kurzfilmen drehte er Ende 2012 sein Spielfilmdebüt Der Bunker, in dem ein Student sich bei einer zurückgezogenen, skurrilen Familie einmietet, um eine wissenschaftliche Arbeit zu schreiben. Der Film wurde auf diversen Festivals gezeigt, darunter die Berlinale und das Fantasy Filmfest. Seit dem 21. Januar läuft Der Bunker auch regulär im Kino.



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