Özgür Yıldırım
Özgür Yildirim (3. v. l.) und seine Hauptdarsteller David Kross, Emilia Schüle und Ben Münchow (von links) bei der Premiere von „Boy7“

Özgür Yildirim [Interview]

Dein Film Boy7 basiert auf einem niederländischen Bestseller, der zeitgleich dort und hier verfilmt wurde. Beide Drehbücher stammen dabei von denselben Autoren, bei deiner Fassung hast du aber zusätzlich mitgeschrieben. Wie lief diese Zusammenarbeit genau ab?

Die Wahrheit ist die: Ich habe die beiden nie getroffen und nie mit ihnen gesprochen. Die Produzenten hatten vorher die Romanrechte gekauft, mit der Absicht in den Niederlanden einen Film daraus zu machen. Nur wollen die auch in Deutschland Fuß fassen und haben deshalb in Hamburg eine Schwestergesellschaft gegründet. Bei ihrer Suche nach einem Regisseur vor Ort kamen sie dann auf mich zu. Nach unserem ersten Gespräch war dann relativ schnell klar, dass wir da gemeinsam dran arbeiten können. Damals gab es schon eine Drehbuchversion von der geplanten holländischen Verfilmung. Ich hab dann beides gelesen, zuerst den Roman, dann das Drehbuch, um zu sehen, was haben die aus dem Roman gemacht. Das war schon sehr interessant, ich habe aber gemeint: Lasst mich eine ganz eigene Version machen. Ich will das selbst interpretieren und nicht einfach eine Übersetzung von dem fremden Drehbuch machen.

Und was genau hast du dann geändert?

Eigentlich hab ich nur Eckpfeiler von dem Drehbuch übernommen und dann noch mal viel in den Roman geschaut nach Dingen, die mir dort besonders gut gefallen hatten. Es ist ja grundsätzlich immer eine Hürde zu sagen, man adaptiert einen Roman. Ein Roman ist, wie wir alle wissen, immer sehr viel komplexer. Man muss immer kucken: Wo ist der Kern? Was interessiert mich daran? Wo liegt mein Fokus als Macher? Wie interpretiere ich das Ding? Und ich hab daraufhin neue Figuren erfunden, auch total abweichend von der Drehbuchversion der Holländer und eigentlich ganz alleine an dem Ding gearbeitet. Und auch bewusst gekuckt, wie kann ich daraus A Genre machen, B das Ganze trotzdem möglichst realistisch halten. Der Roman spielt ja in den USA, mit FBI und alles. Das erste Drehbuch war deshalb an Holland angepasst und ich musste dann kucken, wie ich das Ganze irgendwie auf Deutschland umbiege. Aber auch: Mit welchen Elementen kann ich das optisch anders darstellen, wenn jemand aufwacht und sich an nichts erinnert.

Du hast dir ja an vielen Stellen auch viel Gedanken gemacht wegen der Kamera, das sieht manchmal fast schon aus wie eine Werbung. Hast du in der Hinsicht schon mal etwas gemacht?

Ich habe noch nie Werbung gemacht, wollte das aber immer, weil da kannst du echt viel Geld verdienen. Der Kameramann Matthias Bolliger und ich, wir haben ja alle Filme zusammen gemacht. Ich kenne ihn und meinen Cutter schon aus dem Studium. Wir versuchen uns von Film zu Film neu zu erfinden. Das geht aber natürlich nur bedingt, weil unterbewusst hat dann doch jeder seine eigene Sprache. Aber bei einem Thriller hast du nun mal die größten Möglichkeiten, dich visuell auszutoben. Wir hatten ursprünglich geplant, den Film für 3,5 Millionen zu machen, haben aber „nur“ 2 Millionen bekommen. Für einen Genrefilm ist das natürlich nichts, ein Tatort mit Schweiger kostet genauso viel. Aber das Tolle war: Alle, die an dem Film beteiligt waren, haben das gemacht, weil sie Bock drauf hatten und es ein Herzensprojekt war.

Klingt nach Anstrengung. Aber auch nach einer Menge Spaß.

Ja, genau. Das ist wie Kinderkriegen. Das ist auch sehr anstrengend, sowohl für Frau als auch für Mann, was oft unterschätzt wird. Aber man ist unglaublich stolz, wenn es dann geglückt ist. Im Grunde genommen haben wir alle ein Kind auf die Welt gebracht und Boy7 getauft. Vor allem die Produktionsbedingungen waren einfach sehr hart. Da ist man am Ende natürlich froh, wenn der Film so ist, wie man ihn sich gewünscht hat. Aber wie das Publikum darauf reagiert, das kann man nicht kontrollieren, das weiß man leider nicht.

Bei Boy7 kommt ja noch hinzu, dass das ein Genrefilm ist. Und das ist in Deutschland immer ein heikles Thema, sowohl beim Publikum, aber auch schon vorher auf der Suche nach einem Verleih.

Stimmt. Bevor es mit den Verleihern losgeht, geht es erst einmal darum, überhaupt eine Produktion zu finden, die daran interessiert ist, Genrefilme zu machen. Und über die Produktion geht es rüber zu den Förderinstituten in Deutschland. Gleichzeitig dann die Verleiher, das ist die zweite Hürde. Dann gibt es die dritte Hürde, dass man die Gelder kriegen muss. Und wenn man diese Hürde überwunden hat, muss man die eigentliche Hürde überwinden, nämlich den Film auf die Beine zu stellen. Wenn man das gemacht hat, kommt die Postproduktion und damit ganz viele Leute, die dir da mitreden wollen. Je mehr Geld investiert wird, umso mehr Leute hast du, die auch noch etwas dazu sagen wollen. Wenn man das gemacht hat, kommt die größte Hürde, und zwar das Publikum und die Kritiker zu überzeugen. Und mit einer Komödie hast du so eine Rutschmatte, da rutschst du schneller durch als bei einem Genrefilm. Bei einem Film wie Boy7 musst du sehr viel mehr Überzeugungsarbeit leisten.

Aber woran liegt das?

Das hat natürlich auch damit zu tun, dass in Deutschland nicht viele Genrefilme gemacht werden. Und die Filme, die gemacht werden, sind leider meistens Flops. Ich glaube schon, dass die jüngere Generation, und da zähle ich mich mal mit dazu, tierisch Bock auf Genre hat, aber leider noch nicht Erfahrung im Erzählen. Sieht man sich beispielsweise die Skandinavier an oder die Franzosen und auch die Österreicher, da merkt man schon, dass die mittlerweile ganz weit vorne sind in Europa. Und das kommt daher, dass die ihre Versuche schon in den 90ern hatten. Wenn man sich die alten Sachen anschaut, dann waren die teilweise auch cheesy, die mussten sich auch erst entwickeln. Und in Deutschland ist das schwierig, da wird man ja geradezu verdammt. Das finde ich sehr schade. Im Bereich Fußball gibt es einen ganz großen Nationalstolz, im Bereich Film gibt es das nicht. Man schämt sich als Deutscher ganz häufig für den deutschen Film. Ich frag mich wieso. Es ist nicht so, dass wir die technischen Möglichkeiten nicht haben. Es ist auch nicht so, dass wir das Geld nicht haben. Die Franzosen machen nicht mit viel mehr Geld ihre Filme, und die Skandinavier ohnehin nicht. Man braucht ein gutes Buch, man braucht gute Schauspieler, und dann hat man schon ziemlich viel erreicht.

Aber das allein ist auch kein Erfolgsgarant. Mara und der Feuerbringer ist komplett gefloppt, obwohl gute Schauspieler dabei waren, der Film auf einem beliebten Buch basierte und über Social Media dank Tommy Krappweis gehypt wurde.

Ich bin zu 100% überzeugt, dass das deutsche Publikum noch nicht so weit ist für Genrefilme zumindest nicht für Filme, die bigger than life sind. Das ist eine Sache, die die Amerikaner und die Briten und mittlerweile auch die Franzosen schon gut drauf haben. Die sind bereit für Science-Fiction-Filme, für Fantasy-Filme, die keinen direkten Bezug zur Realität haben. Bei Filmen wie Mara und der Feuerbringer, da musst du bereit sein zu sagen: Okay, ich schalte hier völlig ab, das ist pures Genrekino. Aber so ein Film wie Who Am I?, das ist für mich ein Thriller mit vielen dramatischen Elementen. Und ich finde, dass er einen sehr großen Realitätsbezug hat. Es ist ein Film, von dem man sagen kann, er könnte hier und jetzt gerade passieren. Deswegen hat der auch beim Publikum funktioniert.

Nun ist Who Am I? aber die Ausnahme, nicht die Regel. Wie kann man das Publikum dazu bringen, dass es solche Filme mehr annimmt?

Jeder Film, der sein Publikum auf seine Weise überzeugt, ob er nun ein Kassenerfolg ist oder ein Festivalerfolg, ist ein Schritt mehr in diese Richtung. Dass man sagen kann: In Deutschland passiert was, da kommt was. Da gab’s mal Hell, da gab’s mal Stereo, da gab’s mal Who Am I? und jetzt kommt Boy7. Und ich hoffe natürlich, dass man mit Filmen, die einem gefallen, das Publikum dann auch in eine bestimmte Richtung bringt. Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass es immer mal gute und schlechte Filme geben wird. Das ist bei Komödien ja auch nicht anders, da sind von zehn, die im Monat starten, vielleicht zwei toll. Und ich hoffe, dass wir in Deutschland irgendwann auch so weit sind, dass man gerne in einen deutschen Film geht, selbst wenn es keine Komödie ist.

Premiere "Boy 7"

Özgür Yildirim ist ein deutsch-türkischer Filmregisseur und Drehbuchautor. 2008 lief sein erster Spielfilm, das Gangsterdrama Chiko, in den Kinos an, 2011 folgte die Musikkomödie Blutzbrüdaz. Am 20. August startete sein dritter Kinofilm Boy7, der auf dem gleichnamigen Roman von Mirjam Mous basiert und von einer Besserungsinstitution für jugendliche Straftäter handelt, in der seltsame Dinge vor sich gehen.



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