Stereo

Stereo

(„Stereo“ directed by Maximilian Erlenwein, 2014)

STR.PL_A3_RZ.inddWeg von allem kommen, die Vergangenheit hinter sich lassen und ein komplett neues Leben beginnen, mehr will Erik (Jürgen Vogel) ja gar nicht. Das sollte eigentlich nicht zuviel verlangt sein. Und zunächst sieht es ja auch durchaus danach aus, als würde dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Seine Motorrad-Werkstatt läuft, er ist glücklich mit Julia (Petra Schmidt-Schaller) liiert und deren Tochter Linda (Helena Schoenfelder) liebt ihn abgöttisch. Sicher, Schwiegervater in spe Wolfgang (Rainer Bock) kann als Polizist gar nicht anders, als das tätowierte Raubein mit Argusaugen zu beobachten und dann und wann seinen Missfallen über die Beziehung zu äußern. Doch darüber kann Erik hinwegsehen.

Bei Henry (Moritz Bleibtreu) fällt ihm das deutlich schwerer. Wohin Erik auch geht – Werkstatt, Arzt, das eigene Schlafzimmer – der mysteriöse Mann wartet schon auf ihn. Das wäre unter normalen Umständen schon unangenehm. Hinzu kommt aber, dass niemand außer Erik ihn zu sehen scheint. Und als wäre es nicht schon schlimm genug, diesen Parasiten im Schlepptau zu haben, taucht auf einmal Gaspar (Mark Zak) auf und erpesst ihn: Entweder Erik hilft ihm bei einer äußerst zwielichtigen Sache oder seine neue Identität fliegt auf. Und das könnte böse Folgen haben, schließlich war er nicht immer ein braver Mechaniker gewesen.

„Ich geh doch in keinen deutschen Film!“ Nein, einfach ist es nicht gerade, wer seinen Freundeskreis dazu überreden will, auch hiesigen Werken mal eine Chance zu geben. Dabei tummeln sich im Schatten von Schweiger, Schweighöfer und Dagtekin viele interessante Talente. Gerade im Bereich Tragikomödie (Oh Boy, Finsterworld) oder Drama (Schuld sind immer die Anderen, Tore tanzt) drängten in den letzten Jahren vielversprechende Nachwuchsregisseure auf den Markt. Weniger lustig, dafür umso trauriger, wer auf etwas spannendere Genres aus deutschen Landen hofft. Im Horrorbereich wird es oft peinlich (Bela Kiss: Prologue, Sin Reaper), bei Thrillern sieht es nicht viel besser aus (Lost Place).Stereo Szene 1

Allein deshalb darf man für Stereo nun dankbar sein, umso mehr, da der Mystery-Thriller es sogar bis ins Kino schafft. Das ist sicher ein Verdienst der beiden Aushängeschilde Jürgen Vogel und Moritz Bleibtreu, aber auch unabhängig der Hauptdarsteller ist der zweite Film von Regisseur und Drehbuchautor Maximilian Erlenwein eine Bereicherung fürs deutsche Genrekino.

Wer ist Henry? Warum kann ihn niemand sehen? Und was genau ist damals in Berlin passiert? Um diese drei Fragen spinnt Erlenwein eine spannende Geschichte, die zwischendurch immer wieder ihre Haken schlägt und manchmal sogar zum Nägelknabbern animiert. Die Auflösung ist nicht annähernd so interessant, wie man sich vielleicht erhofft hat, da ließ sich Stereo dann doch zu sehr von berühmten US-Vorbildern inspirieren und gerade zum Schluss fehlen überzeugende, eigene Einfälle. Da sich der deutsche Mystery-Thriller aber nicht die schlechtesten Quellen aussuchte, kann man mit dem Ergebnis gut leben.Stereo Szene 2

Vor allem kann es sich sehen lassen, denn auch wenn man sich inhaltlich mehr Eigenständigkeit hätte wünschen können, an der Umsetzung gibt es nichts auszusetzen. Die Kontraste zwischen Eriks ersehnter Heile-Welt-Idylle und den inneren Dämonen spiegeln sich auch in den Bildern wieder, wo lichterfüllte Landschaftsaufnahmen auf finstere Räume treffen. Gerade wenn Henry seine ersten Auftritte hat, zunächst im Augenwinkel, später immer näher, spürt man, wie etwas Dunkles, Böses in Eriks Leben eindringt.

Anfangs meint man sogar, einen Home-Invasion-Thriller vor sich zu haben, mit der Zeit nimmt die Figur Henry dafür dann aber doch zu komische Züge an. Wenn er sich später durch Eriks Leben pöbelt, wirkt das nicht mehr bedrohlich, sondern wie die Rüpelvariante vom eingebildeten Risenkaninchen der Kultkomödie Mein Freund Harvey. Ein bisschen mehr Mysterium, weniger offene Derbheit wäre an der Stelle nicht schlecht gewesen. Bleibtreu ist da schon recht nahe dran an seiner Rolle Nicht mein Tag, nur dass sie in der Komödie besser aufgehoben war als hier. Spaß hatte der Schauspieler aber offensichtlich, so wie auch Vogel in seiner Figur des seelisch verkrüppelten Rockers aufgeht. Ein absolutes Highlight ist Stereo zwar nicht, aber doch zumindest gut und ein vielversprechender Lichtblick, dass auch in Deutschland Genrekino möglich ist.

Stereo läuft ab 15. Mai im Kino

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Ja, die amerikanischen Vorbilder scheinen bei Stereo schon deutlich durch. Da aber die Umsetzung stimmt und die beiden Hauptdarsteller ihre Rollen leben, ist der Mystery-Thriller ein für deutsche Verhältnisse überraschend guter Genrevertreter geworden.
7
von 10