Barfuß durch Hiroshima
© 1983 Keiji Nakazawa – Chuorkoron-Shinsha / Mad House

(„Hadashi no Gen“ directed by Mori Masaki, 1983)

Barfuss durch Hiroshima 1+2Nachdem wir letzte Woche noch unseren Blick haben in die Ferne schweifen lassen, um in Aeon Flux eine bizarre Zukunft zu sehen, erleben wir in Teil 56 unseres fortlaufenden Animationsspecials ein besonders düsteres Stück Geschichte.

Das Essen ist knapp, immer schwieriger wird es für den Jungen Gen Nakaoka und seine Familie, während des Zweiten Weltkriegs in Hiroshima zu überleben. Als am 6. August 1945 der Himmel von einem grellen Licht erfüllt wird, ahnt niemand in der Bevölkerung, was da gerade passiert ist. Doch die Folgen der Atombombe sind schnell zu spüren: Viele Menschen sterben sofort oder werden krank, alles ist komplett verseucht. Und plötzlich muss Gen um das nackte Überleben kämpfen.

80.000 Menschen starben unmittelbar als die so zynisch „Little Guy“ benannte Atombombe Hiroshima dem Erdboden gleich machte, weitere 200.000 wurden verstrahlt und litten unter den Folgen der Seuche. Bis heute blieben die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki einmalig, das Entsetzen über die Ausmaße so groß, dass der atomare Krieg zu einem Horrorszenario wurde, welches noch Jahrzehnte später weltweit zur Abschreckung diente. Doch nirgends hat sich das Ereignis natürlich vergleichbar ins kollektive Bewusstsein gebrannt wie in Japan selbst und hinterließ in so vielen Bereichen seine Spuren. Beispiele in der Popkultur gibt es viele, von den Godzilla-Filmen bis zu Akira, die in irgendeiner Form von dieser Erfahrung geprägt sind. So direkt wie Keiji Nakazawa hat sich jedoch kaum einer des Themas angenommen.

1973/74 erschienen, erzählte sein autobiografisch gefärbtes „Barfuß durch Hiroshima“ die Geschichte von Gen und wie er sowohl den Angriff als auch die Folgejahre erlebte. So populär oder langlebig wie andere japanische Comics mag dieser nie gewesen sein, tatsächlich war es seinerzeit sogar umstritten, ob dieses Thema überhaupt in der Form eines Manga aufgegriffen werden sollte. Zumindest stieß Nakazawa damit aber eine Debatte an und wurde weltweit zu einem der meistzitierten Beispiele, wenn es darum ging, was das Medium Manga inhaltlich leisten kann. Dass es da nicht lange dauerte, bis eine Adaption erschien, verwundert nicht wirklich, noch in den 70ern folgten drei Realfilme. Deutlich bekannter aber waren die beiden Animes, die 1983 und 1986 erschienen.

Verantwortlich zeigte sich in beiden Fällen das Animationsstudio Madhouse, das später durch eine Reihe namhafter Filme auf sich aufmerksam machte (Wicked City, Perfect Blue, Robotic Angel). Anfang der 80er sah das noch anders aus, der Name war nur wenigen geläufig, Barfuß durch Hiroshima auch nicht unbedingt der Film, der wirklich als Visitenkarte für optische Exzellenz dient. Vieles von der visuellen Schlichtheit hier ist natürlich der Vorlage geschuldet, anderes wie die nicht-synchronen Mundbewegungen hätten in der Form aber nicht sein müssen. Insgesamt ist man hier dann auch dem Look der 70er-Jahre Serien wie Heidi und Marco dann doch noch näher als dem der späteren hauseigenen Meisterwerke.

Dabei hat auch Barfuß durch Hiroshima einige visuell interessante Einfälle, vor allem der Umgang mit Farbe ist hier bemerkenswert. Der Moment, in dem die Bombe fällt, verzerrt das Farbspektrum völlig, färbt etwa Dinge rot, die es eigentlich nicht sind. Und auch wenn später andere Opfer völlig in Grau gehalten sind und so zu einem Hintergrund degradiert werden, braucht es keinen Erzähler und keine Worte mehr, um eine Geschichte zu erzählen. Von den Opfern gibt es übrigens mehr als genug: In einer beispiellos expliziten Darstellung fallen hier Augäpfel aus den Schädeln, lösen sich Menschen in nichts auf, auch vor Kindern und Tieren macht die Massenvernichtungswaffe keinen Halt. Wie Zombies schlurfen die Hinterbliebenen durch die Trümmer, groteske Monster, denen kaum mehr etwas Menschliches anhaftet.

In einem krassen Gegensatz dazu sind die belanglosen Slapstickauftritten, gerade zu Beginn des Films. Die mögen als Comic Relief konzipiert gewesen sein, was hier aber nicht aufgeht – zu sehr klaffen der alberne Humor und der Schrecken des Krieges auseinander. Aus diesem Grund ist Barfuß durch Hiroshima zwar schockierend, aber von der emotionalen Durchschlagskraft her dann doch nicht auf einer Stufe mit dem erschütternden Antikriegsdrama Die letzten Glühwürmchen. Gleiches gilt für den zweiten großen Zeichentrickfilm über eine Atombombe, Wenn der Wind weht, dessen langsamer Tod eines älteren Ehepaars ebenfalls größere seelische Wunden beim Zuschauer hinterlässt.

Dennoch ist auch diese Mangaverfilmung sehenswert, vielleicht sogar Pflichtprogramm für Animefans – der Geschichte wegen und als Veranschaulichung dessen, was Krieg bedeuten kann. Wer die deutsche Fassung kauft, hat übrigens gleich doppeltes Anschauungsmaterial, da in der Packung noch eine zweite DVD mit dem Nachfolger enthalten ist.



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Mal alberner Slapstick, dann hartes Antikriegsdrama erzählt „Barfuß durch Hiroshima“ in teils schockierenden Bildern von dem Horror des Atombombenabwurfs. Der krasse Wandel des Tonfalls raubt dem Film jedoch einen Teil seiner Wirkung, optisch ist der Anime bis auf den ungewöhnlichen Gebrauch von Farben kaum erwähnenswert.
7
von 10