Ex Drummer

Ex Drummer

(„Ex Drummer“ directed by Koen Mortier, 2007)

Ex DrummerBelgien wirkt auf mich wie ein weit entfernter, kalter und düsterer Ort im Norden. Zwar wurde ich erst durch Brügge sehen…und sterben? darauf aufmerksam gemacht, dass dem ganz und gar nicht so ist. Mit „Ex Drummer“ bekam ich nun aber einen belgischen Film serviert der kontroverser nicht sein könnte und mein Vorurteil doch etwas untermauert.

Koen de Geyter (Norman Baert), Jan Verbeek (Gunter Lamoot) und Ivan van Dorpe (Sam Louwyck), allesamt heruntergekommene, arbeitslose Loser aus der flämischen Unterschicht, bilden eine Punkband. Sie alle haben etwas gemeinsam, nämlich eine Behinderung. Jan, der Bassist beispielsweise hat einen steifen Arm. Er ist homosexuell und führt ein verstörtes Verhältnis zu seinen Eltern: seine glatzköpfige und fettleibige Mutter behandelt er wie ein Stück Scheiße, seinen Vater halten die beiden in einem kleinen Zimmer an ein Bett gefesselt, warum wird der Zuschauer noch erfahren.

Ivan, der Gitarrist, ist hingegen fast taub und wenn er nicht gerade seine drogensüchtige Frau misshandelt, vernachlässigt er ihr gemeinsames Kleinkind, das im Laufe des Films noch in ihrer verdreckten Wohnung elendig krepieren wird.Zu guter letzt gibt es dann noch den Sänger, Koen. Er hat zwar keine richtige Behinderung, aber sein Lispeln ist nicht gerade hilfreich wenn man Frontman einer Band sein möchte. Er lebt ein einsames, paranoides Leben vor sich hin und hegt einen tiefen Groll gegen Frauen. In seiner Freizeit schlägt er ihnen gerne die Fresse mit eine paar Ziegelsteinen ein. Die Erklärung: Koen kann es einfach nicht ausstehen wie das weibliche Geschlecht raucht, geschweige denn wie die Damen rückwärts einparken. Die einzige Frau die er mag ist Jans Mutter und die er auch regelmäßig auf ekelige Art und Weise durchfickt.

Dieses skurrile und anwidernde Trio hat jedoch ein Problem, ein großes Problem: ihnen fehlt ein Schlagzeuger. Sie machen sich also mit ihren Fahrrädern auf und klingeln beim berühmten Ex Drummer und mittlerweile erfolgreichen Buchautor Dries (Dries Van Hegen). Er soll es sein, der ihrer Band den nötigen Glanz verpasst, schließlich wollen sie nur ein einziges Konzert geben. Anfangs ist Dries überhaupt nicht interessiert und wundert sich über den verrückten Vorschlag der drei Freaks, doch schließlich kommt ihm eine Idee. Er wird keine bessere Chance erhalten um den untersten Abschaum der Gesellschaft so aus der Nähe zu betrachten und gleichzeitig die Möglichkeit haben jederzeit in sein modernes Appartement mit Meeresblick zurückzukehren um dort in die Arme seiner hübschen Freundin Lio (Dolores Bouckaert) zu fallen. Wenn es gut geht wartet Lio sogar mit einer ihrer reichen Freundinnen auf Dries, schließlich liebt sie es flotte Dreier zu machen.

Dries steigt also hinab in die tiefsten Tiefen von Belgien und erlebt eine Welt die man nicht vorstellen kann. Er nutzt den niedrigen Intelligenzquotient seiner Bandmitglieder um diese zu manipulieren und zu steuern, ein perverses Spiel nimmt also seinen Lauf. Die Gruppe nennt sich von nun an „The Femminists“, denn welcher Name würde besser zu „vier Behinderte aus Ostende“ passen?Zum Üben treffen sie sich bei Jan der weit draußen auf dem Land wohnt wo sie ungestört sind und so laut sein können wie sie wollen. Bis auf ein paar „Tunten“ die Jan besuchen gibt es dort niemanden der die biersaufende und koksziehende Band stören würde. Ihr Ziel ist es am lokalen Rock-Festival den ersten Platz zu belegen. Neben ihnen werden noch zwei weitere Gruppen auftreten, darunter die gefürchtete Formation von „Großer Schwanz“ (Jan Hammenecker), dessen Name nicht nur beim Publikum für Neugier sorgt…

Der Film überzeugt durch eine interessante Charakterisierung und eine überzogene Darstellung. Das Ende schlägt hierbei nochmals über jegliche Stränge und dürfte wohl für den einen oder anderen zu viel sein. Warum hier übrigens die deutsche Zensur eine FSK16 ausgegeben hat wird mir persönlich im Vergleich mit anderen Filmen ein Rätsel bleiben. An dieser Stelle möchte ich gleich eine Warnung aussprechen, denn ich persönlich finde der Film hat durchaus sehr verstörende Szenen, die sich bestimmt nicht jeder anschauen möchte. Wer andere Filme aus der Kontrovers-Reihe gesehen hat oder kennt, weiß was ich meine.

Der Regisseur Koen Mortier spielt mit interessanten Aufnahmen, so befinden sich bspw. Dries und „Großer Schwanz“, genauso wie der Zuschauer, in eine übergroße Vagina (warum dies so ist, sollten Interessierte selbst herausfinden) oder die Szenen in Koens Bude sind alle an dessen drogenbedingte Wahrnehmung angepasst. So ist einem nicht ganz klar ob der Raum kopfüber steht oder nicht, denn Koen scheint an der Decke entlang zu gehen, Dries hingegen steht andersrum im Raum. Durch geschickte Perspektiven und Spielereien entstehen so Aufnahmen die den Zuschauer verrückt machen.

Es gibt viele Anspielungen die vermutlich nur Belgier oder Kenner verstehen, der einfache Zuschauer ahnt in diesen Momenten nur dass etwas im Busch liegt. Aber auch so hat der 90 Minuten lange Streifen interessante Szenen, Aussagen, Bilder und wie schon erwähnt „tolle“ Charaktere. Die schauspielerische Performance fand ich dabei überragend obwohl ich zugeben muss keinen einzigen Künstler bisher je gesehen zu haben.

Wer neumodernes, europäisches Kino sehen möchte und dabei nicht zurückschreckt vielleicht auch schockiert oder zumindest abgewidert zu werden, sollte sich Ex Drummer nicht entgehen lassen. Wen die berüchtigte Vergewaltigungsszene in Gaspar Noés Irréversible„zu viel des guten war sollte hier allerdings einen weiten Bogen machen (übrigens kommt auch hier wie beim genannten französischen Genrekollegen eine Art „Rückwärts-Erzählung“ vor). Hervorheben möchte ich abschließend noch den genialen Soundtrack, der aus rockigen Songs von unterschiedlichen Künstlern stammt. Aus den Titelnamen schließe ich, dass es sich größtenteils um belgische Artisten handelt.



(Anzeige)