Der kleine Ausreißer Little Fugitive
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Der kleine Ausreißer

„Der kleine Ausreißer“ // Deutschland-Start: 20. Mai 1960 (Kino) // 21. Dezember 2023 (Kino / Wiederaufführung)

Inhalt / Kritik

Eigentlich hatte sich Lennie (Richard Brewster) bereits darauf gefreut, das Wochenende mit seinen Freunden zu verbringen. Da passt es ihm gar nicht, als seine Mutter (Winifred Cushing) plötzlich los muss, um zu ihrer kranken Mutter zu fahren, und ihn dazu nötigt, auf seinen kleinen Bruder Joey (Richy Andrusco) aufzupassen. Um diesen loszuwerden, beschließt Lennie daher, gemeinsam mit seinen Kumpels dem Jungen einen Streich zu spielen, und tut so, als habe dieser ihn mit einem Gewehr erschossen, das er nur kurz halten sollte. Doch der Schuss geht nach hinten los. Entsetzt läuft Joey nach Hause, schnappt sich das Geld, das ihre Mutter ihnen dagelassen hatte, und läuft zum Jahrmarkt auf Coney Island, wo er sich vor der Polizei verstecken will …

Wiederentdeckung eines Klassikers

Wenn auf Filmfesten Retrospektiven laufen, dann ist das immer ein willkommener Anlass, um sich alte Klassiker noch einmal auf der großen Leinwand anzuschauen. Oft geht es darum, bedeutende Filmschaffende zu würdigen. Aber es ist auch eine schöne Gelegenheit, um etwas in Vergessenheit geratene Titel noch einmal auszupacken. Zu diesen zählt sicherlich Der kleine Ausreißer, das 2023 in der Retro-Sektion der Berlinale gezeigt wurde. Ganz unbekannt ist der Film dabei nicht. So konkurrierte er siebzig Jahre zuvor in Venedig um den Goldenen Löwen, ein Jahr drauf war er bei den Oscars für das beste Drehbuch im Rennen. 2006 gab es sogar ein Remake, immerhin mit Peter Dinklage in einer der Rollen. Und doch werden hierzulande eher weniger Leute die Independent-Produktion noch kennen.

Diese hat auch keine ausgefeilte Geschichte zu erzählen. Eigentlich besteht der Film nur darin, dass ein Junge nach dem grausamen Streich seines Bruders einen Tag und eine Nacht auf einem Jahrmarkt verbringt. Größere Abenteuer erlebt er dort nicht. Es gibt auch keine Antagonisten, die ihm in irgendeiner Form das Leben schwermachen würden. Zumindest bis zu einem gewissen Grad beschreibt Der kleine Ausreißer ein Ideal, wenn sich die Menschen bei Sonnenschein ein schönes Leben auf Coney Island machen, der legendären Halbinsel in New York City. Da gibt es Fahrgeschäfte, da gibt es Ponys, auf denen man reiten kann, und andere Vergnügungsmöglichkeiten. Wer hier eintaucht, vergisst die Welt drumherum. Vergisst sogar den toten Bruder für eine Weile.

 

Zuweilen wird der Film als Coming of Age bezeichnet, was aber nicht so wirklich zutrifft. So ist Joey am Ende dem Erwachsenensein nicht sonderlich näher gekommen, er hat keine neuen Erkenntnisse gesammelt. So aufregend Erfahrungen wie das Reiten auf einem Pony sein mögen, sie lösen keine Entwicklung in dem Jungen aus. Zwar werden sich zum Schluss die beiden Brüder wieder angenähert haben, der von einem schlechten Gewissen geplagte Lennie sucht ihn überall. Das war es aber auch schon. Der kleine Ausreißer hat keine Aussage, verfolgt keine größeren erzählerischen Ambitionen. Es dürfte daher durchaus Leute geben, die sich den Film anschauen und irgendwie nichtssagend finden, zumindest wenn sie etwas erwarten, das der bekannten Dramaturgie von Spielfilmen folgt.

Das tun Ray Ashley, Morris Engel und Ruth Orkin, die gemeinsam Regie geführt und das Drehbuch geschrieben haben, hier aber nicht. Ihr mit Laienschauspielern besetztes Werk ist stärker dokumentarisch geprägt und hält fest, wie die Welt aus der Sicht eines Kindes wirkt. Man hat hier oft das Gefühl, dass das hier eigentlich keine Geschichte ist, sondern wirklich Leute einfach nur einem Kind hinterhergelaufen sind, um zu beobachten, was dieses spontan so tut. Der Film ist dabei von einer Unbeschwertheit und einer Entdeckerlust erfüllt, die ansteckend sind. Völlig frei von Manipulationen oder lenkender Drehbuchkonstruktionen ist Der kleine Ausreißer ein gleichzeitig lebendiger wie unaufgeregter Film, der einen selbst wieder zum Kind werden lässt.

Credits

OT: „Little Fugitive“
Land: USA
Jahr: 1953
Regie: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Drehbuch: Ray Ashley, Morris Engel, Ruth Orkin
Musik: Eddy Lawrence Manson
Kamera: Morris Engel
Besetzung: Richy Andrusco, Richard Brewster, Winifred Cushing, Jay Williams

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 1954 Bestes Drehbuch nominiert

Filmfeste

Venedig 1953
Berlinale 2023

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Der kleine Ausreißer
fazit
„Der kleine Ausreißer“ begleitet einen Jungen, der einen Tag in einem Vergnügungspark verbringt. Viel zu erzählen hat der Film nicht, dafür aber einiges zu zeigen. Wenn wir hier unbeschwert die Welt aus Sicht eines Kindes entdecken, dann ist das ansteckend, ohne dass groß manipuliert werden musste.
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