Animalia
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„Animalia“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die hochschwangere Itto (Oumaima Barid) lebt mit ihrem Mann Amine (Mehdi Dehbi) und dessen Familie in einem prächtigen Anwesen nahe einem See mit Blick auf die marokkanischen Berge. Als Itto eines Tages das Haus für sich allein hat, da Amine und die ganze Familie unterwegs sind, scheint sich eine Katastrophe ereignet zu haben. Hubschrauber in der Luft, Militärpräsenz. Keiner kann ihr sagen, was passiert ist. Um sie in Sicherheit zu bringen, schlägt Amine am Handy vor, dass Itto mit dem Nachbarn (Mohamed Oughaou) den weiten Weg zu ihm fahren soll. Doch als dieser dann im nächsten Dorf einfach wegfährt, ist Itto auf sich alleine gestellt.

Interessantes Spielfilmdebut

Animalia ist ein gesellschaftskritischer Thriller, soziales Drama, gespickt mit Science-Fiction-Elementen, inszeniert von Regisseurin Sofia Alaoui. Die preisgekrönte Regisseurin liefert uns damit ihr Spielfilmdebut. Wenn man sich Plakat und Trailer ihres Kurzfilms Qu’importe si les bêtes meurent bzw. So What If the Goats Die von 2022 anschaut, könnte es interessant sein, sich beide Werke anzuschauen, da der Protagonist des Kurzfilms, gespielt von Fouad Oughaou, ebenfalls mit einem übernatürlichen Phänomen konfrontiert zu werden scheint.

Überzeugende Hauptfigur, offene Fragen

Oumaima Barid spielt die Hauptfigur in Animalia überzeugend, etwa die leise Panik, wenn sie alleine in der Stadt zurückbleibt, das Unwohlsein, wenn sie die Hundeversammlung auf der dunklen Straße bemerkt, der emotionale Moment, wenn sie von ihren Eltern oder ihrer Erfahrung in dem seltsamen Wetterphänomen erzählt. In eine Hintergrundebene malt die Regisseurin vor Ittos Reise, die auch eine geistige und metaphysische ist, eine beunruhige Atmosphäre des Ungewissen. Das ist einerseits eine Stärke des Films. Es ist spannend zu sehen, wie sich Itto die Veränderungen in den Menschen oder den Tieren bemerkt. Klettern da Ameisen auf ihrem Gesicht? Wer ist der Tramper (Mohamed Lahbib) am Wegesrand? Doch dieses Ungewisse nimmt dem Film allmählich auch Spannung, da man sich hier vor allem auf philosophische Lösungsansätze stützt. Es gibt zwar ein konkretes Ereignis, das nicht uninteressant ist. Itto setzt sich in späteren Dialogen dann auch etwas damit auseinander, aber die offenen Fragen bleiben und lassen schon etwas Luft raus.

Eine Prise Hitchcocks Die Vögel

Der Titel Animalia verweist auf das Reich der Tiere. Im Film gibt es Straßenhunde, die sich komisch verhalten, Vögel, die mal zutraulich sind, später aus dem Nichts Menschen angreifen. Bilder von Hitchcocks Die Vögel könnten aufblitzen. Aber auch Ameisen spielen eine Rolle, wecken die Erinnerung an eine philosophisch-theologische Äußerung des Trampers. Es ist zwar eine Interessante Idee, die der Film damit aufbaut, aber es bleibt sehr punktuell. Hier und da gibt es Angriffe der Tiere, manchmal benehmen sich die Tiere zutraulich. In einer Szene landet ein Vogel in Ittos Schoß, in einer anderen greifen die Vögel Menschen an. Greifen sie an, weil diejenigen mit dem außerirdischen Phänomen noch nicht in Kontakt gekommen sind? Hätte der Hund aus der ersten Stadt Itto dann nicht zumindest anknurren müssen? Man weiß nicht immer, woran man gerade ist.

MacGuffins aus dem All

Durch das Offenbleiben vieler Fragen, durch zahlreiche Unklarheiten fühlt sich das Werk am Ende ein Stückweit auch wie ein Prequel für eine größere Erzählung an. Andererseits ist es interessant, dass dieses möglicherweise außerirdische Ereignis so weit im Hintergrund bleibt. Es gibt ein paar Anhaltspunkte – das sonderbare Verhalten der Tiere, eine Nachrichtenerstattung, Sätze des Trampers oder die außerkörperliche Erfahrung, die Itto selbst in dem Wetterphänomen macht. Es hat etwas Erfrischendes, ausnahmsweise keine Invasion durch Aliens vor die Nase gesetzt zu bekommen, die sich durch exorbitante CGI-Schlachten ausdrückt.

Die Science-Fiction-Elemente dienen der Regisseurin damit als eine Art MacGuffin und sind eine Möglichkeit, die Figur Itto mit sich selbst zu konfrontieren. Wir erleben ihre Reise hin zur Emanzipation, ihre Auseinandersetzung mit ihrem Glauben und wie sich ihre Perspektive auf Armut, Reichtum und auf Amine verändert. Der Konflikt mit ihrem Mann hat im letzten Drittel zwar seine Momente, verliert sich zum Ende hin jedoch in zu viel Unausgesprochenes, wodurch die Pointe der scheiternden Kommunikation manchen zu abrupt wirken könnte. Es gab in dem Wetterphänomen zum Beispiel einen Moment zwischen Itto und Amine, der spannenden Gesprächsstoff geboten hätte. Dadurch, dass es vor allem auch eine geistige Konfrontation ist, wirkte der Film manchmal etwas ereignisarm und man merkte zum Ende hin auch ein paar Längen. Als Ittos Weg dann nach Khouribga führt, setzt Alaoui noch einen Drauf in Bezug auf Unklarheiten. Das Ende kann einen daher auch mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf entlassen. Nichtsdestotrotz bleiben einige Bilder, die faszinierende Landschaft und Barids Schauspielleistung im Kopf.

Credits

OT: „Animalia“
Jahr: 2023
Land: Marokko, Katar, Frankreich
Regie: Sofia Alaoui
Drehbuch: Sofia Alaoui, Laurie Bost, Raphaëlle Desplechin
Musik: Amin Bouhafa
Kamera: Noé Bach
Besetzung: Oumaima Barid, Mehdi Dehbi, Fouad Oughaou, Souad Khouyi, Rajaa Essaaidi, Az Elarab Kaghat, Mohamed Lahbib, Mohamed Oughaou

Bilder

Trailer

Filmfeste

Sundance Film Festival 2023
Filmfest München 2023
Afrikamera 2023

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Animalia (II)
fazit
Sofia Alaoui präsentiert uns mit „Animalia“ ein interessantes Spielfilmdebut. Die Mischung aus gesellschaftskritischem Drama mit Science-Fiction-Elementen und theologisch-philosophischen Ansätzen spielt sich vor beeindruckenden Landschaften ab. Neben guten Ideen und einer starken Hauptdarstellerin werden schwere Themen angesprochen. Am Ende bleiben viele Fragen ungeklärt und manche Konflikte unaufgelöst.
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