Die Vögel The Birds Alfred Hitchcock
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Die Vögel

Kritik

Die Vögel The Birds Alfred Hitchcock
„Die Vögel“ // Deutschland-Start: 20. September 1963 (Kino) // 16. Mai 2013 (Blu-ray)

In San Francisco lernt die reiche Tochter eines Ölbarons Melanie Daniels (Tippi Hedren) den Anwalt Mitch Brenner (Rod Talyor) kennen. Später sucht Daniels Brenner in seinem Heimatort Bodega Bay auf, einer kleinen Gemeinde an der Küste, um ihm Vögel zu überreichen. Ihr Wiedersehen steht allerdings unter keinem guten Stern, denn die örtliche Lehrerin Annie Hayworth (Suzanne Pleshette) verrät ihr von der kontrollierenden Mutter Mitchs (Jessica Tandy). Zudem wird sie von einer Möwe angegriffen. Obwohl sie zunächst nur das Geschenk überreichen wollte, überredet sie Mitch zu bleiben und am nächsten Tag bei der Geburtstagsparty seiner Schwester zu erscheinen. Bevor Melanie und Mitch ihre Beziehung vertiefen können, greifen Seemöwen die Partygäste an, wenig später attackieren Sperlinge die Brenners in ihren eigenen vier Wänden. Immer häufiger und aggressiver werden die Angriffe der Vögel, doch während sich die Bürger Bodega Bays noch den Kopf über den Grund dieser Attacken zerbrechen, ist klar, dass dies erst der Anfang war.

Unbestimmte Bedrohung

Mit Die Vögel verfilmte Alfred Hitchcock abermals eine Vorlage der britischen Schriftstellerin Daphne Du Maurier, wobei im Gegensatz zu Rebecca diese Adaption recht frei ist. Die Angriffe der Vögel, welche in der Vorlage als eine Metapher für die Luftangriffe der Deutschen auf weite Teile Englands während des Zweiten Weltkriegs gesehen werden können, interessierten Hitchcock sehr, als er die Geschichte zum ersten Mal las, wie er François Truffaut in jenem berühmten Interview beschrieb. So entstand mit Die Vögel nicht nur ein Klassiker des Kinos der 60er Jahre und einer der wohl bekanntesten Filme Hitchcocks, sondern eine universelle Parabel über Angst sowie die Allmacht des Menschen, der sich als unangreifbar sieht, aber dennoch sehr verwundbar ist.

Neben Psycho und Vertigo – Aus dem Reich der Toten gehört Die Vögel wahrscheinlich zu den besten Filmen Hitchcocks, aber bestimmt zu jenen, welche immer wieder zitiert werden, wenn es darum geht, die Essenz des künstlerischen Schaffens des Regisseurs zu erklären. Wenn Melanie sich vor der Schule in Bodega Bay eine Zigarette anzündet und sich dabei eine ganze Horde von Krähen hinter ihr auf den Spielgeräten im Pausenhof ansammelt, steigert sich die Anspannung ins Unermessliche aufgrund der sich anbahnenden Bedrohung sowie des bevorstehenden Angriffs der Vögel. Aus technischer und dramaturgischer Sicht sind solche Sequenzen zu Recht bekannt und berühmt geworden, aber thematisch noch viel interessanter oder zumindest eine kluge Ergänzung ist jene Szene im Café unmittelbar nach dem Angriff, wenn Melanies Aussage über den Angriff eine Diskussion über diesen auslöst, wenig später gefolgt von dem verzweifelten Ausruf einer Mutter, warum die Vögel so etwas tun würden, worauf dann keiner mehr eine Antwort weiß.

Naturgemäß gibt es viele Interpretations- und Erklärungsansätze bei einem Film, der so berühmt ist wie Die Vögel, doch die Bedrohung an sich, oder vielmehr ihren Ursprung, kann man auch als Zuschauer sich genauso wenig erklären wie jene Besucher des Cafés. Ebenso wenig wie den Grund für die Verwandlung eines Norman Bates in Psycho oder die Obsession eines John Ferguson in Vertigo – Im Reich der Toten gibt es Ansätze, doch die Bedrohung bleibt unbestimmt und macht gerade deswegen so viel Angst. Von oben herab betrachtet die Kamera das Ausmaß der Verwüstung eines Angriffs, ein Bild, welches gebrochen wird durch zwei Seemöwen, die unsere Sicht auf die Ereignisse sprichwörtlich teilen, und uns zeigen will, dass wir lediglich wissen, woher die Angriffe kommen, aber mehr auch nicht.

Die gefährliche Allmacht des Menschen

Gerade in der Moderne haben wir uns daran gewöhnt, dass alles erklärbar, rationalisierbar und deutbar geworden ist, doch dies ist eine gefährliche Annahme. In seiner hervorragenden Interpretation von Hitchcocks Kino in The Pervert’s Guide to Cinema führt der slowenische Philosoph Slavoy Žižek den Zuschauer ein in eine psychologische Herangehensweise, in der es darum geht, wie Hitchcock auf das Unterbewusste oder das Unterdrückte eingeht. Immer wieder geraten wir gerade in Die Vögel an jene Instanzen, die eine Erklärung anbieten, wie die Hobby-Ornithologin im Café, oder solche, die sich als Schutzmechanismen begreifen wie die Mutter oder eben Mitch selbst. Im Grunde wissen sie von den Grenzen ihres Wissens und ihrer Macht, sie wissen von jenen dunklen Bereichen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, doch verdrängen sie diese, bis sie mit einem Male sich ihnen zeigen und ihre Machtposition in den Grundfesten erschüttern oder gleich ganz zersetzen.

Speziell in diesen Momenten ist Die Vögel nicht mehr länger ein Horrorfilm, sondern wird zu einer Vision der Apokalypse. Um zurückzukommen auf die Sequenz vor der Schule, zeigt sich hier eine Bedrohung, die immer mehr anwächst, deren Ursprung unbekannt ist und die uns rein zahlenmäßig, wie die Ornithologin im Café versichert, überlegen ist. Das Bild eines Spielgerüsts oder eines Strommastes oder einfach nur das omnipräsente Kreischen der Vögel, welches die „Filmmusik“ ausmacht, führt uns deutlich vor, dass es keine Sicherheiten mehr gibt und jede noch so feste Mauer durchbrochen werden kann. Es ist eine angsterfüllende und apokalyptische Vision, die auch nach so vielen Jahren nichts von ihrer Wirkung eingebüßt hat.

Credits

OT: „The Birds“
Land: USA
Jahr: 1963
Regie: Alfred Hitchcock
Drehbuch: Evan Hunter
Vorlage: Daphne Du Maurier
Kamera: Robert Burks
Besetzung: Rod Taylor, Tippi Hedren, Jessica Tandy, Suzanne Pleshette, Veronica Cartwright

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Academy Awards 1964 Beste Spezialeffekte Ub Iwerks Nominierung
Golden Globes 1964 Vielversprechendste Newcomerin Tippi Hedren Sieg

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„Die Vögel“ ist ein Meisterwerk des Horrorkinos und eines der besten Werke Alfred Hitchcocks. Technisch und dramaturgisch brillant erzählt der Film von einer unbestimmten Bedrohung, von der gefährlichen Machtposition, in der sich der Mensch wähnt sowie von einer Vision der Apokalypse, die nichts mit Terroranschlägen oder Atombomben zu tun hat, sondern aus einer Richtung kommt, mit der wir gar nicht rechnen.
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von 10