Schlamassel
© déjà-vu film UG

Schlamassel

„Schlamassel“ // Deutschland-Start: 28. September 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Eigentlich ist Johanna Schreier (Mareike Beykirch) ja Fotografin und träumt davon, mit ihren Bildern spannende Geschichten zu erzählen. Ihr Berufsalltag sieht aber anders aus, bei ihrer Arbeit für eine Brandenburger Lokalzeitung bekommt sie nicht wirklich viel zu tun, obwohl sie unentwegt großen Einsatz zeigt. Privat läuft es auch nicht so toll, der Tod ihrer Großmutter setzt ihr sehr zu, ihr Familienleben ist von Streitigkeiten geprägt. Als Johanna das Foto einer KZ-Aufseherin in die Hände fällt, sieht sie darin eine Möglichkeit, endlich einmal etwas Sinnvolles zu tun. Tatsächlich gelingt es ihr, die inzwischen 80-jährige Anneliese Deckert (Lore Stefanek) aufzuspüren und ein Gespräch mit ihr zu beginnen – sehr zum Missfallen ihrer Familie, die lieber die Vergangenheit begraben will …

Das tiefe Erbe des Holocausts

In den letzten Jahren kam es immer mal wieder vor, dass Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch kleine Rädchen des Holocausts verurteilt wurden. Da war der Fall einer inzwischen 97-jährigen Sekretärin im NS-Konzentrationslager Stutthof, die wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 10.500 Fällen schuldig gesprochen wurde. Oder auch ein ehemaliger Wachmann des KZ Sachsenhausen, der sich ebenfalls für dieses Verbrechen verantworten musste und zu fünf Jahren verurteilt wurde – im Alter von 101 Jahren. Das stößt bei der Bevölkerung nicht immer auf Verständnis. Das Bedürfnis, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nicht tiefer zu bohren, ist weit verbreitet – siehe auch die Causa Aiwanger. Allein deshalb schon ist Schlamassel ein Film, der trotz seines 1990er Jahre Settings in die aktuelle Diskussionslandschaft passt.

Die Reaktionen der Familie Deckert sind erwartungsgemäß feindselig. Auf die Vergangenheit angesprochen, stellen sich einzelne Mitglieder schützend vor die alte Frau, wollen die Journalistin am liebsten gleich wieder hinauswerfen. Die Wunden sollen in Ruhe gelassen werden, zumal da die Angst vor juristischen Konsequenzen ist. Und überhaupt, was will die Frau von ihnen? Das weiß in Schlamassel niemand so wirklich. Nicht die Familie, nicht die alte Dame, nicht einmal Johanna selbst, auch wenn sie ihre journalistische Arbeit vorschiebt. Und auch das Publikum in den Kinos darf sich fragen, warum das hier alles geschieht und worauf es hinauslaufen soll. Ein Enthüllungsfilm à la She Said ist das deutsche Drama nicht. Es handelt sich hier um keines dieser Werke, bei denen aufrechte Journalisten und Journalistinnen eine verborgene Wahrheit ans Licht bringen, selbst wenn das hier thematisch natürlich passen würde.

Spannende und vielschichtige Spurensuche

Bemerkenswert ist in der Hinsicht auch das Verhalten der ehemaligen Aufseherin selbst. Wo andere gern abblocken und mit all dem nichts mehr zu tun haben möchten, da spricht sie offen über die damalige Zeit. Mehr noch, sie will sprechen. Die Begegnung mit der Journalistin ist auch für sie eine Chance der Aufarbeitung, da sie sich der Vergangenheit stellen kann, auf eine Weise, wie es in ihrer eigenen Familie nicht möglich ist. Das hat sie mit den Schreiers gemeinsam, wo ebenfalls vieles nicht offen angesprochen wird. Tatsächlich wechselt Schlamassel immer wieder zwischen den beiden, wenn sich Johanna mit Dingen auseinandersetzen muss, die bei ihnen selbst kaputt ist. Eine direkte Verbindung gibt es dabei nicht zwischen den Schreiers und den Deckerts. Allgemein setzt sich der Film aus vielen Themen zusammen, die keinen direkten Zusammenhang haben.

Darüber darf man sich dann wundern und sich fragen, was genau hiermit eigentlich beabsichtigt wurde. Sehenswert ist das Drama aber auf jeden Fall. Regisseurin und Drehbuchautorin Sylke Enders hat hier eine Konstellation zusammengestellt, bei der nach und nach Schichten abgebaut werden. Das darunter sich Befindende wird nicht zwangsläufig verbalisiert – auch weil die Figuren das selbst nicht immer können. Schlamassel wird auf diese Weise zu einem vielschichtigen Werk, bei dem es zwar auch um den Holocaust geht, das dabei aber einen sehr weiten Bogen schlägt. Beispielsweise wird die Zeit nach der Wende thematisiert, die Geschichte spielt 1997. Es geht aber auch um zeitlose Themen, um Verletzungen, Erwartungen und das Gefühl des Versagens. Das wirkt dann selbst so chaotisch, wie es der Titel ankündigt, belohnt aber ein Publikum, das sich dieser Spurensuche anschließt.

Credits

OT: „Schlamassel“
Land: Deutschland
Jahr: 2023
Regie: Sylke Enders
Drehbuch: Sylke Enders
Musik: Bert Wrede
Kamera: Jakob Wehrmann
Besetzung: Mareike Beykirch, Lore Stefanek, Michaela Caspar, Margarethe Tiesel, Lina Wendel, Anja Schneider

Bilder

Trailer

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

Schlamassel
fazit
„Schlamassel“ erzählt von einer Journalistin, die von einer ehemaligen KZ-Aufseherin erfährt. Und doch ist das hier kein Enthüllungsfilm. Stattdessen findet das Publikum ein vielschichtiges Drama, in dessen Mittelpunkt zwei Familien stehen und das eine ganze Reihe von Themen miteinander verknüpft.
Leserwertung4 Bewertungen
0
8
von 10