Speak No Evil
Szenenbild aus Christian Tafdrups "Speak no Evil" (© Erik Molberg)

Christian Tafdrup [Interview]

Was passiert, wenn man Menschen besucht, die man vor einem halben Jahr im Urlaub kennengelernt hat und sich der Besuch dann als Horrortrip entpuppt? Dieser sowie der Frage nach dem Sinn von Höflichkeitskonventionen stellt sich Christian Tafdrup in seinem neuen Film Speak No Evil. Der dänische Regisseur wendet sich in seinem dritten Langfilm erstmals dem Horrorgenre zu. Wir haben ihn während der Deutschland-Premiere auf dem Filmfest München 2022 getroffen. Was ihn dazu veranlasst hat, warum er vor dem niederländischen Kinostart besser noch eine E-Mail schreiben sollte und vieles mehr verrät er im Interview.

Wie hast du die Idee zu Speak No Evil bekommen?

Die Idee kam mir, da meine Eltern jahrelang eine Postkarte an der Wand hängen hatten, auf der sie ein Paar, das sie im Urlaub getroffen hatten, zu sich einlädt. Ich fand diese Karte immer so unheimlich und habe mich irgendwann daran erinnert, dass ich als Kind mit meinen Eltern ein Paar in Nürnberg besucht habe, die wir zuvor im Urlaub kennengelernt hatten und wir dort keine schöne Zeit hatten. Es war kein Horrorfilm, aber war eben auch nicht die Magie, des Urlaubs. Nachdem ich schon einige Zeit an der Idee gearbeitet hatte, habe ich mit meiner Frau und Tochter ein niederländisches Paar im Urlaub in der Toskana kennengelernt, die uns ebenfalls zu sich eingeladen haben. Obwohl ich meiner Frau gleich gesagt habe, dass wir das lieber nicht machen sollten, habe ich mir ausgemalt, wie ein Besuch hätte ablaufen können. Der Film beruht also zu großen Teilen auf eigenen Erfahrungen, die dann mit zusätzlichen Ideen und Fantasien ausgeschmückt wurden.

Weiß das niederländische Paar, dass du diesen Film gemacht hast?

Nein, aber ich fühle mich etwas schlecht, weil ich auch ihre Namen verwendet habe. Ich glaube, ich muss mich nochmal bei ihnen melden und sagen, dass der Film nicht von ihnen handelt, weil sie wirklich nett waren. Der Film startet in den Niederlanden in einem Monat. Ich rechne also mit einer bösen E-Mail, wenn ich das nicht mache. (lacht)

Du hast es schon angedeutet, aber wieso hast du dich entschieden aus diesen Erfahrungen einen Horrorfilm zu machen?

Ich habe auch darüber nachgedacht, den Film als eine Komödie zu gestalten, wollte den Fokus dann aber mehr auf das Unangenehme zwischen Menschen, die sich nicht kennen, legen. Man ist immer so höflich und bemüht, ein guter Gast zu sein. Doch was würde man machen, wenn jemand die Grenzen dieser Konvention bricht? Würde man es einfach ausstehen? Und da dachte ich mir, dass sich ein Horrorfilm gut eignen würde. Außerdem wollte ich die Regeln eines Horrorfilms anwenden und sie mit satirischen Elementen über menschliches Verhalten kombinieren. Sich an diesen Regeln zu orientieren, war sehr befreiend, da wir so die grobe Struktur und das Ende vor Augen hatten und uns konzentrieren konnten, darauf hinzuarbeiten.

Dennoch habe ich eine ambivalente Beziehung zu Horror. Oft sind die Handlung und Figuren zu flach und die Filme zu eindimensional. Deshalb war es mir wichtig, keine übernatürlichen Elemente und keine Jump Scares zu verwenden, sondern den Horror aus der zwischenmenschlichen Anspannung zu generieren. Allerdings haben wir anfangs auch mit übernatürlichen Szenen geplant, in denen beispielsweise Arme aus den Wänden kommen sollten. Das hat aber überhaupt nicht gepasst. Ich wollte einen realistischen Horrorfilm drehen. Einen Film, der einen Horror verkörpert, wie er auch in den Werken Hanekes vorkommen könnte.

Ich habe gehört, es gab Schwierigkeiten, eine Besetzung zu finden. Stimmt das?

Es war durchaus schwierig, da wir in drei Ländern casten mussten. Dazu kam, dass viele Schauspieler*innen anscheinend ein moralisches Problem damit hatten, die Rollen von Patrick und Karin zu spielen. Andere Schauspieler*innen sind zu mir gekommen und baten mich, die letzten 30 Seiten des Drehbuchs zu ändern, da es zu bösartig sei. Am Ende haben wir uns also auch deshalb für Fedja und Karina als Besetzung entschieden, da sie sich am meisten gefreut haben, mit dem vorhandenen Drehbuch zu arbeiten.

Die letzten 30 Seiten? Das ist eine ganze Menge. Hast du eine solche Entschärfung des Endes in Betracht gezogen?

Ich meine, es ist ein Horrorfilm, wieso sollte man da etwas entschärfen? Die wenigsten Filme trauen sich an einen allzu dunklen Ort zu gehen. In unserem Fall war das aber nur konsequent. Wenn man Bösartigkeit im Alltag begegnet, ist man nicht auf sie vorbereitet, erkennt sie vermutlich nicht mal. Gleiches gilt auch für Bjørn und Louise. Sie hätten die ganze Zeit nach Hause fahren können, tun es aber nicht. Trotzdem haben wir auch darüber nachgedacht, ein Ende zu verwenden, in dem Bjørn und Louise es schaffen, nach Dänemark zurückzukehren. Allerdings ist der Film dann ein komplett anderer und handelt eher von Selbstfindung als davon, dass wir uns häufig nur selbst schaden, um andere glücklich zu machen. Und die Realität zeigt uns, dass letzteres einfach häufiger passiert.

Möchtest du also Menschen ermutigen, mehr für sich selbst einzustehen?

Das ist schwierig zu beantworten. Man kann in der Welt nur funktionieren, wenn man mit anderen Menschen interagiert, ihnen zuhört und manchmal auch verschweigt, was man wirklich denkt. Allerdings denke ich, dass es genauso wichtig ist, seine Intuition nicht zu verlieren. Wenn ich das eindeutige Gefühl habe, etwas ist nicht gut für mich, dann sollte ich auf dieses Gefühl hören und es nicht als Überreaktion abtun. Und gerade das ist etwas, dass ich persönlich auch zu oft getan habe. Ich habe schlechte Jobs angenommen oder war in Beziehungen, die mehrere Monate oder sogar Jahre andauerten, obwohl ich bereits nach ein paar Wochen das Gefühl hatte, dass das nicht das Richtige sei. Die meisten Menschen sind nun mal konfliktscheu. Das wollte ich in Fragen stellen. Ob Konfliktfreudigkeit generell besser ist, kann ich nicht sagen.

Dieser Zwiespalt spiegelt sich ja gerade in Bjørn wider. So sieht er beispielsweise, dass Patrick ihn und Louise beobachtet, sagt aber nichts. Bewundert Bjørn Patrick für seine Nonkonformität?

Auf jeden Fall. Das ist auch ein wichtiger Punkt. Der Film ist nicht nur eine Kritik an Höflichkeit, sondern zeigt auch ein inneres Verlangen nach Dunkelheit, das sich bilden kann, wenn man zu viel unterdrückt. Und wenn man dann Personen trifft, die tun, was sie wollen, Patrick und Karin lügen, trinken, haben Sex, kann das sehr anziehend wirken. Der Film zeigt mit Bjørn und Louise ein Paar, das der Grausamkeit auch dabei hilft, dass sie wieder zu sich finden. Es ist übertrieben, von einem Happy End zu sprechen. Aber es ist nicht mehr wie in Italien, wo sie weintrinkend über Nichtigkeiten gesprochen haben. Sie weinen, sagen, sie lieben sich und das ist irgendwo auch sehr schön.

Warum verhalten sich Patrick und Karin so, wie sie sich verhalten?

Da haben wir beim Schreiben des Drehbuchs auch viel drüber nachgedacht. Von Vampiren bis Geldgier haben wir einige Antworten ausprobiert. Allerdings hat keine davon funktioniert, weswegen wir uns letztlich dagegen entschieden haben, es zu erklären. Wenn wir sie charakterisieren, funktioniert die Geschichte irgendwann nicht mehr so gut. So wie es jetzt ist, dient ihr Verhalten mehr als Allegorie auf das pure Böse. Ich habe Fedja und Karina die Anweisung gegeben, ihre Rollen so zu spielen, als wären sie der Teufel in Menschengestalt. Das griechische Drama, die Oper und die Werke Dante Alighieris haben mich da sehr beeinflusst.

Ist diese Darstellung eines puren Bösen der Grund, warum du so eine starke religiöse Symbolik verwendet hast?

Ich glaube, ein wichtiger Grund dafür ist, dass wir so sehr mit mythologischen Geschichten gearbeitet und uns die Frage gestellt haben, wie unsere Geschichte als Oper umgesetzt würde. Wir haben darüber gesprochen, dass Italien der Garten Eden, Dänemark das Limbo und die Niederlande die Hölle ist. Und von da an haben wir bei unseren Überlegungen zu den Semantisierungen der Orte oft festgestellt, dass es sich passend anfühlt, diese Symbolik zu verwenden, den Jungen Abel und nicht Nikolaj zu nennen und so weiter. Ich wollte kein Alltagsdrama machen, in dem am Waschbecken über Affären gesprochen wird. Insofern hat uns diese Symbolik dabei geholfen, uns davon zu entfernen und zudem bei der Umsetzung sehr viel Spaß gemacht.

Gibt es neben den angesprochenen Einflüssen aus Oper, griechischem Drama und von Dante auch filmische Vorbilder, die du berücksichtigt hast?

Wir haben uns wenig an Horrorfilmen orientiert, weil wir etwas Eigenes machen wollten. Zwei Leute, die mich als Filmmacher aber grundsätzlich beeinflusst haben, sind Lars von Trier und Michael Haneke und ich denke, das merkt man auch Speak No Evil an. Diese Form des realistischen Horrors, der uns allen widerfahren kann, findet sich beispielsweise auch in Funny Games. Gleichzeitig ist mein Film aber auch eine Art Gegenentwurf, da die Familie in Funny Games gewaltsam festgehalten wird, Bjørn und Louise aber einfach wegfahren könnten. Ich denke, darin findet sich auch der satirische, schwarzhumorige Ansatz wieder, den ich angestrebt habe. Wir haben vage, etwas jämmerliche Figuren kreiert, die man häufig in skandinavischen Satiren, etwa bei Östlund, findet. Ein Journalist hat mir mal gesagt, mein Film sei eine Mischung aus Funny Games und Höhere Gewalt und diesen Vergleich sehe ich als großes Kompliment.

Was erwartet uns als Nächstes von dir?

Zurzeit arbeite ich an einigen neuen Ideen, die alle noch sehr vage sind. Ich mag es nicht, mich zu wiederholen, weswegen ich jetzt eher etwas Fröhlicheres, Wärmeres machen möchte. Ich gucke auch ein wenig in die Coming-of-Age-Richtung. Grundsätzlich finde ich es schwierig, seinen eigenen Stil zu entwickeln, sich davon aber nicht zu sehr limitieren zu lassen. Wir werden also sehen, was am Ende dabei rauskommt.



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