Produzent John DeLuca und Regisseur Rob Marshall bei der Deutschland-Premiere von "Arielle, die Meerjungfrau" (Foto: Disney/Hanna Boussouar)

Rob Marshall [Interview]

Die Zeichentrickversion von 1989 ist ein großer Klassiker, nun steht mit Arielle, die Meerjungfrau die Live-Action-Version an. Noch immer geht es darum, dass eine junge Meerjungfrau, dieses Mal von Halle Bailey gespielt, davon träumt, die Welt der Menschen kennenzulernen. Doch das ist ihr streng verboten, ihr Vater, der Meereskönigs Triton (Javier Bardem), verbietet jeden Kontakt. Doch Arielle lässt sich davon nicht abbringen und verliebt sich in den Prinzen Eric (Jonah Hauer-King). Um diesem näherzukommen, lässt sie sich auf die Verlockung von Tritons Schwester Ursula (Melissa McCarthy) ein, die ihr einen ganz besonderen Deal anbietet – ohne zu ahnen, was diese in Wahrheit im Schilde führt. Wir hatten zum Kinostart am 25. Mai 2023 die Gelegenheit, uns mit Regisseur Rob Marshall zu unterhalten und sprechen mit ihm im Interview über die Herausforderungen und die Aussage des Films.

Könntest du uns verraten, weshalb du Arielle, die Meerjungfrau gedreht hast? Was hat dich daran gereizt?

Um ehrlich zu sein: Ich war zunächst schon etwas eingeschüchtert bei dem Gedanken, diesen Film zu machen. Wie dreht man ein Unterwasser-Musical? Und warum sollte ich das tun wollen? Ich hatte zuvor noch nie ein Remake gemacht. Dabei war mir von Anfang an klar, dass wir etwas anders machen mussten. Dass wir die klassische Geschichte neu interpretieren müssen, anstatt einfach nur den Film zu wiederholen. Mein Ziel war es, die Geschichte zu erweitern, ihr mehr Tiefe zu geben und hoffentlich auch mehr Gefühle. Also bin ich zurück zum ursprünglichen Märchen von Hans Christian Andersen. Ich wollte sehen, woher das alles kam. Ich kannte die Geschichte zwar, aber nicht wirklich gut. Es war faszinierend zu sehen, wie aktuell das Märchen noch ist. Du hast dieses junge Mädchen, das sich zu Hause fremd fühlt. Arielle hat das Gefühl, nicht dazuzugehören und nicht reinzupassen. Also begibt sie sich auf diese Reise, entgegen der Wünsche all der anderen, um eine neue Welt kennenzulernen. Sie muss lernen, keine Angst vor dieser Welt zu haben, die so anders ist als ihre eigene. Keine Angst auch vor den Leuten zu haben, die anders sind. Leute auf der anderen Seite einer Mauer oder einer Grenze kennenzulernen und sie so zu akzeptieren, wie sie sind, das ist noch immer zeitgemäß und eine Aussage, die mir selbst auch wichtig ist. Darauf wollte ich aufbauen.

Der Zeichentrickfilm Arielle, die Meerjungfrau war 1989 ein großer Erfolg und der Start von einer Phase, die heute als Disney Renaissance bezeichnet wird. Was machte den Film so besonders im Vergleich zu den anderen Disney-Zeichentrickfilmen aus den 1980ern?

Disney kehrte damit zu den Musicals zurück, mit denen sie früher erfolgreich waren, die aber lange Zeit völlig verschwunden waren. Ich arbeitete damals beim Broadway und erinnere mich noch, wie aufregend das war, wieder ein solches Musical auf der Leinwand sehen zu dürfen. Arielle, die Meerjungfrau war nicht nur der Beginn der Disney Renaissance, sondern führte dazu, dass Musicals allgemein wieder gefragt waren. Ich denke sogar, dass Arielle dazu beigetragen hat, dass ich Jahre später Chicago machen durfte. Außerdem war sie einfach eine starke Figur und sehr modern. Arielle tut nicht einfach, was man ihr sagt. Sie hört nicht auf ihren Vater. Sie hat sehr viel Feuer, trifft sehr impulsive Entscheidungen, ist gleichzeitig aber auch naiv. All die Sachen, die sie aufgibt, um ihren Traum zu erfüllen: ihren Schwanz, die Fähigkeit, unter Wasser zu atmen. Und natürlich die Stimme. Ich finde es einen sehr schönen Gedanken, dass sie ihre Stimme aufgibt und sie dadurch aber auch findet.

Du hast vorhin gemeint, dass du nicht wusstest, wie man ein Unterwasser-Musical macht. Wie sah das am Ende aus? Wie seid ihr vorgegangen?

Genau, das war knifflig. Wir konnten schließlich nicht unter Wasser drehen, wenn die Figuren sprechen und singen sollen. Es war also klar, dass wir vor einem Bluescreen drehen mussten. Nur wie? Wir fingen ganz klassisch mit Storyboards an, um für uns festzulegen, wie das überhaupt aussehen soll. Der nächste Schritt waren kleine Filme, die wir gedreht haben. Diese haben wir mit unserem Team geteilt, speziell den Stunt- und Kamera-Teams, damit sie eine Vorstellung davon haben, wie das funktionieren soll. Dann kamen die unterschiedlichsten Apparate zum Einsatz, die es den Schauspielern und Schauspielerinnen erlauben würden, sich schwerelos im Raum zu bewegen. Das war viel Aufwand, oft nur für einen kurzen Auftritt. Es kam schon vor, dass wir jemand in einen solchen Apparat stecken mussten für eine einzige Zeile, bevor es dann zur nächsten Szene ging. Die Herausforderung war, diese ganzen kurzen Szenen so zusammenzufügen, dass das Publikum am Ende nicht merkt, wie das alles zusammengeschnitten wurde. Zum Glück hatten wir einen sehr langen Probezeitraum, was dem Ensemble die Möglichkeit gab, sich an diese Apparate zu gewöhnen. So wussten sie, worauf es ankam und was sie tun mussten.

Eine ganz andere Herausforderung dürfte gewesen sein, die richtigen Leute für die Figuren zu finden. Wonach habt ihr gesucht bei der Besetzung von Arielle?

Das war tatsächlich eine große Herausforderung, weil wir von derjenigen wahnsinnig viel forderten. So brauchte sie natürlich eine fantastische Stimme, weil das Teil der Geschichte ist. Außerdem musste die Darstellerin sehr stark und leidenschaftlich sein, gleichzeitig aber auch diese Naivität ausdrücken können, von der ich vorhin gesprochen habe. Sie musste etwas weltfremd sein und einen eigenen, unschuldigen Blick auf diese Welt mitbringen. Jemanden zu finden, der all das verkörpert, das war eine ziemlich schwierige Aufgabe. Als Halle Bailey zum Casting kam und Part of Your World sang, hatte ich am Ende Tränen in den Augen. Ich konnte nicht glauben, wie tief diese Verbindung war, die sie zu der Figur und dem Lief aufgebaut hatte. Damit setzte sie die Messlatte schon sehr hoch. So hoch, dass im Anschluss niemand mehr an sie herankam. Ich musste nicht einmal eine Entscheidung treffen, weil sie so eindeutig die beste für die Rolle war, eindeutiger ging es nicht.

Nicht alle sind aber über die Besetzung glücklich, im Internet findest du viele Hasskommentare darüber, dass ihr eine dunkelhäutige Frau für die Rolle genommen habt. War dies von Anfang an so geplant oder reiner Zufall? Schließlich handelt der Film davon, offen zu sein für Leute, die anders sind als du.

Es gab keine Agenda, dass wir unbedingt eine Dunkelhäutige gesucht haben. Wir wollten einfach die Beste nehmen, die wir finden können. Dass es am Ende Halle wurde, hatte nichts damit zu tun, wie sie aussieht. Aber es stimmt schon, was du sagst, dass es gut zu einem Film passt, der von Toleranz redet und offen zu sein für Leute, die anders sind. Und ich hoffe, dass Arielle, die Meerjungfrau das auch vermittelt und das Publikum erkennt, wie wichtig das ist. Ich kann nicht glauben, dass wir im Jahr 2023 überhaupt noch darüber reden müssen, welche Hautfarbe jemand hat. Das ist so archaisch.

Dann lass uns zum Abschluss noch über etwas Schöneres sprechen: 2023 ist der 100. Geburtstag von Disney. Könntest du uns verraten, welche Rolle Disney in deinem Leben spielte? Was waren deine Lieblingsfilme?

Disney spielte eine sehr große Rolle! Ich erinnere mich noch, wie ich jeden Sonntag Walt Disney’s Wonderful World of Color angeschaut habe. Dann war da noch Mary Poppins, der erste Film, den ich jemals gesehen habe, weshalb das für mich auch sehr aufregend war, als man mich vor einigen Jahren gefragt hat, ob ich nicht die Fortsetzung drehen möchte. Ein weiterer Favorit war Alle lieben Polyanna mit der wunderbaren Hayley Mills. Dann habe ich 101 Dalmatiner geliebt. Ich liebe einfach Hunde. Das Tolle an den Disney-Filmen ist – und ich hoffe, dass wir das wir 100 Jahre später dem mit unserem Film gerecht werden –, dass du in einer anderen Welt verschwinden kannst. Du wirst an einen Ort mitgenommen, an dem du noch nie gewesen bist. Du hast etwas, in dem du dich wiederfindest, etwa wenn wir von Außenseitern sprechen. Und gleichzeitig kannst du für eine Weile die Realität hinter dir lassen und in einer Fantasie leben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Rob Marshall wurde am 17. Oktober 1960 in Madison, Wisconsin, USA geboren. Seine Karriere begann er als Tänzer in verschiedenen Broadway-Shows, ging aber nach einer Verletzung dazu über, Choreografien zu entwerfen oder selbst Regie zu führen. Sein erster Film war eine TV-Adaption des Musicals Annie. Seinen Durchbruch schaffte er 2002 mit Chicago, das ihm eine Oscar-Nominierung als bester Regisseur einbrachte. Zu seinen weiteren Filmen gehören Die Geisha (2005), Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten (2011) und Mary Poppins’ Rückkehr (2018).



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