Orphea in Love
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Orphea in Love

Orphea in Love
„Orphea in Love“ // Deutschland-Start: 1. Juni 2023 (Kino)

Inhalt / Kritik

Girl meets Boy: Nele (Miriam Mesak) stammt aus Estland und schlägt sich in München tagsüber als Callcenter-Telefonistin und abends als Garderobiere durch. Ihre Flucht aus der Heimat resultiert aus einem Trauma, das sie noch immer in Schreckensvisionen verfolgt. Nele trifft den Straßentänzer und Trickdieb Kolya (Guido Badalamenti), als er sie agil umschwärmt, während seine ältere Komplizin Lilo (Ursula Werner) Neles Geldbeutel klaut. Trotz der unfreundlichen Begegnung ist es um Nele und Kolya geschehen. Sie erleben eine Liebe, wie es sie fast nur im Film und in der Oper gibt. Und so ist Nele, die in Estland als Sängerin erste Erfolge feierte, zugleich Orphea, in Anspielung an den altgriechischen Orpheus-Mythos, bei dem hier die Geschlechterrollen vertauscht sind. Kolya schlüpft daher in die Rolle des „Eurydikos“ in dieser bildgewaltigen Film-Oper.

Musik liegt in der Luft

Wie eine strenge Domina stolziert Callcenter-Chefin Elke (Christina Große) durch die Gänge. Bedrohlich taucht sie hinter den Rücken der Dauertelefonierer auf. Sie fordert Leistung, Leistung, Leistung und Quote, Quote, Quote. Als aber Neles netter Arbeitskollege plötzlich zu singen anfängt, huscht ein Lächeln auch über das Gesicht der Chefin. Die Sonne scheint aufzugehen und das Großraumbüro wird zur Gesangs- und Tanzbühne. Würde man zum Kitsch neigen, könnte man an die abgedroschene Phrase von der Musik erinnern, mit der alles besser geht. Aber hier, in dieser grandiosen Überhöhung, ist das Klischee gebrochen und damit der Raum geöffnet für eine sehr sinnliche, nonverbale Erfahrung.

Regisseur Axel Ranisch (Jahrgang 1983) war schon in jungen Jahren ein Fan klassischer Musik. Und so zögerte er nicht lange, als ihm nach seinem fulminanten Langfilmdebüt Dicke Mädchen (2011) eine Musiktheaterinszenierung angeboten wurde. Seitdem arbeitet er neben seinen Film- und Fernsehprojekten immer auch als Opernregisseur, unter anderem an den großen Häusern in München, Stuttgart und Lyon. Vor einiger Zeit trat Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper, mit dem Vorschlag an ihn heran, einen Opernfilm zu inszenieren, aber nicht in der klassischen Nacherzählungsvariante a là Franco Zeffirelli (La Traviata, 1983), sondern als freie, eigenständige Adaption, die ein breites Publikum jenseits der eingefleischten Opernliebhaber anspricht. 2022 wurde der Musiktheatersaal zum Kino und der Film eröffnete in seiner Erstaufführung die Saison der Bayerischen Staatsoper.

Man muss sich Orphea in Love wie ein Filmmusical vorstellen, nur mit dem Unterschied, dass statt Popsongs überwiegend Arien gesungen werden, begleitet von klassischem Orchester. Abgesehen davon trägt das „eigene Genre“, das der Regisseur nach eigener Aussage kreiert hat, die Ranisch-Handschrift, wie man sie von Dicke Mädchen und Ich fühl‘ mich Disco (2013) kennt: verspielt und selbstironisch, bewusst unperfekt und ohne Scheu vor maßloser Übertreibung und schriller Komik. Deshalb darf auch Ranischs alter Kumpel Heiko Pinkowski nicht fehlen, der in seiner fülligen Präsenz den „Höllbach“ gibt: einen schmierigen Agenten der Operndiva Adina Nicoletta (Ursina Lardi), der mit seinen teuflischen Tätowierungen zugleich über den Eingang zur Unterwelt wacht. Und auch für Christian Steiffen, den Schlager-Parodisten, ist Platz in Ranischs Film, als einzige Abweichung von der Opernmusik. Die folgt übrigens nicht streng einer der vielen Orpheus-Opern, sondern hört sich an wie eine Hitliste von Arien aus vier Jahrhunderten. Oder wie der Regisseur es formuliert: „Ich wollte einfach meine Lieblingsmusik und das, was Oper für mich bedeutet, in eine andere Form gießen“.

Seitenhiebe auf die Opernwelt

Bei aller Lust an Satire und kleinen Seitenhieben auf die Opernwelt verliert Axel Ranisch nie die tiefe Liebe zur Kunst aus den Augen. Die weibliche Hauptrolle hat er mit einer echten Sängerin besetzt, die männliche mit einem professionellen Balletttänzer. Sopranistin Mirjam Mesak wird in ihrer estnischen Heimat als Star gefeiert, Guido Badalamenti ist Mitglied der Ballettkompagnie des Münchner Gärtnerplatztheaters. Zudem gelingt dem Film, woran viele modernistische Opern-Inszenierungen scheitern: Er gewinnt dem lose verwobenen Mythenstoff eine glaubhafte aktuelle Bedeutung ab. Durch die traumwandlerische Durchmischung des Alltags mit Fantasie und durch die stilisierende Erhöhung werden die großen, oft besungenen Gefühle auf einmal wieder glaubhaft, ebenso wie die berührende Trauma-Bewältigung. Und durch eine kleine Abweichung von der Vorlage gerät der Schluss zu einer Parabel darüber, was wirklich wichtig ist im Leben.

Credits

OT: „Orphea in Love“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Axel Ranisch
Drehbuch: Sönke Andresen, Axel Ranisch, Dennis Pauls
Musik: Martina Eisenreich
Kamera: Dennis Pauls
Besetzung: Mirjam Mesak, Guido Badalamenti, Ursula Werner, Galeano Salas, Heiko Pinkowski, Ursina Lardi, Christina Große

Bilder

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Orphea in Love
fazit
Axel Ranischs erster Kinofilm nach einer Reihe von Fernseharbeiten zelebriert tiefe Emotionen in traumhaften Bildwelten. „Orphea in Love“ ist eine ganz eigene Version des Filmmusicals, nämlich eine Verbeugung vor den unverstellten Wahrheiten der oft als elitär verschrienen Opernwelt.
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