Schattenkind

Schattenkind

Schattenkind
„Schattenkind“ // Deutschland-Start: 26. Januar 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Schattenkind ist ein Dokumentarfilm über den Fotografen Andy Reiner und begleitet ihn über einige Zeit bei verschiedenen Projekten, Bilderstrecken und persönlichen Erlebnissen. Der Film schlägt die Brücke zwischen dem facettenreichen Leben Andy Reiners und seiner künstlerischen und sozialen, gesellschaftlichen Ambition das Leben in seiner rohesten Form einzufangen. Emotionalität, Glück und Menschlichkeit stehen im Fokus seiner Arbeit, die wie in Kapiteln erzählt wird, während der Film sie zu einem großen Ganzen verknüpft.

Ein grandioses Duo

Andy Reiner – ein Fotograf, der unter dem Radar fliegt und arbeitet. Er lebt zurückgezogen auf dem Land in der Gegend um Biberach in Baden-Württemberg. Er ist tierlieb, eng mit seinem Ochsen Anton und der Kuh Lore befreundet. Doch ist er noch viel mehr als das. Filmemacher Jo Müller, der sich bereits mit seinem TV-Porträt Roland Emmerich – Mein Leben, für das er bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Goldenen Delfin ausgezeichnet wurde, profiliert hatte, hat ein Auge für Menschlichkeit und ihre komplizierte Geschichte. Das bewies er schon in Sagenhafter Südwesten und Unheimliche Geschichten, die thematisch als Filme über Märchen, Legenden und Horrorgeschichten zwar im Genre weiter entfernt wirken, aber emotional doch so nah am Menschen bleiben.

Ein Fotograf, ein Künstler

Mit Schattenkind schafft er aus seiner reichhaltigen Erfahrung als Dokumentarfilmer einen denkwürdigen und nahbaren 90-Minüter über eine so faszinierende Person als Protagonisten, wie man sie nur selten in einem Dokumentarfilm erleben darf. Andy Reiner ist mehr Künstler, als dass er Fotograf ist – er teilt mit Jo Müller das Auge für Emotion und Identität, die Essenz, aus der wir Menschen gemacht sind. Es ist ein Projekt auf Augenhöhe, wie sie bei ihrem gemeinsamen Auftritt bei den Hofer Filmtagen 2022 beweisen. Wie zwei Puzzlestücke greifen sie ineinander und vollenden mit diesem Film die Greifbarkeit des Lebens für ein breiteres Publikum nahezu perfekt. Das sieht auch die Jury – Regisseur Jo Müller gewinnt den Granit – Hofer Dokumentarfilmpreis in diesem Jahr.

Ein Klick, viele Stunden Vorarbeit

Andy Reiner will nicht aus Hunderten von Fotos das eine raussuchen, will nicht erkennen müssen, was im Setup des Shootings gefehlt hätte, was sein Fotomodell hätte anders machen können. Er will Echtheit, er will den Schmerz, die Narben, Falten und Imperfektionen, die jede und jeden plagen und formen. Er geht in geraume Vorarbeit zu jedem seiner Projekte, taucht tief mit in den Alltag und die Gedanken der Menschen ein – er scheint ihnen eine Plattform zu geben, die sie wollen und selbst nicht erschaffen können, sie sprechen lassen zu können auf eingebrannten Standbildern für die Ewigkeit. Das alles mit ein paar wenigen Klicks des Auslösers. Was den Film so besonders macht, ist das Erleuchten des phantomhaften Künstlers hinter der Kamera, diesem gequälten Mann mit harter Vergangenheit und allem Grund zum Trübsal blasen, der, wie er und Jo Müller beim Publikumsgespräch bestätigen, überhaupt kein Kind von Traurigkeit ist und niedergeschlagen in dunklen Räumen sitzen müsste. Nein, er ist so farben- wie lebensfroh mit viel Humor, aber einem Herz für Melancholie.

Mehr als nur ein Foto

Das war mal anders – früh verstarb sein Vater, wenig später nahm seine Mutter sich das Leben. Er verbrachte lange in einer psychiatrischen Klinik, war arbeitslos und fand erst später im Leben zu seiner Bestimmung. Selten hat man einen so herzlichen Menschen mit Augen dieser guten Form von Traurigkeit näher sein dürfen, seine Intention und Liebe zum Menschsein erleben dürfen. Er differenziert nicht zwischen Menschen mit oder ohne Behinderung, alt oder jung, traurig oder lustig. Er lässt alle für sich sprechen, besucht seine atmenden Projekte immer wieder wie alte Freund*innen. Er hält nicht einfach irgendwelche Momente fest, sondern ganze Leben in stillen Pixeln, die aber atmen und beben und ihre Geschichte jedem Betrachter erzählen wollen: „Schließ die Augen, lass alles wirken, mach sie wieder auf. Denn du bist jetzt hier, du lebst und darfst stolz sein.“

Credits

OT: „Schattenkind“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Jo Müller
Drehbuch: Jo Müller
Musik: Dirk Maassen
Kamera: Dirk Schwarz, Adrien Gacon, Marco Evangelista



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Schattenkind
fazit
Ein Film wie kein anderer. Im Kino besser als irgendwo anders aufgehoben, ist dieser Film eine Inspiration für alle, gerade die, die sich nicht ganz zugehörig fühlen oder im eigenen emotionalen Chaos stehen. Ein grandioses Werk mit tollen, echten Bildern, bewegender Musik und als Hommage an uns alle, die wir Mensch sein dürfen.
Leserwertung109 Bewertungen
6.1