Lawrence Kasdan
© Jesse Grant/Getty Images for Disney

Lawrence Kasdan [Interview]

Mit dem Namen Lawrence Kasdan verbinden Filmfans auf der ganzen Welt wohl vor allem Das Imperium schlägt zurück, Die Rückkehr der Jedi-Ritter und Jäger des verlorenen Schatzes. An diesen Beiträgen zu den Star Wars– bzw. Indiana Jones-Reihen war der 1949 geborene Kasdan als Drehbuchautor beteiligt. Aber auch als Regisseur kann er einige Jahrzehnte später eine erfolgreiche Karriere vorweisen und stand bei Filmen wie Body Heat, Wyatt Earp oder Silverado hinter der Kamera. Nun hat er zum ersten Mal bei einer Dokumentation Regie geführt: Für die Disney+ Serie Light & Magic tauchte er tief in die Geschichte der von George Lucas gegründeten Effektefirma Industrial Light & Magic ein.

Light & Magic ist deine erste lange Dokumentation. Wie war denn die Erfahrung, bei einer Dokumentation Regie zu führen und wie unterscheiden sich Dokumentationen in dieser Hinsicht von Spielfilmen?

Ich hatte zuvor nur eine Kurzdokumentation zusammen mit meiner Frau gedreht, kurz bevor ich Light & Magic gemacht habe. Darin ging es um ein Lokal, in dem wir immer essen gingen und das geschlossen wurde. Die Arbeiten an diesem Film habe ich so sehr geliebt, die Dreharbeiten, den Schnitt, einfach alles daran! Als ich später dann die Dokumentarfilm-Leute bei Imagine Entertainment traf, fragten sie mich, worüber ich denn noch gerne einen Film drehen würde und ich sagte „Wie wäre es mit der Geschichte der visuellen Effekte?“ Da sie so eine gute Beziehung zu Disney und Lucasfilm hatten und ich ja quasi auch dort groß geworden bin, war ILM die perfekte Wahl. Mir war wichtig, dass der Film von den Personen erzählt, nicht von der Technologie. Diese Ansammlung von Genies hat mich so verblüfft, dass ich eine Dokuserie über sie machen wollte.

Wie lief denn die Recherche zu dem Projekt ab?

Die war fantastisch! Denn in keiner anderen Firma im Filmgeschäft ist wahrscheinlich alles so gut archiviert und dokumentiert wie bei Lucasfilm. George Lucas wollte von Anfang an Einblicke hinter die Kulissen geben; er hob alles auf, jede Zeichnung, jedes Design. Das Material war umfangreicher, als wir je gedacht hätten und wir bekamen Zugang zu Dingen, die noch nie jemand gesehen hatte.

Light & Magic zeigt auch, wie unterschiedliche Charaktere zusammenfinden und ganz verschiedene Führungspersönlichkeiten mit Herausforderungen umgehen. Kannst du uns mehr über diesen Aspekt erzählen?

Genau das war einer der Aspekte, auf die ich mich konzentrieren wollte! Ich möchte, dass meine Enkelkinder Filme und Serien wie diese sehen und sich bewusstwerden, dass es möglich ist, etwas Neues zu erschaffen, wenn sie das wollen. Und was braucht man dazu? Man muss erst einmal den Willen dazu haben und dann herausfinden, welche Mittel man braucht. Viele der Leute bei ILM haben angefangen, als sie zehn oder zwölf Jahre alt waren! Ich wollte einen Film darüber machen, wodurch sie inspiriert worden sind. Zu einem gewissen Grad war das George Lucas, weil er diese Gruppe exzentrischer Genies zusammengestellt hat. Sie kamen aus allen Bereichen der Gesellschaft, es waren anfangs keine Fachleute vom Film. Inzwischen helfen sie seit über 40 Jahren Regisseuren dabei, deren Visionen umzusetzen und erschaffen dabei immer wieder Effekte, wie sie sich die Regisseure noch nicht einmal vorgestellt haben.

Was ist denn das Hauptmerkmal von Industrial Light & Magic, das dir bei der langen Beschäftigung mit der Firma immer wieder begegnet ist?

Als ich mit dem Projekt anfing, hatte ich die Hoffnung oder den Verdacht, dass die emotionale Atmosphäre innerhalb von ILM einzigartig ist. Dass dort eine erstaunliche Art von Zusammenarbeit existiert. Natürlich arbeiteten die Leute dort hart und standen miteinander im Wettstreit. Aber sie wandten sich auch immer wieder als Freunde und Kollegen einander zu, um zu fragen „Wie kriegen wir das hin? Wie lösen wir dieses Problem?“ Dass dort so eine enge Gemeinschaft entstanden ist, in der sich die Leute umeinander sorgen und kümmern, das ist für mich der positivste Aspekt an dem Ganzen.

Wie schätzt du denn den Effekt des ersten Star Wars-Films von 1977 auf das Kino allgemein ein?

Als Eine neue Hoffnung herauskam, veränderte sich alles. Selbst die Leute, die bei ILM an dem Film gearbeitet hatten, waren nach seiner Veröffentlichung vollkommen verblüfft davon! Vorher hatten sie sich gefragt „Können wir das schaffen?“ Unter ihnen waren Automechaniker, Maler und Modellbauer und das Ergebnis all der Fähigkeiten dieser brillanten Leute zusammen ist etwas, das alle Filme, die danach kamen, beeinflusst hat.

Wenn du in den letzten Jahren Drehbücher zu Filmen wie Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht oder Solo: A Star Wars Story geschrieben hast, wie sehr berücksichtigst du dabei bereits die Umsetzbarkeit der Effekte? Und hat sich deine Antwort darauf vielleicht verändert, seit du nun diese Dokumentation gedreht hast?

Nein, sie hat sich nicht verändert. Schon vor Jahren wurde klar, dass man alles auf die Leinwand bringen kann. Die digitale Technik hat alles möglich gemacht. Zu keinem Zeitpunkt habe ich beim Schreiben der genannten Filme – oder auch schon bei Das Imperium schlägt zurück – gedacht „Ist das möglich?“ Ganz einfach deswegen, weil George Lucas immer gesagt hat „Wir finden schon einen Weg.“ Bei ILM hört man nie „Vergiss es, das geht nicht!“ Das sagen sie dort einfach nie und ich finde das wunderbar.

Die Interviews in Light & Magic sind sehr offen und viele der Interviewpartner sind ja deine Freunde. Hattest du spezielle Taktiken, um auch solche Informationen aus ihnen herauszukitzeln, die sie nicht so einfach erzählen wollten? Hast du ihnen zum Beispiel ihren Lieblingsdrink hingestellt?

Lucasfilm hat uns für dieses Projekt seine Archive geöffnet, in der Dokumentation befindet sich also vieles, das noch nie veröffentlicht worden ist. Wenn man also jemanden interviewt, kann man dieselbe Person 30 Jahre jünger zeigen, wie er oder sie gerade an einem Problem herumtüftelt. Das ermöglicht dann auch im Interview einen viel besseren Zugang. Außerdem habe ich schon früh herausgefunden, dass sich die Leute einem öffnen, wenn man sein Gegenüber wirklich sieht und ihm oder ihr wirklich zuhört. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Interviewpartner etwas zurückgehalten haben. Fall doch mal ein kurzes Zögern zu spüren war, dann habe ich immer behutsam nachgefragt: „Erzähl mir mehr darüber! Was hast du in diesem Moment gefühlt?“ Das ist nämlich in der Regel nicht das erste, was einem die Leute erzählen. Es kann aber an zweiter oder dritter Stelle kommen.

Wie bist du denn dabei vorgegangen, all die Geschichten dieser kreativen Leute in nur sechs Stunden zu erzählen?

Die Einstellung gefällt mir! Viele Leute werden nämlich ganz sicher denken: „Sechs Stunden!? Warum soll ich das denn alles anschauen?“ Ich hatte eine tolle Gruppe von Leuten in der Produktion und im Schnitt. Vor jedem einzelnen Interview haben wir eine Menge Hintergrundarbeit geleistet. Wir hatten immer schon eine Idee, wo die Geschichte liegen würde, waren gleichzeitig aber auch vollkommen offen dafür, in eine ganz neue Richtung gelenkt zu werden. Ich wollte von den Interviewpartnern überrascht werden, dabei entsteht oft das beste Material. Klar hätten wir die Serie auch wesentlich länger machen können als sechs Stunden, aber das hängt auch damit zusammen, was man genau erzählen will. Ich habe mich dafür interessiert, wie das alles überhaupt angefangen hat. Wie sind diese Leute zusammengekommen? Wieviel wusste George, als er all die Leute mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Hintergründen zusammengeführt hat? Wie konnte er einen Instinkt dafür haben? Und wie formten diese unterschiedlichen Personen dann später eine Gruppe, wurden Freunde und Kollegen?

Was hast du denn im Lauf der Arbeit an dieser Dokumentation über ILM gelernt, dass dich nach all den Jahren noch überrascht hat?

Mein Ansatz war von Anfang an, nach der Seele dieser Firma zu suchen. Daran denkt man vielleicht nicht unbedingt gleich… Bei einer Versicherungsgesellschaft würde man wohl nicht sagen „Ich will einen Film über die Seele dieser Versicherungsgesellschaft drehen.“ Obwohl auch diese Firmen sicherlich eine Seele haben. In unserem Fall war die Sache aber klar: die Leute, die bei ILM angefangen haben, haben ganz einfach eine Leidenschaft dafür. Sie sind über viele Jahre dabeigeblieben. John Knoll etwa, der zusammen mit seinem Bruder Photoshop erfunden hat, hat nie aufgehört zu arbeiten. Er kam am nächsten Tag gleich wieder zur Arbeit, was eine Entscheidung ist, die wohl nicht alle von uns treffen würden, wenn wir Photoshop erfinden würden. Aber John Knoll liebt seine Arbeit und ist seitdem weitere zwanzig Jahre bei ILM geblieben. Das ist es, worum es bei ILM geht – eine riesige Leidenschaft zur Lösung von Problemen und zum Überschreiten von Grenzen.

Vielen Dank für das Gespräch!



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