Mamoru Hosoda
Mamoru Hosoda beim Internationalen Filmfestival San Sebastián, Spanien (Paul Katzenberger)

Mamoru Hosoda [Interview]

In seinem neuen Film Belle erzählt Mamoru Hosoda die Geschichte einer schüchternen Jugendlichen, die in Folge eines Traumas ihre Fähigkeit zu singen verloren hat, nun aber dank ihres Avatars im Internet wieder aufblüht. Dabei macht sie eines Tages die Bekanntschaft eines geheimnisvollen Biestes, das in der virtuellen Welt für Unruhe sorgt und Inhalt zahlreicher Spekulationen ist. Anlässlich des Kinostarts am 9. Juni 2022 unterhalten wir uns mit dem berühmten Anime-Regisseur über die Arbeit an dem Film, Gefahren und Chancen des Internets sowie das Konzept der Schönheit.

Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von Belle erzählen? Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich wollte mit Belle eine eigene moderne Version von Die Schöne und das Biest kreieren, weil die Verfilmungen von Jean Cocteau und Disney große Inspirationen für mich waren. Die Geschichte fand ich immer sehr interessant, weil in ihr ein Wertewandel stattfindet und sie davon handelt, dass man jemanden nicht auf das Äußere reduzieren kann und sollte.

Und warum haben Sie diese Geschichte mit dem Thema Internet verbunden, anstatt einen normalen Fantasy-Film daraus zu machen?

Mich haben vor allem die zwei Seiten des Biests interessiert: das brutale Äußere und der weiche Kern. Damit assoziiere ich auch die Charakteristik des Internets. Das Internet erlaubt es dir, jemand anderes zu sein und dich anders auszudrücken. Wer im wahren Leben ein ruhiger, zurückhaltender Mensch ist, kann dort ein ganz anderes Gesicht haben. Dadurch fand ich es passend, das Biest auf diese Weise darzustellen. Belle ist inzwischen mein drittes Werk, das sich mit dem Internet beschäftigt. Digimon Adventures war das erste, 2009 kam Summer Wars. Das Internet ist also schon eine Art Steckenpferd von mir.

Es hat schon vorher Möglichkeiten gegeben, jemand anderes zu werden. Wir haben Spiele gespielt, Bücher gelesen, Filme geschaut und wurden zu den Figuren darin. Wie unterscheidet sich das Internet von diesen vorherigen Verwandlungen?

Das Internet ist heute schon als eine zweite Welt zu sehen, eine zweite Realität. Während diese anderen Beispiele immer nur eine kurze Auszeit von unserem Alltag sind, existiert das Internet dauerhaft parallel. Es hat dadurch einen deutlich größeren Anteil an unserem Leben und bietet uns noch deutlich mehr Möglichkeiten der Selbstverwirklichung. Unter den Jugendlichen ist es nicht unüblich, dass sie im Internet ein Leben führen, das sie woanders nicht haben. Es ist nicht zweitrangig, wie es vielleicht noch die Eltern erlebt haben, sondern ein integraler Bestandteil. An der Stelle gibt es auch eine Form des Generationenkonflikts, wenn die Älteren nicht verstehen, welche Bedeutung das Internet für ihre Kinder hat.

Aber ist es nicht wichtig, dass auch die Älteren mitreden?

Es ist natürlich wichtig, neue Technologien auch immer kritisch zu hinterfragen. Charlie Chaplin hat damals in Moderne Zeiten die Industrialisierung kritisiert. Das bedeutet aber nicht, dass diese Entwicklungen deswegen aufgehalten werden. Die Industrialisierung ging trotz Chaplin weiter. Es geht also vielmehr darum, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Das ist es, was ich in meinen Filmen versuche. Natürlich sind mir die Gefahren des Internets bekannt, etwa Fake News, die personalisierte Werbung oder die Beleidigungen. Oft wird mir das aber zu einseitig dargestellt. Es gibt genügend Filme, die sich mit den Schattenseiten befassen. Ich versuche, diesem Thema positiver zu begegnen.

Was wäre etwas Positives, das Sie für sich aus dem Internet mitgenommen haben?

Positiv ist beispielsweise, dass uns das Internet die Möglichkeit gibt, über weite Entfernungen hinweg zu kommunizieren und sich mit anderen Menschen auszutauschen, auch solchen, die man gar nicht kennt. Wir können Gleichgesinnte kennenlernen, denen wir unter normalen Umständen nie begegnet wären. Wir können unsere Interessen erweitern, Dinge erfahren, die sich außerhalb unseres Lebens abspielen.

Das Internet hat zugleich auch dazu geführt, dass andere mehr über uns erfahren, weil unser Privatleben öffentlich zugänglich ist und alle es kommentieren können. Das gilt für Menschen im künstlerischen Bereich besonders. Lesen Sie noch, was andere über Sie sagen?

Als Filmemacher wirst du immer von anderen kritisiert. Das war schon immer so, noch bevor es das Internet gab. Deswegen bin ich da einigermaßen abgehärtet. Ich mache mir mehr Sorgen um die jungen Menschen, die sich im Internet Beleidigungen anhören müssen oder vielleicht auch in einen Shitstorm geraten. Das ist eine negative Seite des Internets: Unter dem Deckmantel der Anonymität zeigen sich die Leute besonders grausam. In der Hinsicht tun mir die Kinder und Jugendlichen leid, die sich damit zurechtfinden müssen, während sie versuchen, sich selbst zu verwirklichen. Dennoch denke ich, dass es der richtige Weg ist, sich im Internet zu zeigen. Das wollte ich auch mit Belle ausdrücken, wenn die Hauptfigur zuerst abgelehnt wird, später aber Anerkennung findet und sie selbst sein darf.

Der Name Belle kommt aus dem Französischen und bedeutet dort „schön“. Was macht für Sie einen schönen Menschen aus?

Das ist eine sehr gute Frage. Die Original-Geschichte zu Die Schöne und das Biest stammt aus dem 18. Jahrhundert, als die Menschen noch in einer Feudalgesellschaft lebten, einer reinen Männergesellschaft. Belle war damals eine hübsche Frau, die durch den Prinzen, also das Biest zum Glück gefunden hat. Heute haben sich die Werte gewandelt und man sollte eine Frau nicht allein an ihrem Äußeren beurteilen, schon gar nicht aus Männersicht. Deswegen musste ich für die moderne Adaption überdenken, was schön eigentlich bedeutet. Das bedeutete dann für mich, dass Suzu keine besonders schöne Frau sein sollte, sondern eher durchschnittlich und unauffällig. Sie findet aber durch das Internet zu sich. Ihre inneren Werte sind es, die sie zu einem schönen Menschen machen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Mamoru Hosoda wurde am 19. September 1967 in Kamiichi, Japan geboren. Der Anime Lupin III – Das Schloss von Cagliostro (1979) inspirierte ihn dazu, selbst Filme drehen zu wollen. Er arbeitete längere Zeit bei den bekannten Animationsstudios Toei und Madhouse, 2011 gründete er sein eigenes Studio Chizu. Sein Langfilmdebüt war die Manga-Adaption One Piece – 6. Film: Baron Omatsumi und die geheimnisvolle Insel (2005), ein Jahr drauf folgte mit Das Mädchen, das durch die Zeit sprang sein erster eigener Film. Seine Filme befassen sich oft mit jugendlichen Figuren, die mit Fantasy- oder Science-Fiction-Elementen konfrontiert werden. Für Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft (2018) erhielt er eine Oscar-Nominierung für den besten Animationsfilm.



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